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Wie die Schwaben-Metropole die Welt veränderte

6 Dinge, die es ohne Stuttgart nicht gäbe

Er ist ein Wahrzeichen der Stadt: der Stuttgarter Fernsehturm, das Vorbild für alle Fernsehtürme der Welt
Er ist ein Wahrzeichen der Stadt: der Stuttgarter Fernsehturm, das Vorbild für alle Fernsehtürme der Welt Foto: Getty Images
Nuno Alves
Chefredakteur

20. Juli 2015, 10:34 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Viel ist es zunächst nicht, das Nicht-Stuttgartern auf Anhieb zu Stuttgart einfällt. Natürlich der „Tatort“, Daimler, Porsche, Bosch und der VfB, klar, dann vielleicht noch die Königstraße, als Sehenswürdigkeit, oder die Staatsgalerie. Ohnehin ist das Verhältnis von Nicht-Stuttgartern, vorzugsweise Berlinern, und Schwaben getrübt von Ressentiments, woran natürlich auch der gewöhnungsbedürftige Dialekt seinen Anteil hat. Grund genug, sich mal das anzuschauen, was die Welt Stuttgart alles zu verdanken hat.

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„Willkommen in der Mutterstadt, der Motorstadt am Neckar, Mekka für Rapper, zu viele meckern…“  („Mutterstadt“, Massive Töne feat. Afrob, 1996) – 18 Jahre ist es her, dass die Stuttgarter HipHop-Gruppe Massive Töne so auf ihre Heimatstadt reimte. Nur ein paar Verse, die aber bereits viel über die Stadt verraten, und den Stuttgarter. Von der Motorstadt ist da die Rede, also von der in der Region (fast) alles bestimmenden Autoindustrie, vom Fluss, der durch die Schwaben-Metropole fließt, an Weinbergen vorbei, von der HipHop-Kultur, die von hier aus ihren Siegeszug durchs Land antrat, und ja, auch vom Wutbürger, dem Schwaben, der so leidenschaftlich gern meckert, nicht erst seit Stuttgart 21.

Aber gerade dieser Ungeduld, vieles vermeintlich besser zu wissen oder zu können, verdankt die Welt so manche Erfindung und Eigenart. Schauen wir uns also mal all die Dinge an, die ohne Stuttgart so nicht existieren würden.

Ohne Stuttgart kein Skytree in Tokio

Zugegeben, es ist schon eine etwas abenteuerliche Herleitung, doch sie wird plausibel, wenn man sich durchliest, was auf der Touristik-Seite Stuttgarts steht. Dort heißt es nämlich: „Nach einer Bauzeit von 20 Monaten wurde der Stuttgarter Fernsehturm am 5. Februar 1956 in Betrieb genommen. Mit seiner imponierenden Höhe von 217 m ist er das Ur-Modell für die Fernsehtürme in aller Welt.“ Ja, „in aller Welt“. Sprich: Wäre der Stuttgarter Fernsehturm nicht erbaut worden, hätte die Welt kein Ur-Modell. Wer weiß, wie sie heute aussehen würden? Vielleicht rund, schief oder gar gezackt. Und wenn auch der Stuttgarter Fernsehturm heute über die Landesgrenzen hinweg vergleichsweise unbekannt ist, sollte, wer einmal auf dem 634 Meter hohen Skytree in Tokio steht, daran denken, dass die Mutter aller Türme exakt 9454 Kilometer weit weg steht, in Stuttgart-Degerloch.

Ohne Stuttgart keine „Spätzlekrieg“ in Berlin

Lernt ein zugezogener Stuttgarter in Berlin einen Nicht-Stuttgarter kennen, läuft das Gespräch irgendwann meist so ab. Nicht-Stuttgarter: „Und, woher kommst du ursprünglich?“ Stuttgarter: „Aus Stuttgart.“ Nicht-Stuttgarter: „Und du wohnst bestimmt im Prenzlauer Berg…“ Stuttgarter: „Ja, aber ich mag’s da. Überlege aber, irgendwann nach Kreuzberg zu ziehen“ – was er aber nur im äußersten Notfall wirklich tun würde.

Ja, der Stuttgarter, quasi der Schwaben-Hauptstädter, und der Prenzlauer Berg haben eine ganz enge Verbindung. So eng, dass es manchen zugezogenen Schwaben lieber ist, ihre Herkunft zu verleugnen als aus diesem, ihrem  Stadtteil wegzuziehen. Und so kommt’s, dass den Schwaben vielerorts Hass begegnet, etwa auf „Schwaben raus“-Plakaten. Auch der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) regte sich öffentlich über den Schwaben-Einfluss in seinem Stadtteil auf, eine öffentliche Debatte begann, die den Namen „Spätzlekrieg“ erhielt.

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„Schwabe, verpiss Dich“ steht auf diesem Container im Prenzlauer Berg. „Spätzlekrieg“ wurde die Debatte genannt, die 2013 geführt wurde. Foto: dpa picture alliance

Fragt sich nur, was genau an Schwaben auszusetzen ist, was man anderen Zugezogenen nicht vorwerfen könnte? Ist es der Dialekt, der ihn zum Hass- und Spottobjekt macht, und den er sich in mühsamer Zungenarbeit nach und nach abtrainiert? Oder vielleicht der vermeintliche Fleiß, der für Neid sorgt, obgleich es doch unter ihnen genauso Faule und Untätige gibt? Oder ist es die ihm vorgeworfene mangelnde Anpassungsfähigkeit, die ihn kurz nach dem Zuzug in jedes Fettnäpfchen treten lässt: Wenn er etwa beim Bäcker einen „Berliner“ statt einen „Pfannkuchen“ bestellt oder „Brötchen“ statt „Schrippen“, oder aber wenn er im Hausflur verzweifelt nach dem Kehrwochen-Schild fragt und sich wundert, dass hier keiner putzt. Ja, die Debatte wird sicher noch weitergeführt, und so lange sollte man schmunzeln – über Schwaben und selbsternannte Schwabengegner.

Ohne Stuttgart keine Autos

Roadtrips, Formel 1, Autokinos, Drive-ins, – ohne Stuttgart unvorstellbar. Denn: Hier, genauer gesagt in Bad Cannstatt, hat das seinen Ursprung, was heute buchstäblich die ganze Welt bewegt: das Auto. 1883 brachte Gottlieb Daimler in der Taubenheimstraße 13 – in einem Gewächshaus – den ersten schnelllaufenden Benzinmotor zum Rattern. Wenige Jahre später, 1886, brachte Daimler den Motor in einer vierrädrigen Kutsche zum Laufen. Ein Motor, vier Räder – das Prinzip, das die Welt verändern sollte, war geboren und Stuttgart um eine Attraktion reicher, das legendäre Gewächshaus Gottlieb Daimlers.

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In diesem Gewächshaus in Stuttgart Bad Cannstatt entstand der Benzin-Motor, den Gottlieb Daimler in einer vierrädrigen Kutsche zum Laufen brachte. Der Prototyp des modernen Autos. Foto: dpa picture alliance

Ohne Stuttgart kein WM-Sieg 2014

Sie gehören auch zu denjenigen, die den Sommer 2006 als einziges Märchen in Erinnerung haben? Die deutsche Nationalmannschaft spielte sich im eigenen Land in Ekstase und wurde letztlich nur vom späteren Weltmeister, Italien, gestoppt. Doch acht Jahre später kam der Triumph schließlich, in Brasilien. Und auch Jogi Löw letztlich der Weltmeister-Trainer war, ganz ohne Jürgen Klinsmann wäre es nicht möglich gewesen. Gemeinsam mit Löw – damals noch Co-Trainer – legte er zur WM 2006 den Grundstein für die kommenden Jahre. Die beiden: ein Duo, das eng mit Stuttgart verbunden ist. Löw begann beim VfB seine 1996 Trainer-Karriere, und Jürgen Klinsmann ist zwar erst als Jugendlicher in den Stuttgarter Stadtteil Botnang gezogen, doch von hier zog er schließlich über die Stuttgarter Kickers und den VfB in die Welt hinaus, nach Italien, Monaco, England, Bayern.

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Die deutsche Nationalmannschaft 2006 auf der Fanmeile am Brandenburger Tor. Foto: dpa picture alliance

Ohne Stuttgart keine „Quadratur des Kreises“

Ja, es war eine kleine Revolution, die sich da 1997 ereignete. Deutschland, geprägt von Spaß-Rap (Fanta 4, Fettes Brot) oder Rödelheim Hartreim Projekt, hörte auf einmal die Verse von „A.N.N.A.“, der ersten Single-Auskopplung vom Freundeskreis-Album „Quadratur des Kreises“. Das Album beeinflusste mit seinen teils sozialkritischen, teils poetischen Texten die HipHop-Szene der ganzen Republik, und der Conscious Rap, also Rap mit einem politischen Anspruch, wurde massentauglich. Was der Band um Max Herre damals gelang, verdankte sie auch einer Infrastruktur, die die Stadtgenossen von den Fantastischen Vier aufgrund ihres großen kommerziellen Erfolgs („Die da“) in Stuttgart mit aufgebaut hatten. Die Kolchose, ein Verbund von Stuttgarter Künstlern, zu denen auch Freundeskreis gehörte, wurde zum Synonym für guten HipHop. Und auch wenn die Töne zwischenzeitlich mal leiser wurden, mit Künstlern wie Cro oder Die Orsons gehört Stuttgart auch heute zu den heimlichen HipHop-Hauptstädten des Landes – fernab von Gangster-Attitüden wie man sie von der Berliner Szene kennt.

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Das Freundeskreis-Album „Quadratur des Kreises“. Foto: PR
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Ohne Stuttgart keine Wutbürger

Egal, was Deutschland an den Schwaben auszusetzen hat, 2010 blickte das ganze Land mit Erstaunen in die baden-württembergische Landeshauptstadt und stellte fest: Der spießige Schwabe ist eigentlich ein echter Aufrührer. Zehntausende protestierten damals gegen Stuttgart 21 und für ihren Kopfbahnhof. Bei Großdemonstrationen machten die Bürger ihrer Wut Luft. Jung und Alt, vermeintliche Alternative und Spießer, Linke und Konservative – sie alle hatten plötzlich ein gemeinsames Anliegen: KEIN Stuttgart 21. Der Begriff des Wutbürgers machte die Runde, und der Wutbürger war es auch, der die CDU-Hochburg Baden-Württemberg bei der Landtagswahl 2011 den Geschicken eines grünen Politikers, Winfried Kretschmann, überließ. Er wurde zum ersten grünen Ministerpräsidenten der Bundesrepublik. Im Oktober 2012 folgte dann ein Grüner, Fritz Kuhn, als Oberbürgermeister Stuttgarts. Richtig wütend, zumindest in Massen, sind die Stuttgarter heute nicht mehr, Stuttgart 21 haben sie auch sie nicht verhindern können, aber immerhin weiß nun jeder: Der Schwabe kann auch anders…

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Stuttgarter Wutbürger im September 2010 bei einer Demonstration gegen Stuttgart 21. Wenige Monate später wählten sie die CDU-geführte Landesregierung ab. Foto: Getty Images
Themen Baden-Württemberg Deutschland
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