7. September 2021, 6:17 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Mehr als 100 Jahre lang wurden Lepra-Kranke in Kalaupapa auf der hawaiianischen Insel Molokai gefangen gehalten. Abgeschottet und vergessen vom Rest der Welt, entwickelte sich dennoch eine einzigartige Gemeinschaft. Manche ehemaligen Insassen leben heute noch hier.
Es ist das Jahr 1865, als der hawaiianische König Kamehameha V. ein Gesetz erlässt, das für zahlreiche Bewohner der Inseln eine Ära voller Schrecken einläutet. Bereits seit Beginn des Jahrhunderts greift die Lepra erbarmungslos um sich. Die bakterielle Krankheit befällt Haut und Nerven, gilt damals noch als hochansteckend, ein Heilmittel gibt es nicht. Also entschließt man kurzerhand, die Erkrankten vor der Welt wegzusperren. Dies ist die Geschichte von Kalaupapa.
Kalaupapa, ein Dorf auf der gleichnamigen Halbinsel der Insel Molokai, ist der „ideale“ Ort, um die Lepra-Kranken des Landes dort verschwinden zu lassen. Denn laut der offiziellen Seite des heutigen Nationalparks gibt es von Kalaupapa keinerlei Fluchtmöglichkeit. Der Landweg ist versperrt durch ein gut 600 Meter hohes Felsmassiv, auf drei Seiten ist der Ort vom Pazifik umgeben. Wer einmal hierher kommt, verlässt den Ort in der Regel nicht mehr lebend.
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Kalaupapa – ein Ort des Schreckens
Ab 1866 beginnt die Deportation, in deren Zuge es noch zu einer anderen Tragödie kommt. Die Einwohner von Kalaupapa, die den Ort seit neun Jahrhunderten besiedelten, werden gezwungen, umzuziehen. Der Staat kauft ihnen ihr Land ab, in ihre Häuser sollen nun die Kranken ziehen. Diesen zeichnet man das Bild von einem wahren Paradies, in dem fruchtbare Böden reiche Ernten garantieren und die Fische quasi schon gebraten in die Pfannen springen. Die Wahrheit jedoch ist grausam.
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Denn viele der 152 Menschen, die am Ende des Jahres 1866 in dem kleinen Dorf Kalawao auf der Halbinsel Kalaupapa leben, sind viel zu krank, um für sich zu sorgen. Zahlreiche Insassen, bzw. deren Familien, reichen in der Folgezeit aufgrund der katastrophalen Lebensumstände Beschwerden ein. So wird Kalaupapa zum Synonym für einen Ort des Schreckens. Familien mit Lepra-Opfern verstecken ihre Kranken aus Angst, sie in die Kolonie schicken zu müssen. Wieder andere suchen freiwillig die Isolation, nur um einem Leben in Kalawao zu entgehen.
Kinder wurden ihren Familien entrissen
Und die Umstände hier sind tatsächlich erbärmlich. Laut „History“ dürfen die Menschen hier weder arbeiten noch wählen, frei bewegen können sie sich sowieso nicht. Besonders tragisch ist die Geschichte jener, die auf Kalaupapa Kinder bekommen. Diese werden ihnen weg genommen und von anderen Familien aufgezogen, oder in Waisenhäuser gesteckt. Die meisten Patienten, die nach Kalawao geschickt werden, sind zudem selbst noch Kinder.
Trotz der menschenunwürdigen Zustände schwillt die Lepra-Kolonie zwischen 1888 und 1902 auf mehr als 1000 Patienten an. Die Panik vor der Seuche auf Hawaii kennt kaum noch Grenzen. Die Krankheit reißt Familien auseinander, trennt Frauen von ihren Männern, Kinder von ihren Eltern. Mittlerweile gibt es in Kalawao aber nicht nur Hawaiianer, sondern auch Patienten aus China, Portugal und anderen Ländern Amerikas. Denn so unglaublich es klingt: Auf Kalaupapa sind die Lebensumstände immer noch besser als in anderen Lepra-Kolonien zu dieser Zeit.
Viele blieben einfach
Ab dem Jahr 1900 verbessert sich die Situation auf Kalaupapa aber auch tatsächlich. Ein Krankenhaus wird eingerichtet, neue Hütten und Schlafsäle für die Patienten gebaut. Der Arzt Dr. William J. Goodhue und der Kolonie-Vorstand John D. McVeigh ermöglichen außerdem sportliche Betätigung. Vor allem aber sind sie die Ersten, die den Patienten mit Respekt begegnen, ihnen ihre Menschenwürde wieder geben.
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1924 leben nur noch 485 Menschen auf Kalaupapa, bis zur Schließung der Kolonie gibt es hier insgesamt 8000 Patienten. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird endlich ein Heilmittel für die Lepra gefunden. Die Patienten, nun nicht weiter ansteckend und damit aussätzig, können endlich ein vergleichsweise normales Leben aufnehmen. Als 1969 das Lepra-Lager nach mehr als 100 Jahren des Schreckens seine Pforten schließt, geschieht etwas schier Unvorstellbares. Nicht wenige der ehemaligen Insassen entscheiden sich, freiwillig hier zu bleiben. Das ist das Leben, das sie kennen, viele haben nie ein anderes gehabt.
Noch heute leben hier Menschen
Und so leben auch heute noch einige wenige Menschen in der ehemaligen Lepra-Kolonie auf Kalaupapa. Die Halbinsel ist heute ein bei Touristen wegen seiner Wanderwege beliebter Nationalpark. Und natürlich kommen viele auch, um sich den Ort anzusehen, an dem mehr als 100 Jahre lang Menschen gefangen gehalten wurden.
Die Kommentare im Internet sprechen eine deutliche Sprache: „An diesen schönen, aber traurigen Ort zu kommen, war ein Privileg“, meint ein Nutzer auf Tripadvisor. Ein anderer schreibt: „Mit den Menschen hier hätte ich leicht Tage verbringen können. Mein Leben ist nicht mehr dasselbe nach diesem Besuch.“ Eine weitere Nutzerin bei Google Reviews: „Was für wunderbare Menschen hier leben.“
2020 lebten auf Kalaupapa laut unterschiedlichen Quellen gerade noch sechs ehemalige Bewohner der Lepra-Kolonie. Zudem wohnen hier heute auch Mitarbeiter des Nationalparks sowie Angestellte des US-Bundesstaates Hawaii. Aktuell ist der Zugang zum Nationalpark für Besucher eingeschränkt, um seine Bewohner vor der Ausbreitung des Coronavirus‘ zu schützen. Wer aber in Zukunft Hawaii besucht, kann sich selbst ein Bild von einem Natur-Paradies machen, das für mehr als 100 Jahre eine Hölle auf Erden war.