Direkt zum Inhalt wechseln
logo Deutschlands größtes Online-Reisemagazin
TRAVELBOOK-Autor vor Ort

»Warum mich der Süden von Äthiopien so fasziniert hat

Süd-Äthiopien
Der Süden von Äthiopien ist eine unvorstellbare große Fläche, in der wie zufällig eingestreut Menschen leben. Eine Reise hierher verändert den Blick auf das Leben. Foto: Getty Images
Robin Hartmann Autorenkopf
Freier Autor

30. Dezember 2024, 14:02 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

2024 hatte unser Autor das Glück, gleich zweimal Äthiopien bereisen zu dürfen. Der Süden des Landes hat ihn dabei besonders verzaubert: Karge, ganze Horizonte umspannende Einsamkeit, eine einzigartige Natur und mittendrin faszinierende Menschen, die hier zum Teil immer noch leben wie ihre Vorväter. Er hat aber auch eine Region gesehen, dessen Zauber wie kaum an einem anderen Ort auch durch den Tourismus vom Verschwinden bedroht ist.

Artikel teilen

Schon seit einer gefühlten Ewigkeit schaukelt und ruckelt unser Wagen eine unbefestigte Sandpiste entlang, die man wohl nur hier tatsächlich als Straße bezeichnen würde, und da draußen ist einfach nichts. Nichts, das heißt in diesem Fall auch nicht das winzigste Anzeichen davon, dass hier Menschen wohnen. Beziehungsweise der Mensch als solcher überhaupt existiert. Ansonsten explodiert die archaische, flache Landschaft geradezu vor Leben. Schirmakazien und dorniges Buschland, so weit das Auge reicht. Termitenhügel, groß wie obskure Fabrikschlote, fern am Horizont die mächtigen Bergketten, die den afrikanischen Grabenbruch wie eine von Gott selbst errichtete Trennwand begrenzen. Und mittendrin eben doch ein paar Menschen. Meine Reisegruppe und ich, hier am gefühlt unwahrscheinlichsten Ort der Welt, im Süden von Äthiopien.

Kann man das nordostafrikanische Land wohl getrost als eine der letzten großen Unbekannten auf der Landkarte selbst vieler erfahrener Reisender bezeichnen, so ist sein Süden wirklich absolute Terra Incognita. Auch heute noch, in einer Welt, in der scheinbar alles entdeckt scheint, ein riesiger weißer Fleck.

Orte wie Filmsets

Süd-Äthiopien
In Süd-Äthiopien findet man vor allem viel Einsamkeit und Weite Foto: Getty Images

Der Süden Äthiopiens, das sind selbst für an lange Autofahrten gewöhnte Traveller erst einmal unvorstellbare Distanzen. Das ganze Land ist so groß wie Spanien und Frankreich zusammen. Nach Nigeria ist es mit 120 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste in ganz Afrika. Eine Zahl im Übrigen, die einem im Süden vollkommen unvorstellbar erscheint. So selten begegnen einem hier auf der Strecke mitunter Menschen oder überhaupt auch nur Anzeichen von Zivilisation. Orte wie Weito, Key Afer, Dimeka, Turmi oder Omorate würden wohl nirgendwo anders auf der Welt als Städte gelten. Der Rest sind ein paar versprengte Hütten, die mitunter aussehen wie das Set für einen Film darüber, wie sich Europäer das „echte“ Afrika vorstellen. Und nichts, aber auch wirklich gar nichts kann einen darauf vorbereiten, mit den Menschen zusammenzutreffen, die hier leben.

Und sie sind de facto auch einer der Hauptgründe für europäische Agenturen, Reisen in den Süden von Äthiopien anzubieten. Denn die zahlreichen verschiedenen Ethnien, die diese unwirtliche Gegend seit Jahrtausenden bewohnen, gehören wohl zu den auf den ersten Blick größten Anachronismen unserer modernen, hypertechnologisierten Welt. Die Verhältnisse, in denen diese stolzen Menschen leben – ohne Strom, fließendes Wasser oder sonstige für uns selbstverständliche Privilegien – mögen für unser Verständnis derart einfach anmuten, dass man bei einem Aufeinandertreffen gar nicht realisieren kann, was einem da begegnet. Obwohl Kopf und Herz sich darüber im Klaren sind, dass man diese Situationen gerade tatsächlich erlebt, kommen sie einem mitunter vor wie ein wunderschöner, knallbunter Tagtraum.

Auch interessant: Was Sie vor einer Reise nach Äthiopien wissen sollten

Erst das Lächeln, dann die Kamera

Süd-Äthiopien
Die Seen des afrikanischen Grabenbruchs begleiten Reisende in den Süden von Äthiopien. Hier im Bild der Abidjatta-Shalla-Nationalpark Foto: Getty Images

Und wenn auch ein Besuch im Süden von Äthiopien anmuten mag, als wäre man wie durch ein magisches Portal aus der Moderne direkt in die Jungsteinzeit gestolpert, so wirkt diese doch keinesfalls rückständig oder ärmlich. Sondern einfach nur verblüffend, umwerfend, im Besten aller Sinne völlig überfordernd. Es ist nichts als Bewunderung für Menschen, die in einer derartigen Einfachheit so glücklich und zufrieden wirken. Und für die Besucher aus der fremden Welt oft so viel mehr haben, als sie eigentlich geben könnten. Einzelne Sprachfragmente der jeweiligen Ethnien nehme ich an wie kostbare Schätze, und genau das sind sie ja auch. „Guten Tag“, „Wie geht es dir?“ oder auch einfach nur „Danke“. Diese eigentlich winzigen Einblicke in eine Kultur sind wie Schlüssel, Türöffner für die Herzen der Einheimischen. Den Moment, in dem man eine solche Phrase zum ersten Mal unsicher und vermutlich völlig falsch betont vorträgt, und damit ein ganzes Dorf zum Strahlen bringt, wird man sicher nie wieder vergessen.

Genauso wenig wie die bedingungslose Freundlichkeit der Menschen im Süden von Äthiopien. Die fast kindliche Neugier auch erwachsener Menschen, dank derer oft die Grenzen zwischen den Einheimischen und uns Besuchern völlig verwischen. Hierin liegt eine einmalige Chance für einen kulturellen Austausch. Als Gast sollte daher auch das Erste, was die Menschen vor Ort von einem sehen, ein Lächeln sein. Und keinesfalls eine gezückte Kamera, mit der man wie ein Paparazzi auf einen Filmstar einstürmt. Wenn einen dann eine ganze Schar Kinder umringt, aus großen Kulleraugen lachend, und zahllose kleine Hände sich an einzelne Finger hängen, schlägt das Herz Purzelbäume. Und hat ernsthafte Probleme, vor Freude und Rührung überhaupt im Brustkorb zu bleiben.

Eine verschwindende Welt

Abseits der Begegnungen sind es die Einsamkeit und die unendliche Weite der Landschaft, die die Seele auf merkwürdige Weise berühren. So viel Raum für so kleine Menschen wie uns, das ist man vor allem als Großstädter wie ich einfach nicht gewohnt. Die Gedanken bekommen auf einmal eine ganz andere Richtung. Sie können wirklich frei sein, nach allen Richtungen fliegen. Dazu trägt natürlich auch die Ruhe bei, die völlige Abwesenheit von Hektik und Lärm. Der nächtliche Sternhimmel ein einmaliges kosmisches Ballett, es ist, als könnte man direkt hineinblicken in die Milliarden Galaxien. Bis zurück zum Beginn der Zeit selbst, die hier im Süden von Äthiopien keinerlei Rolle zu spielen scheint. Nur die Rufe exotischer Vögel, Affen oder Hyänen durchschneiden die Stille. Ansonsten innerer Frieden wie am ersten Tag der Schöpfung.

Erst nach und nach begreift man, dass man auch als Besucher hier in dieser archaischen Landschaft einen bleibenderen Eindruck hinterlässt, als einem vielleicht zunächst klar ist. Denn nichts verändert den Süden von Äthiopien so schnell wie die Einflüsse der Moderne und der Außenwelt. Namentlich vor allem die Sozialen Medien und eben der Tourismus. Durch erstere bekommen Viele zum ersten Mal einen Einblick darin, dass andere Lebenswirklichkeiten möglich sind als die, die seit Generationen den Traditionen gemäß gelebt werden. Letzteres, der Tourismus und das Geld der Besucher, rücken diese für Viele verlockend scheinenden Alternativ-Realitäten plötzlich in greifbare Nähe. Wenn das Internet ein westlich geprägtes Bild von vermeintlicher Moderne zeigt, wer könnte es vor allem jungen Menschen verdenken, selbst daran teilhaben zu wollen?

Auch interessant: Mein unvergesslicher Besuch im äthiopischen Königreich Konso

Wunsch an die Zukunft

Eine Ethnologin, mit der ich bei meinem ersten Besuch über dieses Dilemma sprach, sagte etwas für mich Schockierendes. Ihrer Einschätzung nach dürfte es nur noch wenige Jahre dauern, bis unter dem Einfluss der oben genannten Faktoren das traditionelle Leben der Menschen im Süden von Äthiopien gänzlich verschwunden ist. Ich mag mir gar nicht vorstellen, dass ich als Tourist daran offenbar eine Mitschuld trage. Und trotzdem, oder auch gerade deshalb, werde ich wieder nach Äthiopien reisen, denn als Journalist ist man ja im besten Fall immer auch Chronist. Diese Welt, die da gerade offenbar einem so radikalen Wandel unterzogen ist, sie darf einfach nicht für immer verloren gehen. Und das wird sie auch nicht, wenn sie eines Tages zumindest in den Herzen weiterleben darf.

Natürlich würde ich mir selbst noch viel mehr wünschen, dass es niemals so weit kommen muss. Dass auch künftige Generationen von Reisenden noch das berauschende Gefühl verspüren dürfen, mitten zwischen Einheimischen über einen der bunten Märkte im Süden von Äthiopien zu bummeln. Dasselbe Staunen empfinden wie ich, wenn man an einer hunderte Tiere zählenden Rinderherde vorbeifährt, die eine kilometerlange Staubwolke hinter sich herzieht. Wenn einem aus einem Wasserloch im Vorbeifahren fröhlich badende Kinder winken, oder sie dem eigenen Auto kreischend hinterherrennen. Mögen die Menschen hier auf ewig dieselbe rissige rote Erde bewohnen und bewirtschaften, wie sie es schon seit jeher getan haben.

Mehr zum Thema

Reisehinweise zu Äthiopien

Themen Afrika
Günstige Flüge buchen - Skyscanner Anzeige
Deine Datensicherheit bei der Nutzung der Teilen-Funktion
Um diesen Artikel oder andere Inhalte über Soziale- Netzwerke zu teilen, brauchen wir deine Zustimmung für diesen .
Sie haben erfolgreich Ihre Einwilligung in die Nutzung dieser Webseite mit Tracking und Cookies widerrufen. Sie können sich jetzt erneut zwischen dem Pur-Abo und der Nutzung mit personalisierter Werbung, Cookies und Tracking entscheiden.