7. Januar 2020, 7:53 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Guatemala ist ein armes Land, und es ist ein reiches Land. Reich an alten Kulturstätten, Traditionen und faszinierenden Landschaften.
Brechbeutel in XXL-Format lassen Übles befürchten. Und dass auf den Sitzen des Kleinjets tatsächlich steht, diese könnten im Bedarfsfall schwimmen, hebt vor dem Start die Skepsis.
Doch der 33-minütige Flug zum See Petén Itzá geht glatt – und bringt den Reisenden von der Hauptstadt Guatemala-City in andere Sphären. Geografisch, klimatisch, kulturell. Weg vom Straßen-Kleinsthandel und Abgaswolken hoch in den Norden zu sagenhaften Mayakultur-Zeugnissen. Tikal, das Ziel aller Ziele für Guatemala-Reisende, liegt eine Fahrstunde entfernt, bei Hitze geht es durch üppiges Tropengrün.
Hochprozentiges für die Maya-Götter
Dort bereitet der Maya-Priester Gilberto Chayax ein Ritual auf dem Hauptplatz des Ruinenareals vor. Der 80-Jährige ist ein Bewahrer der zum Aussterben verdammten Mayasprache Itzaj, die heute nur noch 60 Leute sprechen, wie er sagt. Für die Neuankömmlinge entzündet er ein Feuer und richtet Worte an den „Schöpfer, der die Erde schuf, den Wald, die Tiere und all das, was wir sehen, auch uns selber“.
Chayax ist während der Segnung tief in sich versunken, er hat die Arme vor dem Körper verschränkt, die Augen sind geschlossen. Schluckweise nimmt der Priester einen Hochprozentigen und spuckt ihn direkt ins Feuer, sodass es knistert und aufschießt. Was er in seiner Litanei murmelt, gibt er später preis: Er habe für die Gäste „um Erlaubnis gebeten, Tikal und die heiligen Stätten zu besuchen“.
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140 Stufen in den Himmel
Die Anlage von Tikal zieht den Reisenden in die Vergangenheit der Maya. Sie war Herzstück eines mächtigen Regionalstaats, der bis etwa 900 nach Christus existierte. Bis zu 80.000 Menschen lebten hier, angeführt von Fürsten und Priestern. Stufentempel, Stelen und Verbindungswege sind bis heute Zeugnisse davon. Aber nur Teile Tikals sind bislang ausgegraben, erläutert der Reiseführer Emilio Faillace.
Das Highlight der Anlage ist die Große Pyramide. Der Aufstieg ist schweißtreibend, 140 Stufen führen in den Himmel. Die Blicke über den Regenwald und die Steinstrukturen sind dafür fantastisch.
Die Natur erobert die Ruinen
Aber Tikal ist nur eine Anlaufstation für kulturinteressierte Guatemala-Reisende. Ein Freilichtmuseum der Archäologie liegt auch in Yaxhá, nahe dem See selben Namens. Die weitläufige Mayastätte war Schauplatz für Sonnenkult und astronomische Beobachtungen.
Noch näher als in Tikal drängt sich der Dschungel in Yaxhá an die Ruinen heran, der sich das bebaute Terrain zurückholen will. Auf Tempelresten wachsen bereits riesige Bäume, Wurzelwerke umgreifen wie Tentakel die historischen Strukturen. Immer wieder hört man Schreie der Brüllaffen, sie gehen durch Mark und Bein.
Spanische Geschichte in La Antigua Guatemala
Ein späteres Kapitel der Geschichte zeigt sich im Landessüden. Hier gründeten die Spanier mit La Antigua Guatemala ihre Hauptstadt und hinterließen ein Konzentrat der Kolonialarchitektur aus Kirchen, Palästen und sonstigen Gebäuden mit kunstvollen Fassaden.
Das Ensemble überstand die Jahrhunderte aber nicht schadlos. Im Kreuzgang des einstigen Klosters La Merced verzeichnet eine Schautafel elf schwere Erdstöße und Beben zwischen 1564 und 1976. Deshalb ist von manchen Sakralbauten wie der Jesuitenkirche einzig das Gerippe geblieben und die urbane Bebauung ist niedrig gehalten.
Die Kleinstadt La Antigua Guatemala ist ein Weltkulturerbe. Auf die Frage, was ihre Heimat ganz besonders macht, hört sich die Antwort von Vivian Reguan (19) zunächst platt an: „die lebendigen Traditionen“. Doch dann erzählt sie, dass sie eine von wenigen Frauen der Bruderschaft Jesús Nazareno sei. „Bei unseren vielen Prozessionen tragen wir die Standarten“, berichtet Vivians Freundin Karla Mendez.
Chichicastenango – Schmelztiegel der Religionen
Ein anderes Glaubensziel im Hochland Guatemalas ist Chichicastenango, wo sich Christen- und Mayakult vermischen. Insbesondere die Wallfahrtskirche Santo Tomás steht dafür. Gebaut wurde sie von den christlichen Spaniern auf einem zerstörten Maya-Tempel. 18 Stufen führen hinauf zum Eingang – 18 Monate gab es im Maya-Kalender.
Am Portal stehen heute Mayapriester und -priesterinnen mit Blechdosen voller Räuchermittel, die auch das Innere der Kirche einnebeln. Dort gibt eine Melange aus Kerzenschein im Dämmerlicht und den Gebeten der Gläubigen, die den Weg zum Altar auf Knien zurücklegen, dem Gotteshaus eine mystische Aura.
Der Glaube ist tief verankert im Leben der Bewohner Chichicastenango. Tuk-Tuk-Fahrer Rigoberto Riquiac Conoz (35) sucht selbstverständlich immer einen Priester auf, „wenn die Geschäfte schlecht laufen“. Dessen Segnung kostet ihn 500 bis 1000 Quetzales, umgerechnet 60 bis 120 Euro. Eine Menge Geld in Guatemala.
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Selbst beim Abendspaziergang ein sicheres Gefühl
Donnerstags und sonntags, an den Markttagen, fallen Besuchermassen in Chichicastenango ein. Wer es ruhiger mag, kommt daher am besten während der übrigen Wochentage und erlebt ein Landstädtchen, das authentische Einblicke in den Lebensalltag Guatemalas gibt.
Ladeflächen von Pick-ups fungieren als Wühltische, in offenen Fleischereien baumeln an Haken fette, fliegenumlagerte Fleischlappen. Unzählige Straßenhunde streunen umher. Ein Highlight ist der Besuch des Friedhofs außerhalb der Stadt – eine Anlage voller bunter Mausoleen.
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Aufstieg zum Pacaya mit Stock und Gebet
An sämtlichen Stationen in Guatemala sind Vulkane Urlaubsbegleiter. Südlich von Guatemala-City lässt sich der 2552 Meter hohe Pacaya besteigen. Ein 2,8 Kilometer langer Weg führt vom Dorf San Francisco de Sales ausgehend aufwärts. Er ist nicht einfach, gerade das Endstück über steile Rampen aus Asche und Lava hat es in sich. Wer unten im Ort keinen Stock gekauft hat, mag das hier bereuen.
Juan Antonio Peralta (59) ist als Bergführer ungefähr 300 Mal auf den Vulkan gestiegen und jedes Mal bat er zuvor Gott um „Schutz für meine Gäste und mich“, sagt Peralta. Denn der Pacaya ist aktiv. Daher endet der kräftezehrende Trail auch mit Sicherheitsabstand am Kraterrand gegenüber dem Kegel.
Trotzdem fühlt man sich dem Krater nahe: Je nach Windrichtung schickt der Pacaya Schwefelgestank als Gruß hinüber und schleudert gelegentlich Gesteinsbrocken heraus. Ziehen Wolken auf, stürzt zugleich die Temperatur ab. Dann drohen die Bergwanderer auszukühlen. Da ist es gut, dass unweit die Erde kocht und der Boden unter den Füßen am Endpunkt der Wanderung wohltemperiert ist – einfach hinlegen und die Vulkanwärme in den Rücken ziehen lassen.