4. September 2024, 13:07 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Einmal jährlich erstellt das Institute for Economics and Peace (IEP) den Global Peace Index (GPI). Der bildet ab, wie friedlich oder unfriedlich die ausgewählten und nach zahlreichen Kriterien ausgewerteten 163 Länder sind. Das 2024er-Ranking zeigt, dass sich die Situation in der Welt insgesamt weiter und nun massiv verschlechtert hat. TRAVELBOOK fasst die wichtigsten Ergebnisse in diesem Überblick zusammen.
Wie geht es der Welt? Wo ist es friedlich, wo kriselt es und wo gibt es aktuell militärische Konflikte und Krieg? Der Global Peace Index, den das Institute for Economics and Peace in diesem Jahr bereits zum 18. Mal herausgibt, versucht, diese Fragen zu beantworten. Er gibt einen Überblick über den Zustand der Welt – der sich 2023 im Vergleich zum Vorjahr erneut verschlechtert hat. So sehr, dass aktuell „die Wahrscheinlichkeit eines weiteren großen Konflikts höher ist, als je zuvor seit Einführung des GPI“, schreiben die Autoren.
Laut des diesjährigen Index‘ zur weltweiten Friedlichkeit, haben sich 65 Länder im Jahr 2023 verbessert (im Vorjahr waren es 84) und 97 verschlechtert (79 im Jahr zuvor). Laut der Autoren des Global Peace Indexes 2024 gab es seit seinem Bestehen noch nie so viele Verschlechterungen in einem einzigen Jahr. Auffällig sei in diesem Jahr außerdem die sich vergrößernde Kluft zwischen den friedlichsten und den am wenigsten friedlichen Ländern.
TRAVELBOOK gibt einen Überblick über die wichtigsten Ergebnisse des Global Peace Index‘ und zeigt die aktuell friedvollsten und -losesten Länder der Welt.
Übersicht
Wie wird die Friedfertigkeit eines Landes gemessen?
Auf Grundlage von 23 qualitativen und quantitativen Indikatoren werden drei große Bereiche untersucht: „Das Level der gesellschaftlichen Sicherheit und des Schutzes, das Ausmaß der anhaltenden nationalen und internationalen Konflikte und der Grad der Militarisierung“, wie es im GPI heißt. In diesem Jahr wurde zusätzlich der Aspekt „globale militärische Leistungsfähigkeit“ eingeführt, der die militärische Raffinesse, Technologie und Kampfbereitschaft vereint.
Aus den Indikatoren ergibt sich für jedes Land insgesamt eine Punktzahl. Je niedriger diese ist, desto friedfertiger wird ein Land eingestuft und desto höher ist seine Position im Ranking. Als Säulen des Friedens beziehungsweise der Friedfertigkeit gelten unter anderem solide Institutionen, eine gut funktionierende Regierung, Pressefreiheit, niedrige Korruptionsraten sowie eine geschäftsfördernde Umgebung.
Die wichtigsten Ergebnisse des Global Peace Index 2024 im Überblick
Negative Entwicklungen
Die 18. Ausgabe des Global Peace Index‘ zeigt deutlich, dass die weltweite Friedfertigkeit im Jahr 2023 erneut abgenommen hat, stärker als noch im Vorjahr. Während das durchschnittliche Niveau des globalen Friedens 2022 um 0,42 Prozent sank, waren es im Jahr 2023 noch einmal 0,56 Prozent. Insgesamt verschlechterten sich im letzten Jahr so viele Länder, wie noch nie zuvor seit Bestehen des Indexes.
Den Grund für die massive Verschlechterung der globalen Friedfertigkeit sehen die Autoren insbesondere im Gaza- sowie im andauernden Ukraine-Konflikt. Zugleich stelle der Bericht fest, dass „viele der Bedingungen, die großen Konflikten vorausgehen, höher sind als seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs“, alarmieren die GPI-Autoren. Derzeit gebe es 56 aktive Konflikte, „die meisten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.“ 95 Millionen Menschen sind aktuell auf der Flucht oder wegen eines gewaltsamen Konflikts aus ihrer Heimat vertrieben worden. Zugleich nimmt die Internationalisierung von Konflikten zu. 92 Länder seien mittlerweile in Konflikte außerhalb ihrer Grenzen verwickelt. Diese Zahl bringt das GPI mit dem zunehmenden Wettbewerb der Großmächte sowie dem Aufstieg von Mittelmächten in Verbindung. Besonders hohe Punktzahlen zeigen in Sachen Einmischung in externe Konflikte die USA, Russland, Iran und Frankreich. Allerdings verschlechterten sich in diesem Punkt 67 Länder, mit fünf der zehn größten negativen Veränderungen in afrikanischen Ländern südlich der Sahara.
Zunehmende Militarisierung
Von den insgesamt 23 Indikatoren des Global Peace Indexes gab es bei acht Verbesserungen, 13 verschlechterten sich, zwei blieben gleich. Die größte Verschlechterung zeigte sich in der weltweiten Militarisierung. Nachdem sich dieser Bereich in den vergangenen 16 Jahren stetig verbesserte, markiert 2024 laut GPI eine Kehrtwende: 108 Länder bewegten sich in Richtung einer zunehmenden Militarisierung. Den Hauptgrund dafür sehen die Autoren des Global Peace Index‘ in steigenden Militärausgaben. Ein Großteil dieser sei auf den Ukraine-Krieg zurückzuführen. Allein in Europa hätten 23 Länder im letzten Jahr mehr für ihr Militär ausgegeben. Eine Reihe weiterer Länder verpflichteten sich zudem, ihre Ausgaben in den kommenden Jahren zu erhöhen.
Deutlich verschlechtert hat sich auch der Bereich der andauernden Konflikte. „Während die meiste Aufmerksamkeit auf die Kriege im Gaza-Streifen und in der Ukraine gerichtet war, sind anhaltende Konflikte nach wie vor auf der ganzen Welt verbreitet“, heißt es im Global Peace Index. 85 Länder zeigen hier aktuell Verschlechterungen. Global am meisten verschlechtert haben sich die Indikatoren Finanzierung der UN-Friedenssicherung, Militärausgaben, Todesfälle durch externe Konflikte sowie ausgetragene externe Konflikte.
Afghanistan nicht mehr unfriedlichste Nation der Welt
Nach neun Jahren auf dem letzten Platz, darf Afghanistan in diesem Jahr weichen. Zum ersten Mal seit Bestehen des Global Peaces Index‘ ist der Jemen die unfriedlichste Nation der Welt. Gefolgt wird das Land vom Sudan, Südsudan, Afghanistan und der Ukraine. Die weltweit größte und viertgrößte Verschlechterung in Sachen Frieden überhaupt verzeichnen dahingegen Israel und Palästina. Die anderen Länder mit den größten Verschlechterungen sind Ecuador, Haiti und Gabon.
Verschlechtert hat sich auch Deutschland, das zwar weiterhin in den Top 20 der friedlichsten Länder rangiert, im Vergleich zum Vorjahr aber vier Plätze nach unten gerutscht ist und nun auf Rang 20 steht.
Regional verzeichnet Nordamerika die durchschnittlich größte Verschlechterung aller Regionen, mit signifikanten Einbrüchen der Friedfertigkeit sowohl in den USA als auch in Kanada. Dennoch bleibt der amerikanische Norden die drittfriedlichste Region der Welt, nach Europa und dem Asien-Pazifik-Raum. Der Nahe Osten und Nordafrika (kurz MENA für: Middle East and North Africa) bleiben weiterhin die weltweit am meisten von Konflikten und Gewalt betroffenen Regionen. Hier befinden sich vier der zehn unfriedlichsten Länder der Welt, darunter auch die beiden letzten Ränge.
Positive Entwicklungen
Island, das keine eigene Armee besitzt, behält seinen Status als friedlichstes Land der Erde bei. Diese Position hat es seit Einführung des Indexes inne. Die Plätze zwei bis fünf belegen Irland, Österreich, Neuseeland und Singapur. Sieben der zehn Länder an der Spitze des GPI befinden sich in Europa, womit Europa die friedlichste Region der Welt ist und bleibt. Zugleich verschlechterte sich auch hier die Friedfertigkeit im letzten Jahr, besonders im Bereich der Militarisierung, wo Europa aktuell seine schlechtesten Werte seit 2008 verzeichnet.
Am meisten verbessert hat sich dahingegen El Salvador, insbesondere in Sachen Mordrate und Sicherheitsempfinden seiner Bewohner. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate, Nicaragua und Griechenland zeigten sich im vergangenen Jahr deutlich friedlicher als zuvor.
Übergreifend gab es laut des Index‘ im vergangenen Jahr erhebliche Fortschritte bei mehreren Sicherheits- und Schutzindikatoren, darunter vor allem bei den gewalttätigen Demonstrationen: 64 Länder verbesserten und 60 verschlechterten sich in diesem Bereich. Besonders Kasachstan, Iran, Ukraine und Usbekistan machten Fortschritte. Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass gewalttätige Demonstrationen weiterhin weltweit ein Thema blieben. Allein 2023 erlebten 152 Länder mindestens eine. Fortschritte machte die Welt auch insgesamt hinsichtlich der Auswirkungen des Terrorismus, wobei die Todesfälle hier zugenommen haben. Der GPI erklärt das mit einer stärkeren Konzentration des Terrorismus. Ebenso gab es Verbesserungen hinsichtlich der Mordrate. Besonders in Zentralamerika und der Karibik wurden gleich in mehreren Ländern vergleichsweise weniger Menschen ermordet. Gleichzeitig weist der GPI darauf hin, dass die Region weiterhin die höchste aller Mordraten aufweist.
Auch interessant: Die großzügigsten Länder der Erde
Die 20 friedlichsten Länder der Welt im Global Peace Index 2024
1. Island
2. Irland
3. Österreich
4. Neuseeland
5. Singapur
6. Schweiz
7. Portugal
8. Dänemark
9. Slowenien
10. Malaysia
11. Kanada
12. Tschechien
13. Finnland
14. Ungarn
15. Kroatien
16. Belgien
17. Japan
18. Niederlande
19. Australien
20. Deutschland
Die 20 unfriedlichsten Länder der Welt im Global Peace Index 2024
144. Äthiopien
145. Palästina
146. Kolumbien
147. Nigeria
148. Myanmar
149. Burkina Faso
150. Zentralafrikanische Republik
151. Irak
152. Nordkorea
153. Somalia
154. Mali
155. Israel
156. Syrien
157. Russland
158. Demokratische Republik Kongo
159. Ukraine
160. Afghanistan
161. Südsudan
162. Sudan
163. Jemen
Global Peace Index 2020 Wo Nord- und Mittelamerika gefährlicher geworden sind
Global Peace Index 2020 Wo Südamerika am gefährlichsten ist – und wo es sicherer wird
Global Peace Index 2020 Wo Asien am gefährlichsten ist – und wo es sicherer wird
Kriegsführung im 21. Jahrhundert
Der aktuelle Global Peace Index legt einen besonderen Fokus auf Kriegsführung und gewaltsame Konflikte und untersucht, wie sich diese im 21. Jahrhundert verändern. Laut GPI nahmen sowohl die Konflikte als auch die Zahl der Kriegstoten in den letzten beiden Jahrzehnten „erheblich“ zu. Im Jahr 2022 habe die Zahl der Toten sogar ein Dreißig-Jahres-Hoch erreicht. Sowohl der Ukraine- als auch der Gaza-Konflikt verdeutlichen laut der Autoren „die verheerenden menschlichen Kosten und die Komplexität der modernen Kriegsführung“. Allein im Russland-Ukraine-Krieg sterben seit zwei Jahren pro Monat rund 2.000 Menschen – „während keine der beiden Seiten nennenswerte Fortschritte machte“. Der Gaza-Konflikt habe seit Oktober 2023 mehr als 35.000 Todesopfer gefordert und zu einer schweren humanitären Krise geführt. Im GPI werden beide Konflikte als „ewige Kriege“ beschrieben, verschärft „durch externe militärische Unterstützung, asymmetrische Kriegsführung und geopolitische Rivalitäten“. Und ohne eine Lösung in Sicht.
Konflikte komplexer und schwieriger zu lösen
Die Autoren verzeichnen zwei wichtige Trends, die die Kriegsführung im 21. Jahrhundert massiv beeinflussen: Militärtechnologie und geopolitischer Wettbewerb. So habe es etwa eine „Verlagerung weg von großen, auf Infanterie basierenden Streitkräften hin zu einer stärkeren Abhängigkeit von hochentwickelter Bewaffnung“ gegeben. Zwischen 2008 und 2024 hätten „112 Länder ihren Personalbestand an Streitkräften reduziert“. Zugleich habe der Einsatz von Drohnen stark zugenommen: allein nichtstaatliche Gruppen hätten ihre Drohnenangriffe seit 2018 um über 1.400 Prozent gesteigert, heißt es im GPI. Durch diesen Wandel seien Konflikte heutzutage komplexer und auch schwieriger zu lösen. Hinzu kommen geopolitische Verschiebungen: ein „Übergang von einer unipolaren, von den Vereinigten Staaten dominierten Welt zu einer multipolaren Welt“, wie es die Autoren schreiben. Traditionsmächte wie die USA und die EU seien an ihre Grenzen gestoßen, während China, Russland und regionale Mittelmächte um Einfluss ringen.
„Die Welt ist in den letzten 17 Jahren instabiler geworden, und die politische Instabilität, die Zahl der Konflikte, die Zahl der Todesopfer in Konflikten und die Zahl der gewalttätigen Demonstrationen haben erheblich zugenommen“, heißt es im Global Peace Index. Gleichzeitig gehe der Anstieg der weltweiten Gewalt „mit einem stärkeren Engagement für friedenserhaltende Maßnahmen der Vereinten Nationen einher“.