12. März 2021, 11:03 Uhr | Lesezeit: 11 Minuten
Im Januar wies Portugal noch die höchsten Corona-Neuinfektionsraten der Welt auf, mittlerweile zählen die Inzidenzen zu den niedrigsten in Europa. TRAVELBOOK sprach mit der portugiesischen Staatssekretärin für Tourismus, Rita Marques, über die Erwartungen für 2021, den „grünen Pass“ und chinesische Investitionen in die Branche.
Seit Oktober 2019 ist Rita Marques Staatssekretärin für Tourismus in Portugal und damit verantwortlich für einen Sektor, der vor der Pandemie rund 9 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beitrug. Reisen nach Portugal boomten – dann kam Corona und setzte dem Wachstum ein jähes Ende. Wie andere touristische Destinationen auch hofft Portugal nun darauf, dass sichere Reisen bald wieder möglich sein werden. TRAVELBOOK fragte Marques zur aktuellen Situation sowie den Herausforderungen und Plänen Portugals in dieser Pandemie.
Rita Marques über die Möglichkeit baldiger Portugal-Reisen
TRAVELBOOK: Wann werden Reisen nach Portugal wieder möglich sein?
Rita Marques: „Wenn es von mir abhängen würde, wäre das schon heute. Aber Reisen sind aus epidemiologischen Gründen weiter eingeschränkt. Zuletzt hat sich die Situation in Portugal jedoch sehr positiv entwickelt. Zurzeit sind wir in der Europäischen Union das Land, das mit die besten Zahlen bei der Bekämpfung von Covid-19 aufweist. Nichtsdestotrotz werden wir Reisen auf einen späteren Zeitpunkt verschieben müssen.“
Auf wann?
„Ich bin überzeugt, dass wir ab Mai die Bedingungen haben, um Reisen allmählich wieder ermöglichen zu können, indem wir nach und nach die Beschränkungen aufheben.“
»Die aktuellen Beschränkungen erzielen die Wirkung, die sie sollten
In der ersten Pandemie-Phase gab es viel Lob für Portugal – Ende Januar 2021 wies das Land plötzlich die höchsten Neuinfektionszahlen weltweit auf. Wird das Vertrauen in Portugal darunter leiden?
„Ich glaube, wir sind uns alle einig, wenn ich sage, dass das Image Portugals aufgrund der Bilder, die durch die Medien gingen, Schaden genommen hat. Wenngleich diese Bilder sich nicht sehr von denen unterschieden, die man bereits aus anderen Ländern in Europa und sogar Mitteleuropa kannte. Selbstverständlich hätten wir das gern vermieden. Ich bin allerdings überzeugt, dass wir uns im internationalen Vergleich sehr schnell erholen werden. Auch weil das, was uns all die Jahre als eines der besten touristischen Ziele der Welt ausgezeichnet hat, nicht von der Pandemie betroffen ist. Nun müssen wir die Zeit gut nutzen, um am Image Portugals zu arbeiten. Und das Beste, was wir tun können, ist, bestmöglich auf die Pandemie zu reagieren – so wie wir es derzeit tun. Die aktuellen Beschränkungen erzielen die Wirkung, die sie sollten. Unsere Infektionszahlen liegen zurzeit unter denen anderer Länder in Europa. Auf diese Weise können wir die Glaubwürdigkeit Portugals wiederherstellen.“
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Über die Einstufung Portugals als Risikogebiet
Trotz niedriger Inzidenzen stuft das Robert-Koch-Institut Portugal größtenteils weiter als Risikorisikogebiet ein. Ist das gerechtfertigt?
„Die Situation ist sehr volatil. Ich bin mir sicher, dass Deutschland und auch andere Länder die Situation auf Basis der epidemiologischen Daten regelmäßig neu bewerten werden. Aus diesem Grund bereitet mir die derzeitige Situation keine Sorgen. Besorgt wäre ich, wenn wir in einigen Monaten immer noch als Risikogebiet eingestuft würden, obwohl die Infektionszahlen zu unseren Gunsten sprechen.“
Hinweis:
Seit dem 12. März gilt Portugal laut RKI nicht mehr als Virusvarianten-Gebiet. Auch gelten die Regionen Alentejo, Centro und Norte sowie die autonome Region Azoren nun nicht mehr als Risikogebiete. Die Algarve, der Großraum Lissabon und die autonome Region Madeira jedoch bleiben weiter als Risikogebiet eingestuft. Das Interview mit Rita Marques fand vor der Entscheidung des RKI statt.
Und was, wenn die Reisebeschränkungen dennoch bestehen bleiben?
„Ich glaube nicht, dass dies passieren wird. Neben den individuellen Übereinkünften der Länder gibt es einen gemeinsamen Rahmen, der von der Europäischen Kommission festgelegt wird und klare Regeln und Parameter vorgibt, welche Länder als rote, orangefarbene oder grüne Regionen gelten. Die EU-Kommission hat diese Parameter erarbeitet, und sie spiegeln bereits jetzt die positive Entwicklung Portugals wider. Angesichts von Fakten gibt es kaum Gegenargumente.“
»Portugal arbeitet daran, sichere Reisen zu ermöglichen
Sie haben kürzlich in einem Interview mit der BBC davon gesprochen, dass Portugal am 17. Mai die Grenzen öffnen könnte, um Briten einen Urlaub im Land zu ermöglichen.
„Meine Antwort bezog sich auf die spezifische Frage, ob Portugal bereit wäre, den Briten einen Urlaub zu ermöglichen, wenn die britische Regierung am 17. Mai möglicherweise die Reisebeschränkungen lockert. Aber natürlich kann ich keine genauen Daten nennen, auch, weil die Lockerungspläne noch nicht bekannt sind. Was ich jedoch sagen kann, ist, dass Portugal gemeinsam mit den anderen EU-Ländern und auch mit Großbritannien daran arbeitet, sichere Reisen zu ermöglichen.“
Der „grüne Pass“, den die EU-Kommission plant, soll hierbei einen wichtigen Beitrag leisten…
„Es handelt sich hier um einen wichtigen Schritt. Im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft, die Portugal derzeit innehat, haben wir eng mit der Europäischen Kommission zusammengearbeitet, damit sicheres Reisen wieder möglich wird. Wir haben signalisiert, dass wir etwas brauchen, das es uns wieder erlaubt zu reisen, sofern wir gegen Corona geimpft oder immun sind oder einen negativen Test vorweisen können. Für Europa ist es sehr wichtig, die Regeln für Reisen zu vereinheitlichen. Dies muss auf eine Weise geschehen, die niemanden diskriminiert, jeden gleichbehandelt und gerecht ist. Das sind wichtige Säulen Europas. Wir arbeiten daran, dass wir bald wieder öffnen können.“
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Über Madeira als Pilot-Projekt für Europa
Nun schert mit Madeira ausgerechnet eine portugiesische Insel aus und hat noch vor der Einführung des „grünen Passes“ den sogenannten „grünen Korridor“ eingerichtet. Dieser erlaubt Geimpften und Covid-19-Genesenen bereits jetzt die privilegierte Einreise.
„Die autonome Region Madeira arbeitet an einer Lösung, die sich weitgehend mit dem deckt, was die EU-Kommission derzeit befürwortet: nämlich einen digitalen grünen Pass, zu dem es am 17. März weitere Details geben soll. Madeira hat eine Art Pilotprojekt entwickelt, das insofern positiv ist, als es dem vorweggreift, was wir uns für Europa wünschen. Es ist wichtig, dass sich die EU-Kommission diese guten Beispiele genau anschaut, die auch für andere Regionen einen Hebel darstellen können.“
Wurden die Maßnahmen mit der EU-Kommission abgestimmt?
„Räumlich betrachtet handelt es sich bei Madeira um eine Insel, die keine andere Möglichkeit hat, als sich abzuschirmen, und die Lösung wurde schon vor einigen Monaten umgesetzt. Bereits vergangenes Jahr unterschieden sich die Regeln, die wir auf dem Festland hatten, leicht von denen auf Madeira oder den Azoren. Auch in Europa gibt es Beispiele von Mitgliedsstaaten, die zugleich Inseln sind, und strengere Hygiene-Schutzmaßnahmen ergriffen haben. Wir sollten solche Beispiele nicht als falsch betrachten, sondern von ihnen lernen und sie in unser Risikomanagement integrieren. So macht es Portugal derzeit, und ich hoffe, die EU-Kommission hat Verständnis dafür.“
Madeira fragt auch ab, welchen Impfstoff Geimpfte erhalten haben. Wird das auch beim „grünen Pass“ der Fall sein?
„Zu diesem Zeitpunkt habe ich keine Information darüber, ob dies im Pass enthalten sein wird. Grundlegend ist aber, dass wir niemanden diskriminieren dürfen aufgrund eines bestimmten Impfstoffs, der verabreicht wurde.“
»Reise-Korridore soll es nicht geben
Einige Länder erwägen die Einrichtung von Reise-Korridoren, bspw. zwischen Griechenland und Israel. Ist das auch für Portugal denkbar?
„Portugal hat noch bis Juni die EU-Ratspräsidentschaft inne. Und während dieses Zeitraums würde das Land niemals eine einseitige Entscheidung treffen, die nicht mit den Grundprinzipien der Europäischen Union übereinstimmt. Das wird während und sehr sicher auch nach unserer Präsidentschaft so bleiben. Es gab 2020 keine solchen Reise-Korridore, und wir werden uns dafür einsetzen, dass es sie auch 2021 nicht gibt. Wir werden dafür kämpfen, dass wir alle wieder reisen können.“
„Der Rückgang bei den Einnahmen war drastisch“
Wie stark wurde der portugiesische Tourismus finanziell von der Pandemie getroffen?
„Der Rückgang bei den Einnahmen war drastisch. Im Vergleich zu 2019 betrug er im vergangenen Jahr 66 Prozent. Alle unsere Unterstützungsmaßnahmen verfolgen zwei Ziele: zum einen der Erhalt der Arbeitsplätze, und zum anderen wollen wir verhindern, dass die Unternehmen in Liquiditätsengpässe geraten und somit eine Insolvenz riskieren.“
Dennoch werden Pleiten nicht zu verhindern sein…
„Im Hotel- und Gaststättengewerbe haben rund 9 Prozent ihren Arbeitsplatz verloren, das sind rund 29.000 Beschäftigte. Bei den Insolvenzen verzeichneten wir 2020 einen Anstieg von etwa 60 Prozent im Vergleich zu 2019. Allerdings war die Zahl der Insolvenzen 2019 sehr niedrig. Der Erhalt der Arbeitsplätze hat für uns absolute Priorität, und ebenso wollen wir, dass die Unternehmen überleben. Aber natürlich werden es einige nicht schaffen, vor allem die, die bereits vor der Pandemie geschwächt waren. Alle anderen werden durchhalten, sofern sie resilient sind und eine gewisse Kreativität an den Tag legen. Nichtsdestotrotz: Die Zahlen sind verheerend.“
„Das erste Halbjahr 2021 müssen wir wahrscheinlich abschreiben“
Welche Erwartungen haben Sie für dieses Jahr, was ausländische Touristen angeht?
„Zu diesem Zeitpunkt ist es sehr schwierig, Prognosen abzugeben. Januar, Februar und März waren selbstverständlich von einem Stillstand geprägt. Ich würde sagen, dass wir die Zahlen von 2020 um 20 bis 30 Prozent übertreffen, aber natürlich nicht die von 2019 erreichen werden. Das erste Halbjahr 2021 müssen wir wahrscheinlich abschreiben, weil Reisen vielleicht erst ab Mai möglich sein werden. Daher müssen wir alles auf das zweite Halbjahr setzen, um besser abzuschneiden als 2020.“
Portugal hat 2020 mit „Clean&Safe“ ein Hygiene-Siegel eingeführt, das touristische Unternehmen wie Hotels, Restaurants, Museen oder Reiseagenturen beantragen können.
„Wir waren, soweit ich weiß, das erste Land in Europa, das eine derartige Initiative ins Leben gerufen hat. Sie war wichtig, weil sie für Vertrauen in der Branche gesorgt hat und mittlerweile eine große Bedeutung erlangt hat.“
Das Label wurde bereits 21.564 Mal vergeben, insgesamt wurden 1000 Kontrollen durchgeführt und 248 Siegel mussten entzogen werden. Das ist ein sehr hoher Prozentsatz. Tragen viele das Siegel zu Unrecht?
„Wir haben eine Website entwickelt, die es allen erlaubt, Qualitätsprüfer zu sein. Alle können dort Unregelmäßigkeiten melden. Bei drei Beanstandungen führen wir eine Prüfung durch. Wir gehen also aufgrund von solchen Hinweisen sehr gezielt vor, was die Häufung erklärt.“
Welche Maßnahmen plant Portugal, um Touristen während ihres Aufenthalts im Land zusätzlich zu schützen?
„Wir hatten bereits im vergangenen Jahr einige Regelungen, die sich als sinnvoll erwiesen haben: Begrenzungen bei der Anzahl der Gäste in Restaurants, das konsequente Tragen von Mund-Nasen-Schutz, das Ampelsystem an den Stränden. Bei der Ausarbeitung der Regeln sind uns drei Dinge wichtig: Sie müssen einfach zu verstehen, angemessen und für alle gleichermaßen gültig sein – also für diejenigen, die uns besuchen, und ebenso für diejenigen, die in Portugal leben.“
Über chinesische Investitionen in den Tourismus Portugals
China hat über die vergangenen Jahre große Investitionen auf dem portugiesischen Markt getätigt. Die Krise könnte den Einfluss weiter vergrößern…
„Wir haben gute Beziehungen zur Volksrepublik China, die in der Vergangenheit ein wichtiger Investor für Portugal war und heute an zahlreichen Firmen im Land beteiligt ist. Auch im Tourismussegment gab es von chinesischen Firmengruppen zahlreiche Investitionen, die uns helfen, besser zu wachsen. Es ist immer wichtig, Investitionen aus dem Ausland zu erhalten. Ich halte es für möglich, dass China noch weitere größere Investitionen in den Tourismus in Portugal und Europa tätigen wird, auch weil das Land finanziell dazu in der Lage ist. Und wir sind offen für gute Projekte und Ideen – und einer Zusammenarbeit mit diesem Land und auch anderen zugunsten unseres Tourismus.“
Es handelt sich aber um ein nicht-demokratisches Land.
„Die Regeln der Demokratie haben in Portugal ein gutes Fundament, und wir haben Regeln für das Tätigen von Geschäften. Wenn China also in Portugal Geschäfte machen will, muss sich das Land an die Gesetze halten, die hier gelten. Das gilt auch für den Tourismusbereich. Ich sage aber auch: Wenn es einen Partner gibt, der mit uns Geschäfte machen möchte und an Portugal glaubt, dann sollten wir diesen Partner gut behandeln und mit ihm zusammenarbeiten und dafür sorgen, dass wir das Beste aus einer Investition herausholen. Dabei müssen die uns allen bekannten Regeln gelten: keine Diskriminierung, gesunder und nachhaltiger Wettbewerb – die großen Säulen Portugals und Europas.“
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„Der deutsche Markt ist für Portugal sehr wichtig“
Wie wichtig werden deutsche Touristen in diesem Jahr für Portugal sein?
„Der deutsche Markt ist für Portugal sehr wichtig. Was die Übernachtungen aus dem Ausland angeht, so liegt Deutschland auf Platz zwei, was insgesamt die Tourismus-Einnahmen aus dem Ausland betrifft, auf Platz drei. Natürlich wollen wir, dass das auch 2021 so bleibt. Wir hoffen, dass die Deutschen auch weiterhin Vertrauen in Portugal haben und zu uns reisen.“