12. März 2022, 15:51 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Der Isla Holbox an Mexikos Karibikküste eilt der Ruf als Trauminsel voraus. Dabei gibt es offensichtliche Störfaktoren: eine Algenplage, Drogen und zunehmenden Lärm. Wie passt das zusammen?
Vor der Anreise auf die Insel Holbox steht die Frage: Wer kommt überhaupt hierher? Sind es gut situierte Paare, die romantische Selfies an paradiesischen Stränden schießen? Sind es gealterte Aussteiger und junge Backpacker, die in rustikalen Bars zum Bier zusammenkommen? Oder sind es längst die amerikanischen Pauschaltouristen, wie man sie auch in den Urlaubszentren weiter südlich antrifft?
Die Isla Holbox liegt im Norden der Halbinsel Yucatán zwischen dem Golf von Mexiko und dem Karibischen Meer. Sie gilt als tropische Trauminsel, ein Etikett mit Strahlkraft, das im Kopf sogleich Bilder erzeugt – von weißen Stränden, windschiefen Palmen, auch vom Charme eines abgelegenen Ortes. Und von Ruhe suchenden Zeitgenossen, die diese Kulissen beleben. Nicht von Algenteppichen und Partylärm.
Das Paradies wartet am Ende der Straße
Die gemächliche Anreise nach Holbox passt zunächst zum Bild, das der Kopf gezeichnet hat. Eine schmale Straße bahnt sich den Weg durch kleine Dörfer bis zum Meer. Kurz vor ihrem Ende grasen links der Fahrbahn noch ein paar Kühe in einer Umzäunung, dann folgt eine letzte unfertige Tankstelle wie ein verlassener Weltraumhafen. Im Küstendorf Chiquilá wartet die Fähre. Hier ist man gefühlt schon weit weg von Cancún und Playa del Carmen, den nahen Zielen des Massentourismus an der Riviera Maya, überlaufen trotz Corona und Omikron-Welle.
Auf dem Deck der Fähre zerzaust der Wind die Haare so gründlich, als wollte er alle Sorgen im Kopf endgültig zerstreuen. Sitzt man ganz außen, spritzt das Wasser manchmal bis hinauf, sodass man Salz auf den Lippen schmeckt – welch passender Vorgeschmack.
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Ohne den Strand ist alles nichts
Die Sehnsucht nach der tropischen Trauminsel ist so alt wie der moderne Tourismus. Holbox bringt erst einmal passende Voraussetzungen mit. Das ganze Jahr über ist es tropisch warm. Die Nordseite des 42 Kilometer langen, aber ganz schmalen Eilands besteht zu großen Teilen aus einem einzigen Sandstrand. Vom Festland ist Holbox durch die Yalahao-Lagune getrennt, deren Wasser von den Mangroven dunkel gefärbt ist. Daher der Name Holbox: „schwarzes Loch“.
Im Westen der Insel liegt die einzige Ortschaft, die so heißt wie die Insel selbst. Rund um die zentrale Plaza finden Besucher fußläufig Supermärkte, Geschäfte, Restaurants, Cafés und Bars. Auf vielen Häuserfassaden wartet Street Art lokaler Künstler darauf, von den Urlaubern in Instagram-Beiträgen verewigt zu werden.
Der allergrößte Teil der Insel ist dagegen unerschlossen. Ein Biosphärenreservat schützt die sensiblen Küstenbereiche.
Keine Autos, aber trotzdem Motorenlärm
In nahezu jedem Bericht über Holbox wird gepriesen, dass die Insel autofrei ist – ein Merkmal, das die vermeintliche Ruhe und den entschleunigten Alltag unterstreichen soll. Tatsächlich fahren auf Holbox keine Autos. Als Taxis fungieren Golfcarts, deren Nutzen direkt einleuchtet. Doch sobald man einen Fuß auf die Insel setzt, vernimmt man ständig das Knattern ihrer Motoren. Das Idealbild von der angeblich so ruhigen Insel bekommt erste Risse.
Dem Trubel des Zentrums lässt sich entkommen, wenn man bereit ist, hinreichend Geld auszugeben. Im Ort finden sich Hostels und günstigere Hotels ohne Meerblick. Wer aber in Premiumlage direkt am Strand nächtigen möchte, um seinen Aufenthalt auf der Trauminsel auch angemessen würdigen zu können, zahlt gerne mal mehrere Hundert Euro pro Nacht. Die Beach-Resorts sind meist „upscale“, gehoben also. Die einfache und preiswerte Strandhütte sucht man vergeblich.
Praktisch allen Unterkünften ist gemein, dass das WLAN die meiste Zeit nur unzuverlässig funktioniert. Das kann man begrüßen oder bedauern, je nach Erwartungshaltung. Im besten Fall kann es dabei helfen, die innere Unruhe zu zähmen. Kommt man für längere Zeit als nomadischer Laptop-Arbeiter nach Holbox, kann es anstrengend werden. Zumindest, wenn man durchgehend schnelles Internet braucht.
Bist du noch Tourist oder schon Aussteiger?
Eine Besonderheit von Holbox: Hier kommen tatsächlich viele Typen von Reisenden auf relativ begrenztem Raum zusammen. Da sind die Paare auf der Suche nach einem romantischen Liebesnest. Man trifft Backpacker, die auf ihrer Mexiko-Rundreise einmal durchatmen wollen. Hipster mit Rollkoffer und ökologischem Bewusstsein, die einen guten Flat White zu schätzen wissen (und auf Holbox auch bekommen). Sie sind sonst vielleicht im etwas elitären Tulum anzutreffen.
Und da sind junge Frauen und Männer aus Europa und den USA, die mehrere Wochen bleiben, in den Cafés jobben und unter Mexikos Sonne immer schöner werden.
Sie alle haben auf Holbox im Grunde nicht viel zu tun. Die Zahl der möglichen Aktivitäten ist angenehm begrenzt. Man kann hinunter zum Punta Cocos spazieren oder in anderer Richtung am Strand über eine große Sandbank bis zum Punta Mosquito.
Das flache Wasser am Playa Holbox macht Schwimmen schwierig, aber lädt zu Kitesurf-Versuchen ein. Organisierte Bootsausflüge bieten Einblicke in die Vogelwelt. So gibt es etwa Flamingos zu sehen. Auf Biolumineszenz-Touren lassen sich nachts schimmernde Lagunen erkunden, in denen Kleintiere Licht erzeugen.
Das große Naturspektakel auf Holbox sind die Walhaie, die sich auf Bootstouren und Tauchgängen bestaunen lassen. Allerdings nur in der Nebensaison, im regnerischen Sommer. Die nicht asphaltierten Sandpisten können dann oft komplett überschwemmt sein, was mitunter durchwachsene Reiseberichte nach sich zieht.
Die Algenplage lässt sich nicht ignorieren
Die naheliegendste Aktivität auf Holbox ist sicherlich das Nichtstun am Strand. Wie es sich für eine Trauminsel gehört. Doch der ikonische Sehnsuchtsort hat ein Problem, das kaum zu lösen ist.
Seit einigen Jahren schwimmt im Ozean das größte Braunalgen-Feld der Erde, der sogenannte Große Atlantische Sargassum-Gürtel. Über die Ursachen für das starke Wachstum und die Folgen für die Umwelt diskutiert die Fachwelt. Manche Forscher machen zum Beispiel Dünger verantwortlich, der aus dem Amazonas-Gebiet ins Meer gelangt.
Fakt ist: Das Seegras landet an vielen Stränden der Karibik in so großer Menge, dass man es oft kaum abtransportieren kann. Es hat einen leicht fauligen Geruch. Auch die Riviera Maya hat mit den Algen zu kämpfen, Holbox ist ebenso betroffen. Die mexikanische Regierung hat schon viel Geld in die Beseitigung gesteckt, doch es ist eine beispielhafte Sisyphos-Arbeit: Man ist nie fertig.
Je nach Wind und Gezeiten bilden sich an der Playa Holbox ausgedehnte Seegras-Teppiche. Die braune Masse verschluckt den schönen Sand. In Foren tauschen sich Urlauber über die aktuelle Algensituation aus. Viel Seegras ist für manche ein klares Ausschlusskriterium.
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Party bis zum Morgengrauen
Und dann gibt es auf Holbox noch etwas, das nicht ganz zum Image eines noch immer beschaulichen Urlaubsparadieses passt: Party, Rausch und Drogen. Auf Holbox wird gefeiert. Wenn man will, jede Nacht.
Abends füllen sich die Lokale mit ausgehfreudigen Menschen, von der einfachen Kneipe bis zur schicken Tapasbar. Manchmal wird drinnen getanzt, etwa wenn eine Salsa-Band aufspielt, später dann auch draußen auf der Straße, vor der Bar „The Hot Corner“.
Wenn um 1.00 Uhr wegen aktueller Vorgaben die Corona-Sperrstunde greift, ziehen alle weiter zum Club „Black Trebol“. Vor der Tür bildet sich eine lange Schlange. Manchmal rückt sogar die örtliche Polizei an, um das Chaos zu entwirren. Andere Dinge passieren dagegen unbehelligt von den wenigen Gesetzeshütern der Insel.
Im Club legt ein DJ elektronische Musik auf, die Menschen tanzen um einen Pool durch die Nacht. Hier finden alle Hedonisten zu sich selbst, teils angetrieben von einer Substanz, um die in Mexiko buchstäblich Krieg geführt wird: Kokain. Alle paar Minuten verzieht sich jemand auf die Toilette, um das weiße Pulver zu schnupfen.
In den Touristenzentren an der Riviera Maya kommt es mittlerweile regelmäßig zu Auseinandersetzungen der Drogenbanden. In Tulum zum Beispiel starben im Oktober 2021 zwei Touristinnen bei einer Schießerei rivalisierender Gruppen, darunter eine Deutsche. Auf Holbox ist die Gewalt noch nicht angekommen. Die Drogen schon.
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Auf der Suche nach Ruhe
Das abendliche Partytreiben im Zentrum kann die Erwartungen an Holbox enttäuschen. Manch einer sucht vor allem Ruhe, doch das gewählte Hotel liegt neben einer Bar mit lauter Musik bis weit in die Nacht. Um solche Fehlgriffe zu vermeiden, empfehlen sich die Rezensionen anderer Urlauber auf den Buchungsplattformen.
Spaziert man abends über die Sandwege vom Ort weg und hinein in die Botanik, verschwindet das künstliche Licht schnell. Der Himmel sieht plötzlich aus wie ein pechschwarzer Teppich voller funkelnder Perlen. Stille liegt über der Landschaft, kaum ein Laut ist zu hören.
Früher sei die Insel ruhig gewesen, erzählt die Verkäuferin eines Souvenirgeschäfts. Heute gebe es zu viel Lärm. Und die Expansion hält an. Zahlreiche Bauprojekte im Südwesten der Insel zeugen davon, dass der Tourismusboom noch längst nicht zu Ende ist.
Man müsse zum Sonnenaufgang auf die Sandbank und die Geräusche der Natur genießen, rät die Mexikanerin in ihrem Shop. Man müsse nach El Cujo, empfiehlt ein anderer Einheimischer. Der Küstenort weiter im Westen sei wie Holbox vor zehn Jahren. Eine hübsche Vorstellung. Nur hat man nicht den Eindruck, dass viele das wollen.
Einreise und Corona-Lage:
Deutsche Staatsangehörige brauchen für die Einreise nach Mexiko nur einen gültigen Reisepass. Corona-Nachweise sind nicht nötig. Auszufüllen ist eine Touristenkarte, die bis zum Ende der Reise aufbewahrt werden muss. Die Corona-Regeln sind regional verschieden und orientieren sich an einem Ampelsystem. Holbox gehört zum Bundestaat Quintana Roo.
Anreise:
Eurowings Discover und Condor fliegen von Deutschland aus nonstop nach Cancún. Von dort und anderen Touristenorten wie Playa del Carmen fährt man mit Bus, Privattransfer oder Mietwagen in rund zwei bis drei Stunden nach Chiquilá. Weiter geht es mit der Fähre in etwa einer halben Stunde Überfahrt nach Holbox.
Klima und Reisezeit:
Das Klima ist ganzjährig tropisch. In der weniger heißen Hochsaison von Dezember bis Mai sind die Temperaturen angenehmer. Im Sommer herrscht Regenzeit. Nur dann lassen sich allerdings die Walhaie beobachten.