16. September 2014, 17:56 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Es gibt viele Vorurteile über die Franzosen: Arrogant sollen sie sein – vor allem, wenn es um mangelnde Französischkenntnisse ihres Gegenübers geht –, nur eklige Dinge essen und dazu auch noch müffeln. Und auch sonst gelten Franzosen nicht unbedingt als besonders gastfreundlich. Dennoch ist Frankreich, gemessen an den Touristenzahlen, seit Jahren weltweit unangefochtenes Reiseziel Nummer 1. Warum eigentlich?
Frankreich hat jüngst einen ziemlich unrühmlichen ersten Platz ergattert: den des unfreundlichsten Landes der Welt. Das ergab eine Skyscanner-Umfrage unter 1200 Reisenden, von denen fast 20 Prozent angaben, dass Frankreich für sie das „weltweit unhöflichste Land für Reisende“ sei.
Auch bei einer Erhebung des US-Reise-Magazins „Condé Nast Traveller“, das seine Leser jedes Jahr nach den freundlichsten und den unfreundlichsten Städten der Welt fragt, kamen die Franzosen ganz schön schlecht weg: Unter den Top 5 der unfreundlichsten Städte der Welt finden sich gleich drei französische. Cannes an der Côte d’Azur, bekannt für seine Filmfestspiele, landete direkt nach Johannesburg (Südafrika) auf dem zweiten Platz. Paris (Platz 4) und Marseille (Platz 5) folgen dahinter.
Auch wenn man sich im Bekanntenkreis umhört, kommen die Franzosen nicht immer gut weg: „Hochnäsig“ seien sie, bekommt da man zu hören, „arrogant“ und „resistent gegenüber anderen Sprachen“. Außerdem äßen sie nur ekliges Zeug wie Froschschenkel, Schnecken und Innereien. In Brasilien hält sich sogar hartnäckig das Vorurteil, die Franzosen würden nur selten duschen, höchstens einmal pro Woche, und deshalb müffeln.
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Warum wollen trotzdem alle dahin?
Wenn offensichtlich keiner die Franzosen mag und sie angeblich so unfreundlich sind, drängt sich unweigerlich die Frage auf: Warum ist Frankreich dann trotzdem seit Jahren das mit Abstand meistbesuchte Reiseland der Welt?
Fast 85 Millionen ausländische Touristen besuchten laut französischem Wirtschaftsministerium unser Nachbarland im vergangenen Jahr, nochmal fast zwei Millionen mehr als in 2012. Frankreich liegt damit bei den Touristenzahlen deutlich vor den USA (knapp 70 Millionen Besucher laut Welttourismusorganisation) und Spanien (60 Millionen Besucher). Und obwohl etwa Italien über mehr als doppelt so viel Meeresküste und weit mehr Unesco-Welterbestätte als Frankreich verfügt, machten dort 2013 nur etwa halb so viele Menschen Urlaub (47,7 Millionen).
Vor allem bei uns Deutschen ist Frankreich als Urlaubsland beliebt: 13 Millionen Touristen reisten laut dem französischen Wirtschaftsministerium im Jahr 2013 aus Deutschland nach Frankreich, so viele wie aus keinem anderen Land der Welt. Auch die Briten machen gerne Urlaub in Frankreich (12,6 Millionen), ebenso wie Belgier und Luxemburger (10,5 Millionen). Immerhin trauten sich vergangenes Jahr auch 4,5 Millionen Amerikaner und 1,2 Millionen Brasilianer nach Frankreich.
Und dann sind da noch die vielen frankophilen Prominenten. Im Sommer tummeln sie sich in St. Tropez an der Côte d’Azur, im Winter im Nobel-Skiort Courchevel, und das ganze Jahr über in Paris. Oder sie kaufen, wie Angelina Jolie und Brad Pitt, gleich ein ganzes Schloss in der Provence und heiraten dort.
Auf Spurensuche
Wenn schon nicht die Gastfreundlichkeit der Franzosen die Menschen in Scharen nach Frankreich lockt, dann muss es also etwas anderes sein. TRAVELBOOK hat bei der französischen Zentrale für Tourismus (Atout France) in Frankfurt am Main nachgefragt, was Frankreich derart beliebt macht, dass es immer wieder an der Spitze der meistbesuchten Reiseländer der Welt landet.
Das hänge ein bisschen von den Herkunftsländern ab, erklärt Atout-France-Sprecherin Monika Fritsch. „Für Deutschland ist es sicherlich das reiche kulturelle Angebot, die Natur und auch die Gastronomie. Für andere Märkte werden dann Themen wie Shopping wichtiger.“
Soll heißen: Frankreich bietet für jeden etwas. Was das ist, haben wir uns mal genauer angesehen.
Berge, Meer, Städte
Es fängt an bei der Landschaft: Fast jede Region in Frankreich hat ihre ganz eigenen Reize. Allein die Küsten könnten nicht unterschiedlicher sein: im Norden eher rau mit Wattenmeer in der Normandie und steilen Kliffküsten in der Bretagne, im Westen die wellenumtoste Atlantikküste, die ein Mekka für Surfer ist, und im Südwesten die seichte Mittelmeerküste mit der schicken Côte d’Azur. Dazwischen: Berge, sanfte Ebenen mit idyllischen Dörfern und blühenden Feldern, üppige Weinanbaugebiete, imposante Schlösser und Burgen. Dann natürlich die Städte, allen voran Paris mit seinem enormen architektonischen und kulturellen Reichtum, sowie eine Reihe reizvoller kleinerer Städte wie Straßburg, Avignon der Dijon.
Nicht nur eine Hochsaison
Gerade wegen dieser landschaftlichen Vielfalt ist Frankreich, anders als ausgemachte Sommer-Reiseziele wie etwa Spanien, Griechenland, Türkei oder Italien, nicht nur in den warmen Monaten gut gebucht. Im Winter locken die hervorragenden Skigebiete in den Alpen, im Herbst die zahlreichen Weinanbaugebiete um Bordeaux, im Burgund oder im Elsass, Wanderfreunde kommen in den etwas kühleren Jahreszeiten in den Vogesen oder den Pyrenäen auf ihre Kosten, und die Schlösser der Loire kann man immer besuchen. Paris, die Stadt der Liebe, Mode und Museen, hat ohnehin immer Hochkonjunktur. Auf diese Weise summiert sich die Zahl der Touristen das ganze Jahr über, während in anderen Ländern viele Hotels in der Nebensaison komplett dicht machen.
Wie unterschiedlich die Vorlieben von Frankreich-Touristen sind, zeigt sich auch bei den beliebtesten Zielen innerhalb des riesigen Landes: Die meisten Urlauber besuchen laut Atout France die Île de France mit der Hauptstadt Paris. Auf Platz 2: die Provence in Südfrankreich, gefolgt auf Platz 3 von der Region Rhône-Alpes, wo die bekanntesten Skigebiete Frankreichs liegen.
Viel Platz
Als eines der größten Länder Europas bietet Frankreich darüber hinaus vielen Besuchern Platz und verfügt in Europa über die meisten Unterkünfte für Touristen. Zum Vergleich: Während in Deutschland etwa 3,5 Millionen Schlafgelegenheiten in touristischen Betrieben (Hotels, Hostels, Pensionen, Gasthöfe, Campingplätze, Ferienwohnungen/-häuser) zur Verfügung stehen, sind es in Frankreich etwa 5,6 Millionen.
Nah dran
Nicht zu vergessen: Frankreich ist ein leicht zu erreichendes Ziel – vor allem für diejenigen, die den Zahlen nach am meisten dorthin reisen. Deutschland grenzt direkt an Frankreich, weshalb man statt mit dem Flieger auch bequem per Auto oder Bahn hinreisen kann.Warum die Engländer gerne schnell mal mit der Fähre ins kulinarisch und wettertechnisch klar im Vorteil liegende Nachbarland übersetzen, versteht sich quasi von selbst, und die meisten Belgier und Luxemburger müssen nicht mal dumme Sprüche wegen etwaiger Verständigungsschwierigkeiten fürchten.
Haute Cuisine und Landküche
Ja, in Frankreich isst man tatsächlich vieles, was nicht unbedingt jeder mag. In fast jedem Supermarkt kann man Pferdefleisch kaufen, und zum Frühstück kommt in vielen Familien Eselsalami auf den Tisch. Neben Klassikern wie Froschschenkeln und Schnecken gehören zu den Leibgerichten vieler Franzosen etwa Tripes (Kutteln), Andouilles (mit Innereien gefüllte Wurst), Tête de veau (Kalbskopf) oder Queues de mouton (Hammelschwänze). Solche traditionellen Gerichte kommen aber eher bei der älteren Generation auf den Tisch.
Und mal ehrlich, ein paar gewöhnungsbedürftige Dinge isst man schließlich auch hierzulande: Blutwurst zum Beispiel, Kalbszunge, gebratene Nieren oder Leber.
Für die Franzosen bedeutet Essen Genuss. In keinem Land der Welt gibt es mehr Restaurants mit drei Michelin-Sternen – der höchsten, international anerkannten Auszeichnung für Köche. Neben der raffinierten Haute Cuisine gibt es zudem die bodenständige und herzhafte Landküche, die mit regionalen Spezialitäten wie Coq au vin oder Flammkuchen aufwartet. Wer also nach Frankreich reist, braucht nicht zu fürchten, dass nur glibberige Speisen und Innereien auf dem Teller landen.
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Alles nur ein Missverständnis?
Die Franzosen sind arrogant, weil sie erwarten, dass jeder ihre Sprache spricht – so sehen es viele, die Frankreich besucht haben und dort auf wenig kommunikative Gastgeber gestoßen sind. Vermutlich liegt das Problem aber ganz woanders: Franzosen sprechen einfach nicht gerne Englisch – weil sie es nicht können. „Franzosen immer noch totale Nullen in Englisch“, titelte 2009 die renommierte französische Zeitung „Le Monde“, als die Grande Nation in einem weltweit durchgeführten „Test of English as a Foreign Language“ (TOEFL) gnadenlos versagte. Von insgesamt 109 teilnehmenden Nationen belegte Frankreich nur den 69. Platz – schlechter waren nur die Zyprioten, die Albaner und die Kosovaren.
Vielleicht schämen die Franzosen sich also einfach, mit den oft perfekt englisch sprechenden Deutschen zu parlieren, geschweige denn mit den Muttersprachlern aus Großbritannien. Tatsächlich sind die Franzosen, das weiß die Autorin dieses Textes aus eigener Erfahrung, ein sehr herzliches und liebevolles Volk, wenn man die Gelegenheit bekommt, sich richtig mit ihnen zu verständigen.
Und wenn in Paris jemand nach dem Weg befragt trotz guter Französischkenntnisse unfreundlich reagiert, dann liegt es vielleicht daran, dass der Hauptstädter genervt ist, weil er an diesem Tag schon das fünfte Mal den Weg erklären muss. Immerhin besuchen jedes Jahr rund 16,5 Millionen Touristen die französische Hauptstadt, was bedeutet, dass sich jeden Tag durchschnittlich mehr als 45.000 Ortsfremde durch die Straßen von Paris schieben. Da darf man schon mal genervt sein.
In diesem Sinne: Vive la France!