28. August 2024, 10:49 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Aberdeen ist eine Hafen- und Universitätsstadt im Osten Schottlands. TRAVELBOOK-Autorin Anna Wengel (jetzt Chiodo) hat sie kürzlich während ihres Schottland-Roadtrips besucht – und war wenig begeistert. Ein Reisebericht.
Ein Unwohlsein macht sich in meiner Magengegend breit, das sich schnell in meinem ganzen Körper ausbreitet. Meine Sinne schärfen sich. Irgendwas stimmt hier nicht. Ich werfe einen Blick zurück, mein Kind schläft selig in seinem Autositz. Während mein Mann im Auto wartet, steige ich aus und laufe mit versucht festem Schritt und verunsichertem Gefühl unter einem Haus hindurch und über jede Menge Flaschenscherben. Zerbrochene Fenster erwarten mich auf der anderen Seite in Hauswänden, die einst vielleicht weiß waren, es aber schon sehr lange nicht mehr sind. Fast trete ich auf eine Spritze, die jemand achtlos in die Gegend geworfen hat.
Endlich habe ich das richtige Haus gefunden und beäuge argwöhnisch die eingeschlagene, an die Seite geworfene Holztür neben mir. An der vor Dreck starrenden Hauswand hängt der vom Airbnb-Host in Aberdeen versprochene Schlüsselkasten. Mit zitternden Fingern hole ich den Schlüssel hervor. Ich will gerade reingehen – nein, eigentlich möchte ich das nicht, fühle mich aber verpflichtet, zumindest einmal in die Ferienwohnung reinzuschauen, für die ich schließlich nicht wenig Geld bezahlt habe – da höre ich einen Schrei und Fußgetrampel, das näher kommt. „Nein, weg hier“, schallt es in meinem Kopf und ich mache auf dem Absatz kehrt.
Schäbige Sozialbauten, prachtvolle Hotels und Büchercafés
Ein Zusammentreffen mit ein paar betrunkenen Bewohnern im übel stinkenden Hausflur später, sind mein Mann und ich gleichermaßen überzeugt, dass wir nicht bleiben möchten. So kehren wir dem runtergekommenen Sozialbau zwischen Old Town und Strand, in dem sich das Airbnb befindet, schließlich den Rücken zu und suchen uns eine andere Bleibe.
Das war mein erster Eindruck von Aberdeen. Etliche weitere, von leicht unangenehmen bis zu ängstlichen Gefühlen untermalte Momente sollen folgen. Zuerst kommen wir aber in dem spontan gebuchten Hotel an. Und das entpuppt sich als kleine Oase inmitten einer, für mich nicht sonderlich attraktiven Stadt. Das Hotel „Inn at the Park“ empfängt uns mit dem Glanz vergangener Zeiten. Dicke rote Teppiche auf Treppen, verwinkelte Zimmerdecken, ein dunkelblauer Frühstücksraum sowie ein schottischer Pub mit Erkerfenster zum darin Sitzen. Mein Unwohlsein weicht bereits bei der Einfahrt in die von charmanten schottischen Steinhäusern mit ihren diversen Schornsteinen gesäumte Straße einem wohligen Gefühl. Das Innere des Hotels schafft es schließlich, wieder ein dickes Grinsen in mein Gesicht zu zaubern. Ich bin ein großer Fan alter Hotels mit ihrem glanzvollen Vergangene-Zeiten-Chic. Und dieses hier entspricht so ziemlich allem, was ich mir an dieser Stelle wünsche. Daher auch dieser Tipp in einem ansonsten nicht vor Freude sprühenden Text.
Einen anderen Tipp, den ich für Aberdeen gern weitergeben möchte, ist das Café „Books & Beans“. Die Getränke und nach Romanfiguren benannten Speisen nimmt man hier umgeben von Büchern ein, die sich dank diverser Erstleser zu günstigen Preisen kaufen lassen. Wir verbrachten hier einige Zeit, lasen, aßen, tranken und erholten uns von der drum herum weitaus weniger entspannten Stimmung.
Aberdeen fühlt sich trostlos an
Denn trotz dieser beiden charmanten Funde, die ich sehr genossen habe, sind Aberdeen und ich nicht warm miteinander geworden. War es mein erster Eindruck, der den Aufenthalt überschattete? Vielleicht, wahrscheinlich sogar. Doch im Vergleich zu dem malerischen und fröhlichen Edinburgh und den beeindruckenden Highlands, aber auch zum nett-ruhig-charmanten Inverness, hat die Hafenstadt einfach nicht mithalten können. Was ist anders in Aberdeen?
Auf den ersten Blick ist es eine Großstadt in Schottlands Osten mit allerlei prachtvollen Gebäuden, die wegen ihrer vielen Granitbauten als „Granitstadt“ und „silberne Stadt“ bezeichnet wird. Es gibt diverse, mitunter schöne Parks, eine lange Küstenlinie mit Strand und Strandpromenade. Museen, Kultur und alternative Lebensarten sind an einigen Orten zu finden. Aberdeens Bewohner kommen aus vielen Teilen der Welt, einige sind Studenten, viele auch in Schottland oder direkt in Aberdeen geboren. Das klingt alles gut, oder?
Für mich fühlte sich Aberdeen leider dennoch alles andere als gut an. Die Stimmung in der Stadt fühlte sich in den Tagen, die wir dort verbrachten, immer etwas angespannt, vor allem aber trostlos an. Einst offensichtlich prachtvolle Bauten, an denen der Putz abblätterte. Müll und allerlei anderer Unrat auf den Straßen, die uns oftmals merkwürdig leer vorkamen. Die Gesichter der wenigen Menschen, die wir sahen, schienen von Unglück, auffallend viele jedoch vom Drogen- und Alkoholmissbrauch gezeichnet. Selbst die Küste, die für mich eigentlich immer und überall ein Durchatme-Gefühl erzeugt, empfand ich als beklemmend. Das lag auch, aber nicht nur, am alles andere als attraktiven Anblick etlicher Öltanker. Die fuhren wahlweise raus oder rein oder parkten nicht weit entfernt im Meer.
Aberdeen und das Öl
Aberdeen hat sich seit den 1970er Jahren, als vor seiner Küste Öl in der Nordsee gefunden wurde, zur „Öl-Hauptstadt Europas“ entwickelt. Heute ist die Stadt ein logistischer Knotenpunkt und die riesigen Öltanker bestimmen das Bild in den Häfen und an der Küste. Mit dem Öl kam das Geld nach Aberdeen und heute gilt die Stadt als eine der reichsten Schottlands. Ehrlicherweise wundert mich das, wirkt sie vielerorts heruntergekommen, auch in ihrer Innenstadt und am Strand. Während meiner nachträglichen Recherche zu Aberdeen stieß ich auf verschiedene Artikel, die einen Ansatz einer Erklärung bieten, schreiben sie vom Ende der Ölkultur in der schottischen Stadt. Bereits 2014 soll Aberdeen in eine starke Krise gerutscht sein, nachdem der Ölpreis einbrach. Das schrieb etwa die „Deutsche Welle“ im Jahr 2018. Sie schrieb auch, dass jeder dritte Job in Aberdeen von der Rohstoffindustrie abhängt, die Quellen aber nach und nach zuneige gehen. Das bestätigt ein Artikel der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ aus dem letzten Monat. Dort heißt es, dass die Öl- und Gasförderung bereits seit Jahren immens nach unten gehe. Etliche Felder seien so „alt und weitgehend erschöpft“, dass man sie bald außer Betrieb nehmen werde.
In einem Artikel der schottischen „Orkney News“ wird in Charles-Dickens-Anlehnung von a tale of two cities geschrieben, also einer Geschichte zweier Städte. Denn während es vielen Aberdeenern gut ergangen sei, mussten jene kämpfen, die nicht am Öl beteiligt waren, heißt es dort. „Hinzu kommen die Kosten und Tragödien der Todesopfer einer Industrie, die unter schrecklichen Bedingungen Öl in Schottlands Nordsee produziert“, schreibt die Autorin.
Sind es diese Lebensumstände, die ich auf den Gesichtern der Menschen hier lese? Der eingebrochene Wohlstand und verlorene Jobs? Das harte Leben, das diese Arbeit mit sich bringt oder brachte? Ich vermag es nicht zu beurteilen. Ich habe Aberdeen nur wenige Tage kennengelernt. Bei mir bleibt schlicht ein schlechter Beigeschmack nach einem kurzen Besuch, den wir einen Tag früher abgebrochen haben, als ursprünglich geplant.
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Aberdeens Umgebung
Trotz diesen faden Beigeschmacks möchte ich diesen Text gern positiv beenden, habe ich südlich Aberdeens eine sehr nette Sehenswürdigkeit in Aberdeenshire entdeckt: das Dunnottar Castle. Die beeindruckende Burgruine, deren Überreste überwiegend aus dem 15. und 16. Jahrhundert stammen, wurde direkt auf einem riesigen Felsvorsprung gebaut.
Außerdem befindet sich nicht allzu weit von Aberdeen entfernt, knapp eineinhalb Stunden in dessen Westen, das Balmoral Castle, der schottische Urlaubssitz der britischen Königsfamilie. Und das kann mittlerweile sogar besucht werden (TRAVELBOOK berichtete). Südlich von Aberdeen trifft man nach einer ähnlich langen Fahrtzeit außerdem auf Dundee, der offiziell ältesten Stadt Schottlands.