16. September 2015, 15:41 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Das niedersächsische Wendland ist Naturdenkmal, schillerndes Soziotop und Seelenmassage in einem. Janna Hagedorn, Autorin des aktuellen Romans „Elbe aufwärts“, schreibt hier über diese ganz besondere Gegend – und gibt 7 Tipps fürs Wendland.
Es war eine Sommerliebe. Eine Spätsommerliebe, um ganz genau zu sein. Und sie kam völlig unerwartet. Denn eigentlich wollte ich im August vor drei Jahren mit meiner Familie zu einem spontanen Wochenende an die Nordsee aufbrechen. Auch die Ostsee hätte ich genommen. Alles ausgebucht, bis auf die letzte Badewanne. Das war zuerst Pech. Und dann großes Glück. Denn schließlich fanden wir wenigstens südlich von Hamburg ein Hotelzimmer für eine Nacht.
Das klang nett, wie der Duft frischer Äpfel und nach Bett im Kornfeld. Was wir fanden, war aber noch viel schöner: ein Haus mit einem knarzigen Charme, gelegen mitten in einem echten Hänsel-und-Gretel-Wald, der Göhrde, in dem die Chefin sich abends mit den Gästekindern zum Vorlesen ums Lagerfeuer setzt und die Bio-Teebar rund um die Uhr geöffnet ist.
Auf unsere erstaunte Frage, wer denn auf dem Nachbargrundstück ein riesiges Tipi aufgebaut habe, lachte Gastgeberin Barbara Kenner: „Ach, das sind unsere Indianer. Die lassen uns auch ihr Schwimmbad mitbenutzen.“ Später erfuhr ich, dass dort im Monatsrhythmus Schwitzhüttenzeremonien abgehalten werden. Und dass echte Schamanen aus den USA zu Besuch kommen, für spirituelle Waldspaziergänge und mehr. In einen ganz merkwürdigen Film war ich da geraten. Und ich wusste auch: Da will ich länger mitspielen.
Aus dem One-night-stand wurde was fürs Leben. Zwei Wochen später hatten wir ein Haus im Wendland. Vielmehr: ein Wochenendhäuschen, blau gestrichen mit überdachter Terrasse, zu einem Preis, in dem man in Hamburgs besseren Vierteln gerade mal eine Garage bekommt. Seitdem zieht es uns fast jedes Wochenende und in vielen Ferien hierher.
Im Frühjahr, wenn wir zwischen Moosen und Baumstämmen Ostereier verstecken und beim Festival „Kulturelle Landpartie” Marionettenspieler, Straßenkünstler und Clowns ihr Können zeigen; im Sommer, wenn unsere Kinder stundenlang in der Sandkuhle unterhalb unseres liebsten Aussichtsplatzes spielen und wir den weiten Blick über die Elbe genießen, wenn Ausflugsboote auf dem Fluss kreuzen und nachts die Frösche singen; im Herbst, wenn uns in den Gartencafés reife Walnüsse auf dem Kopf fallen; im Winter, wenn häufig die Elbauen unter Wasser stehen und man auf den Wanderwegen im Wald Schlitten fahren kann.
Es ist aber nicht nur die Natur, es sind auch die Menschen. Ein bisschen versponnen, ein bisschen verspielt: so liebe ich das. Die Fluss- und Hügellandschaft zwischen Neu Darchau im Westen und Vietze im Osten ist Sammelpunkt für engagierte bis kauzige Typen, geeint durch den jahrzehntelangen Protest gegen das Zwischenlager Gorleben; und gleichzeitig durch und durch niedersächsisch und bodenständig.
Hausfrauen in praktischer Freizeitkleidung, mit Kindern und Hund auf dem Weg zum Reitstall; Liegeradfahrer mit Friedenstauben-Wimpeln am Lenker; Künstlertum und Schützenvereinsseligkeit, Vitrinen voller Sahnetorten in kleinen Cafés direkt neben dem veganen Spezialitätenrestaurant. Ein Miteinander, kein Nebeneinander.
Neuester Streich: Vor ein paar Monaten hat eine engagierte Gruppe von 30 Bürgern das alte Bahnhofsgebäude von Hitzacker, einen maroden Gründerzeitbau, gekauft, um es in ein Kulturzentrum umzuwandeln. Der Sprecher der Gruppe ist übrigens im Hauptberuf Töpfer und im Nebenjob “Biberberater”. Wenn Sie ihn fragen wollen, was das ist: Sie finden ihn hier.
Und wenn Sie mit dem Fahrrad kommen, nehmen Sie doch auch einer seiner lenkertauglichen Fahrradvasen mit, dann bleiben die Blumen vom Wegrand länger frisch. Noch ein Grund mehr für einen Kurztrip in Niedersachsens wilden Osten – nicht nur, wenn Ost- und Nordsee mal wieder ausgebucht sind.
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Sieben Tipps für das Wendland
1. Kulturelle Landpartie: Traditionelles Festival seit 1989, jedes Jahr im Mai zwischen Himmelfahrt und Pfingsten, mit rund 600 Künstlern an etwa 100 Ausstellungspunkten. Hier gibt’s für die ganze Familie was zu entdecken: von Kunsthandwerk bis Jazzkonzert, von Puppentheater bis Pop. Zentren sind die „Mützingenta“ in Metzingen (eine Art Öko-Rummelplatz mit Konzerten und Theater) und ein großer Kunsthandwerkermarkt in Satemin, aber auch abseits lohnt die Entdeckungstour – und sei es nur zum Bauernhof, der für Kinder seinen Heuboden öffnet. Weitere Informationen hier im Internet
2. Rundlingsdörfer: Die traditionelle wendländische Bauweise sollte im Mittelalter die Feinde abwehren – heute sind die Dörfer, die sich kreisförmig um einen Platz gruppieren, beliebte Ausflugsziele. In Lübeln lockt ein Freilichtmuseum zu einer Zeitreise, mit original wendländischen Bauernhöfen, Trachten und gelegentlichen Handwerksvorführungen, dafür hat Satemin ein besonders hübsches Kirchlein, eine sehenswerte Töpferwerkstatt und ein schönes Gasthaus mit Sonnenterrasse, Spielplatz und günstigen Zimmerpreisen auch während der „Landpartie“.
3. Hitzacker: Schönste Kleinstadt im Wendland. Unbedingt sehenswert: der Ausflugsboot-Hafen an der Elbe mit kleiner Sandbucht zum Planschen, das Ponton-Café „Hiddos Arche“ auf dem Fluß Jeetzel, die originelle Töpferei am zentralen Marktplatz, das schöne Restaurant „Inselküche“. Nach oben schauen nicht vergessen: Auf einigen Häusern brüten Störche.
4. Nemitzer Heide: Der Osten des Wendlandes besteht vor allem aus Heidelandschaft und ist deutlich flacher als der hügelige Westen. Gut für Fahrradfahrer – und für Tierfreunde. Denn hier lebt Heideschäfer Werner Meinecke mit seinen 300 Heidschnucken und lädt gegen einen kleinen Beitrag gerne Gäste ein, einen Tag mit ihm und seinen Tieren zu verbringen (Kontakt per E-Mail oder unter Tel. 05848/981555). Am letzten Sonntag im August wird beim Nemitzer Heideblütenfest die „Heidekönigin“ gekrönt.
5. Alternatives Familienhotel: Vorlesen am Lagerfeuer statt Kinderkino, Abenteuertouren in den Wald statt Ferienclub-Faxen: Eine ökologische und fantasievolle Alternative zu klassischen Familienhotels hat „Kenner’s Landlust“, mitten im ausgedehnten Waldgebiet Göhrde gelegen, mit Kinderbetreuung.
6. Maison de la Marionette: „Das Spielen mit den Puppen ist ausdrücklich erlaubt!“, sagt Manfred Fortmann, Marionettensammler, Großvater und Kinderfreund. In seiner Pension mit hübschem Gartencafé in Tießau hängen hunderte von Spielfiguren am Faden, außerdem lässt sich der umtriebige Bartträger immer eine Menge Programm einfallen: Wochenenden für Singles mit Kind, Bootsfahrten mit anschließendem Marionettenspiel, Bastelnachmittage…und das zu familienfreundlichen Preisen (Doppelzimmer mit Frühstück für zwei 70 Euro, Kinder bis drei Jahre frei). Hunde sind auch willkommen. Weitere Informationen hier im Internet
7. Archäologisches Zentrum: Ein Tag in der Steinzeit: Für Kinder ab Kindergartenalter veranstaltet das Ärchäologische Zentrum Hitzacker (liegt auf einem bronzezeitlichen Siedlungsplatz) tolle Erlebnistage – mit Pfahlbautenbau, Brot selbst backen etc. Aber auch sonst ist das Freilichtzentrum mit den nachgebauten Langhäusern und Urzeit-Kultstätten äußerst sehenswert. Weitere Informationen hier im Internet
Als Reiselektüre für einen Tripp ins Wendland empfiehlt sich natürlich Janna Hagedorns unterhaltsamer Roman „Elbe aufwärts“ (Diana Verlag, 8. September 2015)