6. Oktober 2016, 12:39 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Wenn man Sanssouci gesehen hat, sind alle anderen Schlossparks in Brandenburg langweilig? Nicht der Schlosspark Oranienburg: Auf der wunderschönen Anlage gibt es verwunschene Seerosen-Wasserstraßen, geheimnisvolle Skulpturen, ein riesiges Spielparadies für Kinder und Obstbäume, von denen man sich selbst bedienen darf. Ein Herbstausflug.
Als gebürtiger Berlinerin war mir Oranienburg natürlich schon irgendwie ein Begriff. Die brandenburgische Kleinstadt ist die Endhaltestelle von der S-Bahn-Linie 1. Darüber hinaus wurde zu Schulzeiten gemunkelt, es gäbe dort ein Erlebnisbad mit einer ziemlich coolen Wasserrutsche. Ansonsten wurde Oranienburg von uns mit derselben Mischung aus leicht hochnäsiger Verachtung und absoluter Ahnungslosigkeit behandelt wie auch der Rest von Brandenburg. Als mein Freund also an einem Sonntag vorschlug, in den Schlosspark von Oranienburg zu fahren, unterdrückte ich fast aus Gewohnheit eine entsetzte Grimasse. Mir war nicht so recht nach einer unterdurchschnittlichen, preußischen Grünfläche.
Doch nach einem Tag in dem idyllischen Garten bleibt mir nichts mehr außer zu sagen: Gehen Sie hin! Egal, ob Sie allein, ein Paar oder eine Familie sind. Es ist einer der verwunschensten und verträumtesten Orte, die Brandenburg zu bieten hat. Und auch wenn das berühmte Sanssouci sicherlich imposanter ist, so ist seine kleine Schwester wesentlich unkommerzieller, friedlicher und verspielter.
Der Park liegt wunderschön am Havelkanal hinter dem Kurschloss Oranienburg. Von Berlin aus kommt man vom Bahnhof Gesundbrunnen mit der Regionalbahn innerhalb von 15 Minuten in die Stadt und läuft dann noch einmal zehn Minuten zum Schlosspark. Der Eintritt kostet für Erwachsene 2 Euro, für Kinder bis zu 17 Jahren ist er kostenlos.
Zwischen Preußen, Disney und Alice im Wunderland
Die Anlage ist in mehrere Bereiche aufgeteilt. Zum einen gibt es einen romantischen englischen Garten mit riesigen Kastanien und schön angelegten Buchenalleen, die zu einem kleinen See und der türkisfarbenen Orangerie führen, die heute für Theateraufführungen, Konzerte und Hochzeitsfeiern genutzt wird. Hinter dem Schlossteich gibt es eine Art grünes Klassenzimmer mit Bienenvölkern und Gemüsegärten für Grundschüler.
Von dort führt ein System aus Wasserstraßen voller Seerosen und kleinen Brücken zur anderen Seite des Parks: Hier ist ein Spielparadies mit fantasievoll gestalteten Kletterhäusern, Trampolinen und Modell-Häusern untergebracht. Daneben liegen die Gewächshäuser und ein ebenso winziger wie schmucker Schlosshafen, in dem historische Jachten, aber auch moderne kleine Boote anlegen.
Im Schlossgartencafé, das in einer Blumenhalle untergebracht ist, stehen zwischen Feigenbäumen und Trompetenblumen versteckt kleine Sitzecken, die zum Entspannen einladen. Hier und im gesamten Park darf man sich übrigens an Brombeersträuchern, Hagebutten und Apfelbäumen selbst bedienen!
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Die Gartenzimmer
Das Herz des Schlossparks sind die 16 sogenannten „Gartenzimmer“: Kleine, spielerisch ineinander übergehende Gärten, die jeder ihr eigenes Oberthema haben und eine kleine Geschichte über die Kurfürstin Luise Henriette von Oranien, die Herrin des Schlosses, erzählen.
Die Zimmer haben kitschig-schöne Namen wie „Eifer“, „Traum“, „Liebe“ und „Glaube“. Im Zimmer des Eifers findet man einen bewachsenen Pavillon, von da schreitet man durch ein leuchtend blaues Tor zu einem riesigem Bett, dass von duftenden Quittenbäumen umgeben ist. Die orangene Matratze ist wesentlich bequemer als sie aussieht. Auch zu dritt kann man sich dort gemütlich austrecken und in den Himmel schauen. Dieses Zimmer trägt den Namen „Traum“.
Im Garten „Tempora“ gibt es eine leuchtende Skulptur zu bestaunen, die die vier Jahreszeiten widerspiegeln soll. Hier wächst außerdem ein so genannter Kuchenbaum, eine Pflanze, von der ich noch nie zuvor gehört hatte, die aber nun zu meinen Lieblingen zählt. Im Herbst verströmen ihre welken Blätter nämlich tatsächlich den Duft von Lebkuchen.
Durch ein dichtes Heckenlabyrinth, das von feuerrotem Wein überwuchert ist, führt der Weg zum Zimmer der „Einsamkeit“. Im Herzen des Irrgartens findet man sich vor einem Steinblock wieder, in den das Antlitz eines kleinen Mädchens gehauen ist. Diese Skulptur spielt auf die Waisenhäuser an, die die Kurfürstin errichten ließ, um den zahllosen elternlos gewordenen Kindern des Dreißigjähriger Krieges ein Heim zu bieten.
Von der melancholischen Statue fort geht es weiter in den „Garten der Liebe“. Wie sollte es auch anders sein, handelt es sich bei diesem um einen Frühlingsgarten voller Rosen und Tulpen. Die Kurfürstin Luise war eine der wenigen Frauen ihrer Zeit, die das Glück hatten, eine Liebesheirat eingehen zu können. Sie galt als sehr intelligente, idealistische Frau, die ihren Mann, den Kurfürsten von Brandenburg, auf Jagden und Feldzügen begleitete und ihm als politische Beraterin zur Seite stand.
Neben ihrer Vorliebe für die Kunst – insbesondere aber auch für Schmuck und chinesisches Porzellan, für das die Adelige ein Vermögen ausgab – war Luise Henriette auch eine gläubige Calvinistin. Das Zimmer „Glaube“ ist ein stiller, strenger Ort, der durch bewachsene Zäune einen christlichen Kreuzgang imitiert. Im Gartenzimmer „Luxus“ dagegen haben die Gartenkünstler die Verschwendungssucht der Fürstin verewigt: Die Statue zeigt sich stapelndes, kostbares Geschirr, der Boden ist mit schillernden, lilafarbenen Glasstücken übersät, die im Sonnenschein glitzern.
Etwas bodenständigere Besucher kommen im „Zimmer der Zuversicht“ auf ihre Kosten: Hier stehen überall Fitnessgeräte verteilt. Von seinen Leibesübungen erholen kann man sich im „Gartenzimmer der Freude“, in dem es um nichts anderes geht als um Entspannung.
Wieder mehr zum Träumen lädt das Zimmer der Familie ein. Durch langes, raschelndes Schilf vom Rest des Gartens isoliert, liegt hier eine kleine Oase samt Wasserbecken. In dem Bassin stehen Statuen von der Fürstin und ihrer Familie, im Sommer schwimmen hier auch schillernde Fische ihre Bahnen.
Das Zimmer „Herkunft“ ist eine Hommage an die niederländische Heimat von Luise. Die Hecken sind hier so geschnitten, dass sie von oben eine Landkarte der Niederlande bilden, der Boden ist türkisblau gefärbt. Schwingt man sich in eine der zahlreichen Schaukeln, hat man so den Eindruck, über dem Meer zu schweben.
Im Gartenzimmer „Lust“ steht ein hölzerner asiatischer Pavillon hinter einem Brunnen, in dem vier steinerne Fische Fontänen speien, die sich in der Mitte kreuzen. Im Garten des Geschicks dagegen gibt es ein Riesenschach, in dem man seine Begabung für Taktik und Strategie erproben kann.
Hat man alle Gartenzimmer durchschritten, seine, sofern vorhandenen, Kinder vom Abenteuerspielplatz eingesammelt und sich lang genug auf das Traumbett gelegt, ist ein krönender Abschluss das Schlossrestaurant. Hier lässt es sich wunderbar mit Wein und Bier auf die Gartenkunst anstoßen und auch die letzten Berliner Negativklischees über Brandenburg begraben.