18. Juli 2018, 16:07 Uhr | Lesezeit: 10 Minuten
Wird es Bali bald nicht mehr so geben, wie es Urlauber und Einheimische kennen? Seit mehreren Jahren sorgt der Vulkan Agung auf der indonesischen Insel für Angst und Schrecken. Immer wieder spuckt er Lava und Rauch, vertreibt die Anwohner und lässt Flüge annullieren. Aber es könnte noch eine viel größere Gefahr drohen, wie ein balinesischer Vulkanologe TRAVELBOOK offenbarte.
Seit 2015 bangen Menschen im Umkreis des aktiven Schichtvulkans Agung um ihre Existenz, nachdem nach einer großen Aschewolke die zweithöchste Alarmstufe ausgerufen worden war. Als er vor einem Jahr plötzlich wieder zum Leben erwacht war, wurde Alarmstufe vier ausgerufen – diese beschreibt eine gefährliche lokale Eruption. Zu einem größeren Ausbruch kam es nicht, allerdings spuckt der Agung seitdem immer wieder Aschewolken, Lava und Gestein.
Ein weiteres Jahr später wurden wieder erhöhte Aktivitäten in dem über 3000 Meter hohen Berg festgestellt, in diesem Fall wurde erneut die Alarmstufe vier ausgerufen. Etwa 34.000 Dorfbewohner mussten evakuiert werden, Behörden riefen rund 100.000 Menschen dazu auf, sich in Sicherheit zu bringen. Der internationale Ngurah Rai Airport auf Bali sowie der Flughafen auf der Nachbarinsel Lombok wurden vorübergehend geschlossen, zahlreiche Urlauber saßen fest. Es kam zu mehreren starken Beben und einigen Eruptionen.
Ähnliche Szenarien spielen sich auch jetzt – nur wenige Monate später – in dem beliebten Urlaubsort ab. Was der Öffentlichkeit aber angeblich verschwiegen wird: Offenbar steht es noch viel schlimmer um Bali, seinen Vulkan und die Auswirkungen eines vermeintlich bevorstehenden Ausbruchs. Das erklärte der einheimische Vulkanologe Wayan* im Gespräch mit TRAVELBOOK.
Unter dem Agung sollen zwei Magmakammern liegen
Aus Angst, wegen der Veröffentlichung seiner Informationen von der Regierung verfolgt zu werden, möchte der balinesische Forscher anonym bleiben. Doch trotz dieser Angst ist es ihm wichtig, Einheimische wie Touristen über die vermeintlich drohenden Gefahren aufzuklären. Beim Agung handelt es sich seiner Meinung nach nicht um einen „normalen“ Vulkan, sondern um einen Supervulkan. Das sind die größten bekannten Vulkane, die wegen ihrer riesigen Magmakammern bei Ausbrüchen Einbruchskessel hinterlassen und die Erdoberfläche regelrecht aufreißen. Supereruptionen können einen Wert acht im Vulkanexplosivitätsindex (VEI) erreichen – Vulkane mit großen Eruptionen erreichen zum Vergleich die Stufe vier.
Wayan erklärt, dass beim Agung eine Magmakammer circa 20 Kilometer unter der Erdoberfläche liege, 16 Kilometer darüber soll sich eine zweite befinden. „Weil Bali seit 2017 von etwa 27.000 Erdbeben erschüttert wurde, existiert wegen der Reibungen der indisch-australischen Kontinentalplatte, die die eurasische Platte senkt, eine große Menge Lava im Vulkan Agung. Die Spalten zwischen den Platten führen dazu, dass Lava durch die Lithosphäre zum Vulkan hochsteigen kann“, beschreibt er die aktuelle Situation.
Besonders gefährlich soll es dem Vulkanologen zufolge werden, wenn die aufsteigende Lava in der unteren Kammer zu Unregelmäßigkeiten bei der Gasverteilung führt. „Das Ergebnis aus dem Ungleichgewicht zwischen dem Druck der Temperaturen des Magmas und der Krateroberfläche ist eine enorme Saugkraft rund um den Vulkan. Deshalb wird die Temperatur in diesem Gebiet drastisch sinken, während die Temperatur im Krater das Maximum erreichen wird. So entsteht eine Energie (eine Pre-Fusionsreaktion) oder eine Art Schockwelle. Diese Reaktion geschieht innerhalb von vier bis sieben Minuten und wird zur Haupteruption führen“, so der Forscher weiter.
Vergleich mit Mega-Ausbruch des Mount St. Helens
Teile des Vulkankraters im Westen und Süden seien wegen der vorangegangenen Aktivitäten bereits nach unten abgesunken oder sogar zusammengebrochen. Weil das Gestein so brüchig ist, seien schon sichtbare Risse entstanden – eine Erklärung dafür, wieso auch seitlich des Feuerberges bereits Lava austreten konnte, wie Aufnahmen belegen. „Deshalb gibt es die Befürchtung, dass die große Explosion zu einem Kollaps des Vulkans führt. Das könnte vergleichbare Ausmaße annehmen wie 1980 beim Vulkan St. Helens in den USA“, gibt Wayan zu bedenken. Der damalige Ausbruch des Vulkans im Süden des US-Bundesstaats Washington galt als einer der stärksten Ausbrüche des 20. Jahrhunderts mit einem VEI der Stufe fünf. Eingedrungenes Magma in geringer Tiefe unterhalb des Berges hatte mehrere Risse auf dessen Nordseite verursacht. Dadurch war es schon vor der eigentlichen Eruption zu zahlreichen Erdbeben und explosionsartigen Dampfaustritten gekommen. Die Erschütterungen hatten dazu geführt, dass die gesamte Nordflanke des Berges lawinenartig abrutschte.
Tsunami könnte große Teile Balis auslöschen
Der Vulkanologe prophezeit allerdings noch katastrophalere Auswirkungen: „Der schlimmste Effekt von allen wird sein, dass es eine Fusionsreaktion ähnlich einer Explosion einer Atombombe geben wird – zehn bis 20 Mal stärker als die in Hiroshima. Daraus würde außerdem ein Erdbeben resultieren, bei dem die Platten bewegt würden, die nur zehn Kilometer vom Agung entfernt liegen.“ In der Folge käme es etwa zwei Stunden nach der Eruption zu einem Tsunami. Die riesige Welle würde nicht nur für Verwüstung sorgen – sie würde laut Wayan auch große Teile Balis schlichtweg verschlucken. Ähnlich soll es der Insel bereits nach einem Tsunami im Jahr 1857 ergangenen sein, wobei sich Wayan auf Studien des US-Professors für Geologie der Universität Brigham Young in Utah, Ronald Albert Harris, bezieht. Damals sei mehr als die Hälfte der damals noch viel größeren Insel quasi verschluckt worden. Auslöser für die Katastrophe soll ein Ausbruch des Vulkans Batur gewesen sein, der ebenfalls auf Bali liegt.
Die ganze Welt wäre betroffen
Nicht nur Bali und die umliegenden indonesischen Inseln hätten mit den Folgen einer Eruption noch jahrelang zu kämpfen. Wayan spricht von ähnlich dramatischen Resultaten, die Forscher der wissenschaftlichen Behörde im Geschäftsbereich des Innenministeriums der Vereinigten Staaten (United States Geological Survey (USGS)), bereits in einem Modell benannt haben, das einen erneuten Ausbruch des US-Supervulkans Yellowstone simulierte. Bei einer derartigen Explosion, wie Wayan sie für den Agung vorhersagt, würden mehrere tausend Kubikkilometer Gesteinsmaterial und Asche in die Atmosphäre geschossen. Durch einen solchen Feuerregen würde sich der Himmel verdunkeln, das globale Klima würde sich durch Wolken aus Asche und Säure um zehn Grad abkühlen. Die Landschaft im Umkreis von 500 Kilometern um den Vulkan wäre mit einer dicken Ascheschicht bedeckt. Vor 74.000 Jahren soll der Ausbruch des Supervulkans Toba auf der indonesischen Insel Sumatra genau zu diesem Horrorszenario geführt haben – die Erde habe jahrelang in Dunkelheit gelegen.
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Keine Beweise für Supervulkan Agung?
Aber ist die Situation auf Bali tatsächlich derart bedrohlich? TRAVELBOOK befragte Dr. Thomas R. Walter, Leiter einer Vulkan- und Tektonik-Forschungsgruppe, die zum Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam (GFZ) gehört, bezüglich der Erkenntnisse des balinesischen Forschers. Zu den von Wayan prophezeiten Horrorszenarien bezog er nicht konkret Stellung, bezweifelte aber, dass es sich beim Agung tatsächlich um einen Supervulkan handelt. Walter: „Dafür gibt es keinerlei Hinweise. Auch die Historie des Agung deutet nicht darauf hin.“
Beim Agung gibt es, die Entwicklungen in diesem Jahr ausgeschlossen, bereits fünf vermerkte Aktivitäten, der Zustand des Vulkans wird permanent überwacht. Dabei ist eine Einschätzung der Aktivität des Berges mithilfe der Skalen von null (schlafend bzw. normale Aktivität) bis fünf (große oder explosive Eruption) möglich. Laut Walter sei der Agung bei besagten Aktivitäten folgendermaßen eingeschätzt worden:
- Im Jahr 1808, Alarmstufe zwei (Eruption zurzeit oder jederzeit)
- Im Jahr 1821, Alarmstufe zwei
- 1843, Höchststufe fünf (große oder explosive Eruption)
- 1963 bis 1964, Höchststufe fünf
- 2017, Alarmstufe drei (signifikante lokale Eruption)
„1963 und 1843 gab es tatsächlich recht große Eruptionen mit bis zu einem Kubikkilometer Lava und Tephra (Ablagerungen aus Gesteinsfragmenten, Anm. d. Redaktion). Dies geschieht global gesehen etwa alle zehn Jahre. Wissenschaftler können Beben, Verformung, Entgasung etc. messen, und ähnlich wie bei Wetter-Wahrscheinlichkeiten für bevorstehende Ereignisse berechnen. Dennoch gilt unter seriösen Wissenschaftlern die Größe eines bevorstehenden Ausbruchs auch als eine der größten Unbekannten“, verdeutlicht er weiter. Niemand könne derzeit mit Sicherheit sagen, wann der Agung das nächste Mal ausbreche.
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Indonesische Regierung soll vermeintliches Drama verschleiern
Laut Wayan will die indonesische Regierung von der Bedrohung nichts wissen. Er behauptet sogar, dass Werte, die er und sein Team mithilfe von Seismografen erhoben hätten, erst verfälscht und dann veröffentlicht worden seien. Auf diese Weise hätten die Verantwortlichen Einheimischen und Touristen Sicherheit vermittelt, um Panik zu verhindern. Außerdem könne wegen der verharmlosten Ergebnisse der Flughafen von Bali weiter offen gehalten werden, sodass keine finanziellen Einbußen wegen ausbleibender Touristen zu erwarten wären.
Auf eine Anfrage von TRAVELBOOK reagierte die indonesische Regierung nur indirekt. „Die Nationale Behörde für Katastrophenmanagement der Indonesischen Republik hat bereits notwendige Schritte eingeleitet, um das Worst-Case-Szenario zu entschärfen, und erstellte eine Karte für die Verteilung der Flüchtlinge und die Kennzeichnung des gefährlichen Radius‘ um den Vulkan Agung.“ Dieser erstreckt sich allerdings nur auf einen Umkreis von vier Kilometern, laut Wayan müssten es mindestens 15 Kilometer sein. Zu der Frage, ob bewusst Daten verfälscht würden, äußerte sich die Regierung nicht.
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Empfehlung des Auswärtigen Amtes
Wayan erklärt, dass seine Bemühungen, Bewohner und Reisende auf Bali zu warnen und für rechtzeitige Evakuierungen zu sorgen, verhindert würden: „Die Regierung hatte gesagt, sie (die Bewohner, Anm. d. Redaktion) müssten ihre Häuser nicht verlassen, alles wäre okay. In zwei Jahren werden viele von ihnen wegen der eingeatmeten Asche nicht mehr richtig atmen können.“ Gelangen Aschepartikel in die Atemwege, können sie dort großen Schaden anrichten, berichtet die Arbeitsgemeinschaft „Volcanic Ashfall Impacts“ auf ihrer Homepage.
An Touristen und solche, die eine Reise nach Bali planen, spricht das Auswärtige Amt auf seiner Homepage folgende Empfehlung aus: „Der Vulkan Agung auf der Insel Bali, für den seit dem 10. Februar 2018 die Gefährdungsstufe 3 und eine Sperrzone von vier Kilometern um den Krater des Vulkans unverändert fort gilt, hat am 28. Juni 2018 eine Aschewolke sowie am 2. Juli 2018 neben einer mehrere Kilometer hohen Aschewolke in mehreren Eruptionen auch Lavaströme ausgestoßen. Der Flughafen in Denpasar/Bali ist derzeit geöffnet, Unterbrechungen im Flugverkehr in der Region sind weiterhin möglich. Reisende sollten sich von der Sperrzone fernhalten, die Entwicklung in den lokalen Medien verfolgen, engen Kontakt mit ihrem Reiseveranstalter beziehungsweise ihrer Fluggesellschaft halten und den Anweisungen lokaler Behörden unbedingt Folge leisten.“
*Name von der Redaktion geändert