10. September 2022, 6:03 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
„Stadt der tausend Pagoden“ wird Bagan genannt. Die Welterbestätte gilt als eine der wichtigsten Tempelanlagen in Südostasien. Für viele war der Tourismus die Haupteinnahmequelle. Seit dem Militärputsch kommt niemand mehr.
Der Name Bagan ruft in den Köpfen von Globetrottern sofort magische Bilder hervor. So weit das Auge reicht ragen rötliche Pagoden mit ihren ikonischen Spitzen aus der grünen Ebene. Das Szenario wirkt wie aus einem Märchen. Verträumt, fast unwirklich schön. „Ein mystischer Ort“, sagt eine Deutsche, die schon vor 20 Jahren in die alte Königsstadt im heutigen Myanmar gereist war. Die Erinnerungen sind auch nach all der Zeit noch präsent. „Bagan ist einer der wenigen Orte, an die ich immer wieder zurückreise – in Gedanken“, sagt sie. Seit 2019 gehört die Stadt mit ihrer Stupa-Landschaft zum Weltkulturerbe der Unesco.
Tausende Menschen getötet
Wer Bagan noch nicht besucht hat, muss den Traum aber nun wohl erst einmal auf Halde legen. Seit dem Militärputsch im vergangenen Jahr liegt der Tourismus im früheren Birma – das nach jahrzehntelanger Abschottung unter der Regierung von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi endlich demokratische Reformen eingeleitet hatte – komplett am Boden.
In dem buddhistischen Land, das Reisende in besseren Zeiten immer wieder als friedvoll und geradezu idyllisch bezeichnet haben, regieren seither Chaos, Angst und Gewalt.
Die im Februar 2021 entmachtete Suu Kyi (77) sitzt in Einzelhaft im Gefängnis und wird vom Militär immer neuer angeblicher Vergehen bezichtigt. Tausende Menschen wurden schon getötet, zuletzt ließen die Generäle mehrere bekannte Regimekritiker barbarisch hinrichten. In so einem Land machen nur Todesmutige Urlaub – auch wenn die Junta seit einigen Monaten versucht, den für die Wirtschaft wichtigen Sektor wiederzubeleben und vermeintliche Stabilität vorzugaukeln.
Nur wenige Airlines steuern Krisenland an
Der Flughafen von Yangon (früher: Rangun) ist mittlerweile für kommerzielle Flüge geöffnet, aber nur wenige Airlines steuern das Krisenland an – zumeist über Bangkok oder Kuala Lumpur. Zudem können wieder Interessenten aus 100 Ländern, darunter auch aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, online ein Touristenvisum beantragen. Aber wer will das schon, unter solchen Bedingungen? Was aus Myanmar heraus dringt, ist blanker Horror.
„Die meisten jungen Leute aus Bagan sind in die großen Städte wie Yangon und Mandalay abgewandert“, sagt der Geschäftsmann Ko Min, der in der alten Königsstadt aufgewachsen ist und als Schuljunge – wie so viele andere – mit dem Verkauf von Postkarten und Blumen an Touristen Geld verdient hatte.
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Menschen aus Bagan müssen sich neue Jobs suchen
„Sie müssen sich jetzt andere Arbeit suchen, etwa als Bauarbeiter oder in Bars und Restaurants.“ Denn viele Familien in der Tempelstadt standen erst durch die Corona-Pandemie und dann durch den Umsturz plötzlich vor den Trümmern ihrer Existenz.
Kyaw Kyaw aus Bagan, der seit zehn Jahren in Yangon in der Buchproduktion arbeitet, hat mittlerweile seine jüngeren Geschwister zu sich in die Großstadt geholt. „Der Rest meiner Familie ist in Bagan, aber sie haben keine Arbeit mehr.“
Mit einem Teil seines Gehalts unterstützt er die Volksverteidigungsstreitkräfte: junge Männer aus dem zivilen Widerstand, die mittlerweile mit Waffen für die Freiheit des Landes kämpfen und im dichten Dschungel für den Kampf gegen die Armee trainieren. Auch aus Bagan hätten sich viele der „People’s Defence Force“ angeschlossen, erzählt Kyaw Kyaw.
Die Pagoden von Bagan schlummern derweil weltvergessen an der Biegung des Flusses Irrawaddy. „Die Welterbestätte umfasst acht Teilgebiete mit über 3500 Denkmälern, die gemeinsam mit der von Flüssen, Seen, Höhlen, Hügeln und Ackerland geprägten Landschaft eine atemberaubende Atmosphäre schaffen“, schwärmt die Unesco auf ihrer Webseite.
Bagan zählt zu wichtigsten Kulturstätten in Südostasien
Vom 11. bis zum 13. Jahrhundert sei die Tempelstadt in der Zentralebene das Herz des größten buddhistischen Reiches im Mittelalter gewesen, heißt es weiter. „Die Königsstadt spielte eine herausragende wirtschaftliche, politische und religiöse Bedeutung und war das Zentrum der Bagan-Zivilisation.“ Zusammen mit den Tempeln von Angkor in Kambodscha und dem Weltwunder Borobodur auf Java zählt Bagan zu den wichtigsten archäologischen Stätten in ganz Südostasien.
2019 kamen offiziellen Zahlen zufolge 4,3 Millionen internationale Touristen nach Myanmar. Die meisten reisten auch nach Bagan. Immer gab es bessere und schlechtere Zeiten – letztere etwa in der Regenzeit zwischen Juli und September, wenn der Besucherstrom abnahm. „Normalerweise kommen wir zurecht und wissen, wie wir solche Flauten überstehen können“, sagt Geschäftsmann Ko Min. „Aber zunächst mit Covid und dann mit dem Putsch sind es nun schon fast drei Jahre, und wir wissen nicht, was werden wird.“
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Länder raten dringend von Trips ab
Viele verkaufen bereits ihre Grundstücke, um zu überleben. Andere haben einstige Touristenrestaurants in Tee-Shops für Einheimische umgewandelt, unter massiven finanziellen Einbußen. „Ich mache mir Sorgen, ob Bagan sich überhaupt noch einmal erholen wird.“ Die Regierungen der meisten Länder raten dringend von Trips in das krisengebeutelte Land ab. „Vor Reisen nach Myanmar wird derzeit gewarnt. Deutschen Staatsangehörigen wird empfohlen, das Land zu verlassen“, heißt es etwa auf der Webseite des Auswärtigen Amtes.
Laut Junta-Daten sollen zwischen April und Juni dennoch mehr als 42.000 Ausländer vor allem aus China, Indien und Thailand eingereist sein. Jedoch waren sie nicht zum Spaß da, sondern fast ausnahmslos auf Geschäftsreise.
„Wer kommt schon zum Spaß nach Myanmar?“, fragt auch Paing Paing Thaw, die bis zum Putsch ein erfolgreiches Reiseunternehmen für europäische und amerikanische Gäste geführt hat. Fast jeder ihrer Kunden sei auch nach Bagan gereist, erzählt sie. Nun aber sind die Hotels und Lokale dort geschlossen, und auch sie musste ihre Firma dicht machen. Seither hat Paing Paing kaum noch ein Einkommen. Aber die Sicherheit gehe vor, sagt sie: „Selbst wenn Touristen kämen, würde ich mich nicht trauen, die Reise für sie zu organisieren.“