3. Juni 2015, 11:29 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
1864 trafen sich in Charlottetown die Vertreter verschiedener britischer Kolonien in Nordamerika, um über eine politische Union zu beraten. Seitdem gilt die Provinz Prince Edward Island als Geburtsort von Kanada.
Es gibt wohl niemanden in Charlottetown, der Caron Prins nicht kennt. Viele nennen sie einfach die Queen of the Chips. In einem etwas in die Jahre gekommenen Schuppen The Chip Shack brutzelt sie das ganze Jahr über Kartoffelchips. „Es sind die besten, die Sie hier auf der Insel bekommen können“, sagt Prins selbstbewusst. Tatsächlich, die Chips schmecken wirklich gut. „Das kommt von unseren guten Kartoffeln“, erklärt Prins. Immerhin wird auf Prince Edward Island rund ein Drittel der gesamten Kartoffelernte Kanadas eingebracht, weshalb die Insel auch Kartoffelprovinz genannt wird. Die Landwirtschaft und die Fischerei sind die wichtigsten Wirtschaftszweige. Aber auch der Tourismus spielt eine wichtige Rolle – die Insel kann vor allem mit großartiger und weitgehend unberührter Natur aufwarten.
Charlottetown ist Kanadas Geburtsort
Stolz sind die 145.000 Einwohner von Kanadas kleinster Provinz auch auf ihre Geschichte. In Charlottetown hatten sich 1864 die Vertreter verschiedener britischer Kolonien in Nordamerika getroffen, um eine mögliche politische Union zu verhandeln. Allerdings waren die gastgebenden Unterhändler von Prince Edward Island mit dem Verhandlungsergebnis nicht zufrieden, und deshalb trat P.E.I., wie Prince Edward Island meist abgekürzt wird, dem neuen Staat Kanada 1867 vorerst nicht bei. Trotzdem gilt P.E.I als Geburtsort von Kanada, und 2014 wurde das 150. Jubiläum gefeiert.
P.E.I liegt am Südrand des St.-Lorenz-Golfs im Osten Kanadas und ist nur 200 Kilometer lang und bis zu 60 Kilometer breit. Im Süden prägen rostrote Sandsteinklippen das Bild, im Norden dominieren schöne Sandstrände. Weil sich das Meerwasser im Sommer schnell auf über 20 Grad erwärmt, ist die Insel auch zu einem beliebten Ferienziel der Kanadier geworden. Durch schnelle Autofähren über die Northumberland Strait ist die Insel vom Festland aus schnell zu erreichen. Seit 1998 gibt es die Confederation Bridge.
Damals war Hummer keine Delikatesse
Berühmt ist P.E.I aber auch für seine Hummer. Im MacKinnon’s Market unten am Hafen, dem ältesten Fischmarkt der Insel, werden neben fangfrischem Fisch und anderem Meeresgetier auch lebende Lobster verkauft. Heather Carver greift beherzt in ein Bassin, in dem sich einige der Prachtexemplare tummeln. Sie zieht ein etwa sechs Pfund schweres Tier heraus, um es den staunenden Touristen weiterzureichen. Doch niemand möchte den Hummer auch nur anfassen, geschweige in die Hand nehmen. „Ihr müsst keine Angst haben, der tut nichts“, sagt sie. Schließlich sind die bedrohlich wirkenden Scheren des Krustentiers fest mit blauen Gummibändern gesichert. „Ansonsten kann es aber leicht passieren, dass Hummer kräftig zupacken und dabei sogar Finger abkneifen“, ergänzt Carver.
Sie zeigt einer kleinen Besuchergruppe unter dem Motto „Taste the Town“ einige der kulinarischen Highlights in Charlottetown. Dazu gehört auch der Besuch in einem Lobster Supper. Diese traditionellen Restaurants gehen auf eine Zeit zurück, als der Hummer zunächst alles andere als eine begehrte Delikatesse war. „Kaum zu glauben, aber es ist wirklich wahr: Damals wurden so viele Hummer angeschwemmt, dass die Bauern mit ihnen die Felder düngten und in armen Familien statt Hühnchenfleisch Hummer aufs Sandwich kam“, sagt Carver. Erst viel später begannen Pastoren in ihren Gotteshäusern mit der Organisation von großen Hummeressen. Der Erlös kam den Kirchengemeinden zugute. Das Konzept aber – köstlichen Hummer in einer großen Gemeinschaft zu genießen – hat sich erhalten und findet bis heute in Gemeindehallen oder großen Schuppen an den Häfen seine Fortsetzung.
Auch interessant: Mit eTA nach Kanada einreisen – das müssen Sie wissen
Das wohl bekannteste Lobster Suppers befindet sich im Dorf New Glasgow. „Ohne rechtzeitige Reservierung bekommen sie hier kaum einen Platz“, sagt Kellnerin Mallory. „Uns gibt’s schon seit 1958, damals kostete ein drei Pfund schwerer Lobster gerade mal 1,50 Dollar. Heute müssen Sie 38 Dollar bezahlen, aber da sind dann auch alle Beilagen dabei“, sagt sie weiter.
Bis zu 7000 Pfund Lobster gehen jeden Tag über den Tresen. Man sitzt an langen Tischen, bezogen mit rot-weiß-kariertem Wachstuch. Für jeden Gast gibt es eine Plastikschürze, und auf dem Tisch liegt eine bedruckte Papiertischdecke. Darauf wird anschaulich erklärt, wie dem Lobster beizukommen ist. Eine einfache Sache ist das Knacken des Schalentiers mit der Zange nämlich nicht.
Naturwunder weltweit 15 Orte, die einfach sprachlos machen
Die unheimliche Insel, auf der Leonardo DiCaprio ermittelte Wo liegt eigentlich „Shutter Island“?
Nur per Schiff erreichbar Tristan da Cunha – der entlegenste bewohnte Ort der Erde
Auf P.E.I. zeigt die Natur ihre Trümpfe
Auf der Fahrt von Charlottetown zum Prince Edward Island Nationalpark zeigt die Natur ihre Trümpfe – hinter jeder Kurve tauchen tolle Ausblicke auf – das blaue Wasser, die rote Erde, die grünen Wälder sind immer präsent. Auf den Feldern sind die Bauern dabei, die Ernte einzubringen. Überall am Straßenrand locken Bauernmärkte, auf denen Farmer ihre frischen Produkte anbieten. Obst und Gemüse, verschiedene Kartoffelsorten, und jetzt im Herbst leuchten Kürbisse in allen Farben und Größen, die kunstvoll aufgestapelt werden.
Nach weniger als einer halben Stunde ist der mit 22 Quadratkilometern zweitkleinste Nationalpark Kanadas erreicht. Beeindruckend ist vor allem die von riesigen Sanddünen und roten Felsformationen geprägte rund 40 Kilometer lange Küstenlinie, die von Cavendish bis nach Dalvay-by-the-Sea reicht. Holzstege führen durch die Dünen und dann ist er da – der feinsandige, weiße Strand gesäumt vom blauen Meer, und in der Ferne tuckern ein paar kleine Fischerboote auf dem Wasser.
Die Anreise erfolgt am Besten mit dem Flugzeug bis nach Halifax, von dort sind es 250 Kilometer bis Prince Edward Island. Die beste Reisezeit sind die Monate Mai bis Oktober.