29. August 2014, 13:26 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Alaskas Süden ist ein Traum für jeden Naturliebhaber: Eine monumentale Kulisse aus Gletschern, Seen und den höchsten Bergen Nordamerikas, in der sich Bären, Elche, Otter und Adler tummeln. Eine Erkundung zu Wasser, an Land und aus der Luft.
Jules Perkins traut seinen Augen nicht. Direkt vor ihm, keine 50 Meter entfernt, liegen zwei Braunbären im Gras. Eine Mutter und ihr Baby. Neben ihnen fließt ein kleiner Fluss, in dem ein weiterer Bär versucht, einen Lachs zu fangen. Jules, ein Brite, der in Australien lebt, will schon stehenbleiben und das Schauspiel genießen. Doch Michael Hughes geht langsam weiter. Stetig vorwärts, durch knietiefes Wasser, über matschigen Boden, durch das Gras. Erst, als er nur noch 20 Meter entfernt ist, bedeutet der Buschpilot seinen fünf Passagieren, sich langsam hinzuknien und leise zu sein.
„Ihr müsst zusammenbleiben, wenn wir Bären sehen. So denkt der Bär, wir seien der größere Bär“, sagt der Inhaber der Alaska Bear Adventures. Von Homer aus fliegt er fast täglich Gäste in seiner kleinen Cessna Richtung Westen, meistens in den Katmai National Park. „Hier sehen wir eigentlich immer Bären. Manchmal nur einen, manchmal ein ganzes Dutzend“, sagt der Pilot. Im Spätsommer sind sie leicht zu finden: „Da stehen sie meist im Wasser und jagen Lachse“.
Schon der fast zweistündige Flug in der kleinen Maschine ist ein Erlebnis. Es geht über eine Reihe von Gletschern, die weiß und Blau in den Bergen liegen. Der Schnee und das Eis sind zerfurcht, tiefe Spalten sind zu sehen. Dazwischen glitzern unzählige Gletscherseen in der Sonne. Michael geht immer niedriger mit der einmotorigen Maschine, schließlich setzt er auf einem Streifen Sand auf. Und schärft seinen Passagieren abermals die Regeln ein: Zusammenbleiben, keinen Krach machen, beim Essen nicht krümeln. Aber ans Essen denkt vorerst niemand. Eher daran, wann der erste Bär aus der Nähe zu sehen sein wird. Und dann sind sie auch schon da, die Mutter und ihr Kind. Und der Lachsfänger im Wasser.
Tiere, die Weite und die Stille – deshalb kommen die Menschen nach Alaska. Sowohl die Touristen, als auch die Zuwanderer. Es gibt mehr als 150 000 Bären im größten US-Staat und nur 730.000 Menschen. Fast 300.000 von ihnen leben in Anchorage, dem Verwaltungszentrum des Staates. Das Bärenbeobachten ist für die meisten Besucher der Höhepunkt ihrer Reise. „Man muss im Sommer immer damit rechnen, dass man Bären sieht“, sagt Howard Carbone, der in Talkeetna Naturliebhabern die Eigenheiten der Flora und Fauna näherbringt.
Doch es müssen nicht immer Ausflüge auf dem Land sein, bei denen Bären, Elche oder Adler den Weg kreuzen. Alaska ist der Bundesstaat, in dem sich nach Erhebungen des Department for Natural Ressources mehr als 40 Prozent der Süßwasservorkommen der gesamten USA befinden. Mehr als drei Millionen Seen gibt es, 12.000 Flüsse sowie gut 100.000 Gletscher – viele Alaskaner sind in jeder freien Minute mit dem Motorboot, der Segeljacht oder dem Kajak auf dem Wasser unterwegs.
Nick zum Beispiel. Er würde wohl in seinem Kajak leben, wenn er könnte. Doch das ist ein bisschen kalt, sogar im Sommer hat das türkisblaue Meerwasser in der Kachemak-Bucht nur ein paar Grad über null. Vor der Küste von Homer im Süden Alaskas wird das Meer mit dem Wasser der Gletscher gespeist – das sorgt nicht nur dafür, dass es eine einzigartige Farbe annimmt, sondern auch dafür, dass der Salzgehalt geringer ist. „Dadurch leben hier andere Tiere, als man im Meer erwarten würde“, sagt Nick. Seine Gruppe folgt ihm im Kajak, still gleiten die kleinen Boote an Felsen vorüber.
Doch plötzlich ist es vorbei mit der Ruhe, geschäftiges Treiben im Wasser. Ein Otter treibt auf dem Rücken durch das Wasser, zu sehen sind nur Kopf und Füße. Die Pose ist entspannt. Einzig die Vorderpfoten arbeiten unablässig: Der Otter reibt sich das Gesicht, als würden ihn kleine Tierchen stören, die um ihn herumschwimmen. Das sieht witzig aus, ist für die Tiere aber notwendig. „Otter bestehen aus Knochen und Fell – sie haben kaum Fett“, erläutert Nick. Die unablässige Körperpflege verhindert, dass die besonders feinen Härchen ihres Pelzes verschmutzen und ihre isolierende Wirkung verlieren.
Für die zahlreichen Weißkopf-Seeadler und anderen Fleischfresser, die sich hier aufhalten, sind die mageren Gesellen uninteressant. Sie halten sich eher an Möwen und andere Vögel. So wie der junge Adler, der in aller Ruhe auf einem Felsen sitzt und sein Futter zerlegt. „Das hat ihm seine Mutter serviert, denn die Kleinen sind noch nicht besonders erfolgreich bei der Jagd“, sagt Nick.
Die jungen Adler, die Wappentiere der Vereinigten Staaten, haben ein viel dichteres Federkleid als die erwachsenen. Und sie haben den charakteristischen weißen Kopf noch nicht. „Den bekommen sie erst, wenn sie etwa zwei Jahre alt sind.“ Genug Zeit also für den jungen Vogel, die Austernbänke vor seiner Nase zu beobachten – und sich in aller Ruhe von der Mutter mit Futter versorgen zu lassen.