9. September 2024, 7:25 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Japans Liebe zu Ordnung und Sauberkeit ist weltberühmt, nicht erst seit dem Hype um die Aufräum-Expertin Marie Kondo. Dabei gibt es in dem asiatischen Land kaum Kehrwagen oder Mülleimer. Wie sauber kann das also sein? TRAVELBOOK-Autorin Doris Tromballa hat das auf ihrer ersten Japan-Reise erforscht.
Ich bin ein Ordnungsfreak. Ich verschlinge Tipps zur perfekten Schubladen-Organisation und miste jedes halbe Jahr leidenschaftlich Küche und Kleiderschrank aus. Oft habe ich über Japans Liebe zur Ordnung und Sauberkeit gelesen. In diesem Land sollte ich mich also so richtig wohl fühlen, oder?
Der erste Eindruck von Japans Ordnung
Schon während der ersten Stunden in Tokio habe ich verstanden, woher Japans Ruf als extrem sauberes Land kommt. Blitzblanke Straßen, Bürgersteige, U-Bahnhöfe und Unterführungen. Kein Müll, der durch die Gegend flattert, keine Zigarettenstummel, kein Graffiti. Die Redensart, man könne irgendwo „vom Boden essen“, muss in Japan entstanden sein. Durch die Straßen fahren dabei keine dröhnenden Kehrwagen: Müllwerker schieben kleine Handkarren mit verschiedenen Fächern (Plastik, Papier, etc.) diskret durch die Stadt.
Mit Greifern und langen Pinzetten werden akribisch Zettel aufgesammelt, Blätter unter Bänken herausgezupft und in das passende Fach sortiert. Besonders angenehm: Auch Hundekot gibt es nirgends. Einmal sah ich einen Hundebesitzer, der nicht nur das Häufchen seines Hundes mit einer Tüte aufnahm, sondern anschließend noch den Gehweg mit einer Sprühflasche und Tüchern reinigte. Solche Szenen haben mir gezeigt, wie ernst Japaner ihre Sauberkeit nehmen.
Wohin mit dem Müll?
Ein Snack aus dem Supermarkt, ein Kaffee aus dem Automaten, eine alte Eintrittskarte vom Shinto-Schrein – und jetzt? Wer in Japan Mülleimer im öffentlichen Raum sucht, sucht meist vergebens. Denn es gibt praktisch keine. Und das hat einen traurigen Grund: 1995 verübte die Aum Shinrikyo-Sekte einen Anschlag, bei dem Päckchen mit Giftgas in einer Tokioter U-Bahn-Station deponiert wurden. 13 Menschen starben, mehr als 1000 wurden verletzt. Danach wurden alle Mülleimer in der Öffentlichkeit abmontiert, um mögliche Ablageplätze für Bomben zu entfernen.
In den ersten Tagen meines Japan-Trips habe ich mich deshalb ab und zu in die kleinen Supermärkte geschlichen, um meinen Müll dort zu entsorgen. Denn auf den Straßen findet man bestenfalls Recyclingcontainer für Dosen oder Plastikflaschen. Aber schnell habe ich gelernt: In Japan nehmen alle eine kleine Plastiktüte mit, sammeln ihren Müll und werfen ihn zuhause weg. Und schließlich habe ich auch das Geheimnis um die rätselhaften „Fischernetze“ gelüftet, die ich angebunden an Zäune oder Laternenpfähle gesehen habe. Darin wird der Recyclingmüll aus den Privathaushalten deponiert, natürlich ordentlich getrennt und in Mülltüten verpackt.
Schuhwechsel ist in Japan ein Ritual der Ordnung
Schon beim Buchen der Unterkünfte war mir aufgefallen, dass ich jedes Mal auf eines hingewiesen wurde: Bitte unbedingt Schuhe ausziehen beim Betreten der Wohnung! Für mich ohnehin eine Selbstverständlichkeit, aber Japan macht aus dem Schuhwechsel ein Ritual der Ordnung. Fast immer werden Gästen nicht nur Hauspantoffeln zur Verfügung gestellt, sondern noch ein zweites Paar Schlappen. Die zieht man an, wenn man ins Badezimmer oder auf die Toilette geht. Dabei werden die Schuhe beim Wechseln immer „in Fahrtrichtung“ abgelegt: Straßenschuhe zeigen zur Tür, Pantoffeln in den Raum. Diese kleinen Details zeigen, wie sehr die Japaner Ordnung und Sauberkeit schätzen, und auch ich begann schnell, meine Schuhe in die richtige Richtung zu drehen.
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Rauchen verboten
Nicht nur in den Metropolen, sondern auch in vielen kleinen Orten in Japan habe ich auf den Gehwegen aufgepinselte „Rauchen verboten“-Markierungen gesehen. Zwar gibt es in Japan keine entsprechende Gesetzgebung, die Rauchen auf der Straße untersagt, aber viele Städte und Gemeinden legen diese Regel für sich selbst fest, vor allem in belebten Stadtvierteln. Kippe aus gilt auch an Bushaltestellen, in Gärten und natürlich Tempelanlagen. Und die Menschen in Japan halten sich daran.
Deshalb habe ich nirgends Zigarettenstummelhaufen gesehen. Wer qualmen will, darf das in speziell ausgewiesenen Raucherbereichen – oft hinter Stahlwänden versteckt oder in Glaskabinen. Umso erstaunter war ich, dass man in manchen Hotels noch Raucherzimmer buchen kann und auch damit rechnen muss, dass beim Essen am Nebentisch gequalmt wird. Das liegt daran, dass Japan erst 2020 ein Nichtraucherschutzgesetz verabschiedet hat. Hotels und Restaurants, die es vorher schon gab, sind laut „Japan Travel“ von der Regel vorerst ausgenommen. Aber wo Rauchen erlaubt ist, gibt es auch immer Aschenbecher, damit die Kippe nicht auf der Straße landet.
Selbstbedienung mit Verantwortung
Japan, das bedeutet grandioses Essen! Die Mehrzahl der deutschen Touristen nennt die japanische Küche sogar als Hauptreisegrund. Als besonderes Erlebnis empfand ich die „Foodhalls“. Diese nehmen meist ganze Stockwerke in Kaufhäusern oder Shoppingcentern ein und beherbergen mehrere verschiedene Garküchen oder Selbstbedienungsrestaurants. Gerade zur Mittagszeit füllen sich die Tische mit Menschen, jeder hat etwas anderes auf dem Tablett.
In den meisten Foodhalls gibt es aber nicht nur Essensstände, sondern auch eine Reinigungsstation. Auf einer kleinen Anrichte stehen Reinigungsmittel, Lappen und Tücher. Beeindruckend: Nach dem Essen gingen alle zur Reinigungsstation, bewaffneten sich mit einer kleinen Putzausrüstung und wischten ihre Tische wieder sauber. Auch an Autobahnraststätten oder Imbissecken im Supermarkt bemerkte ich, dass es völlig normal ist, seinen Platz nach dem Essen selbst zu reinigen. Eine sehr respektvolle Geste den anderen gegenüber.
Taschentücher sind ein ständiger Begleiter
Sie türmen sich vor jedem japanischen Drogeriemarkt in Multipacks und sind immer im Angebot: Taschentuchboxen. Auch in meinen Unterkünften durften die Kistchen mit den Tüchern nicht fehlen – oft war jeder Raum mit mindestens einer Box ausgestattet. Sogar in Kleidungsgeschäften oder Supermärkten waren die Taschentücher nie weit. Als Feuchttuch-Version habe ich sie in jedem Restaurants und an jedem Imbiss bekommen.
Sie liegen als Einzelpacks bei den Stäbchen am Tisch und man reinigt sich damit die Hände vor dem Essen. Darüber hinaus sind Taschentuchpäckchen ein beliebtes Werbegeschenk und werden mit Aufdrucken von Fitnessstudios, Optikern und sogar Banken verteilt. Eine clevere Idee, denn in einer Umfrage gaben 76% der Befragten in Japan an sie würden ein Taschentuchpäckchen mit Werbelogo gern mitnehmen, wohingegen Flyer meist abgelehnt werden. Und so wurden auch in meiner Handtasche zwei Päckchen Taschentücher (eins feucht, eins trocken) schnell zu festen Reisebegleitern in Japan.
Müllvermeidung ist trotz allgemeiner Ordnung in Japan kein Thema
Was mich jedoch verwunderte, war der Umgang mit Verpackungen in Japan. Trotz der allgemeinen Sauberkeit scheint Müllvermeidung nicht im Vordergrund zu stehen. Viele frische Lebensmittel im Supermarkt sind einzeln verpackt: Ein Apfel im Schaumstoffkranz und Plastikfolie, eine Minigurke in Plastiktüte und goldenem Klebebändchen, sogar Kartoffeln werden als Einzelstück in Plastik angeboten. Mini-Portionen Fleisch und Fisch kommen in überdimensionalen Schalen, Schokolade, Kekse und Süßigkeiten in Einzelportionen innerhalb einer größeren Tüte.
Dazu gibt es am Ausgang jedes Supermarktes in Japan sogenannte Einpackstationen: Lange Tische, an denen man in Ruhe seine gekauften Lebensmittel in die eigenen Körbe oder Taschen sortieren kann. Ich fand das eigentlich sehr praktisch, weil das hektische Einpacken nach dem Zahlen wegfällt. Aber an jeder Einpackstation hängen riesige Rollen mit kleinen Plastiktüten – und viele Japaner packen ihre schon verpackten Lebensmittel dort nochmal in eine Extraschicht Plastik. Dieser Widerspruch hat mich überrascht, in einem Land, das sonst so viel Wert auf Naturverbundenheit legt.
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Wie sauber ist Japan wirklich?
Für mich als Clean-Freak hat sich Japan schnell wie ein zweites Zuhause angefühlt. Keine Zigaretten, kein Hundedreck, kein Vandalismus. Man spürt, dass Ordnung und Sauberkeit ein fester Bestandteil des japanischen Selbstverständnisses ist: Du sollst nicht stören! Allerdings: Die allgegenwärtigen Plastikverpackungen, selbst für die kleinsten Produkte, erscheint mir paradox in einem Land, das sonst so auf Sorgfalt achtet. Hier könnte Japan, denke ich, noch mehr tun, um seine Liebe zur Sauberkeit auch auf die Umwelt auszudehnen.