18. Juni 2023, 6:23 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
1911 eröffnet, war der Alte Elbtunnel in Hamburg der erste seiner Art unter Wasser auf dem europäischen Kontinent. Noch heute führt er jährlich Millionen von Besuchern unter der Elbe von den St.Pauli Landungsbrücken nach Steinwerder. Doch die technische Revolution forderte damals einen hohen Preis – den auch mehrere Menschen mit dem Leben bezahlen mussten.
Es steht wohl außer Frage, dass der Hamburger Stadtteil St. Pauli auch international ist für seine legendäre Amüsiermeile, die Reeperbahn. Doch hier befindet sich, direkt am Wasser, noch ein anderes beliebtes Wahrzeichen der Hafen-City. Besser müsste man eigentlich sagen unter Wasser, denn gemeint ist der Alte Elbtunnel, der seit 1911auf fast einem halben Kilometer Länge die St. Pauli Landungsbrücken mit der Insel Steinwerder verbindet. Noch immer wird er täglich von Fußgängern und Radfahrern genutzt, und hat sich zudem zu einer beliebten Touristenattraktion entwickelt. Heute fast vergessen scheint aber, dass der Bau des technischen Meisterwerkes auch Menschenleben forderte.
In den 1870er-Jahren wächst der Hafen von Hamburg laut „NDR“ rasant, und somit stellt sich den Stadtvätern eine wichtige Aufgabe. Sie wollen sicherstellen, dass die unzähligen Arbeiter schnell und vor allem sicher ihre Wirkungsstätten erreichen können. Die Fähren sind mit der Menge an Menschen längst überlastet, fallen zudem bei schlechtem Wetter sowie Nebel und winterlichen Bedingungen häufig aus. Zunächst erwägt man den Bau einer Schwebebahn über die Elbe, auch eine Hochbrücke wird in Betracht gezogen. Da die Kosten dafür aber ins Astronomische gehen würden, entscheidet man sich schließlich für eine kühne Pionierleistung: Warum nicht einfach einen Tunnel unter der Elbe graben? 1902 genehmigt die Stadt das Projekt, und neun Jahre später öffnet der Alte Elbtunnel, auch St.Pauli Elbtunnel genannt.
Der Bau fordert Menschenleben
Zunächst einmal beginnen aber 1907 die Bauarbeiten. Vorbild ist der sogenannte Clyde Tunnel in der schottischen Hafenstadt Glasgow, der bereits 1895 eröffnet hat. 4400 Arbeiter graben sich 24 Meter unter der Elbe langsam durch die schlammige Erde, trotzen dem Fluss schließlich zwei Röhren mit jeweils sechs Meter Durchmesser ab. Der Alte Elbtunnel wird schließlich mit Stahlelementen abgestützt. Ein großes Problem ist der veränderte Umgebungsdruck, dem die Männer so tief unter der Erde ausgesetzt sind. Bevor sie zu ihrer Arbeit hinabsteigen, müssen sie sich daher in Druckkammern vor dem Ab- und Aufsteigen daran anpassen. Das gelingt jedoch nicht immer so wie geplant – im Gegenteil.
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Etwa 700 der Männer leiden während der Bauarbeiten an der sogenannten Taucherkrankheit, die der veränderte Druck bei ihnen auslöst. Hierbei reichert sich laut dem Duke University Medical Center durch eine verändere Drucksituation Stickstoff im Blut und Gewebe an, der bei einem zum schnellen „auftauchen“ Gasbläschen bilden kann. Schlimmstenfalls wird dadurch das Gewebe geschädigt und/oder werden Blutgefäße blockiert. Davon können auch lebenswichtige Organe wie das Gehirn betroffen sein. Und so kostet der Alte Elbtunnel leider drei Männern das Leben. Ihre Symptome sind so stark, dass sie trotz ärztlicher Behandlung sterben.
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Bis zu 19 Millionen Nutzer pro Jahr
Doch das alles scheint vergessen, als der Alte Elbtunnel Anfang September 1911 feierlich eröffnet. Er ist nicht nur eine technische Meisterleistung, sondern auch der erste Unterwassertunnel auf dem europäischen Kontinent. Für viele Menschen bedeutet er eine teils erhebliche Verkürzung ihres Arbeitsweges, zudem ist die Nutzung kostenlos. Bilder aus der damaligen Zeit zeugen von wahren Anstürmen auf den exakt 426,5 Meter langen Tunnel unter der Elbe. In Spitzenzeiten nutzen ihn damals bis zu 19 Millionen Menschen pro Jahr. Etwa 60 Jahre lang ist er damit einer der wichtigsten „Verkehrsadern“ der Stadt. Erst als in den 1970er-Jahren ein neuer Elbtunnel gebaut wird, verliert er in dieser Funktion an Bedeutung.
Seit 2003 steht der Alte Elbtunnel unter Denkmalschutz, doch zum alten Eisen gehört er noch lange nicht. Zum hundertjährigen Jubiläum bringt man 2011 sogar eine Gedenkmünze heraus, die ihn zeigt. Bis heute nutzen den Tunnel unzählige Fußgänger und Radfahrer täglich, zudem kommen natürlich auch Touristen gerne. Das liegt auch daran, dass laut der offiziellen Seite der Stadt Hamburg hier immer wieder Veranstaltungen wie Konzerte und Kunstausstellungen stattfinden. Bis 2010 gab es auch den Elbtunnel-Marathon. Jedoch wird der Alte Elbtunnel bereits seit 1995 umfangreich restauriert. Und während die Renovierung der Oströhre bereits 2019 abgeschlossen werden konnte, dauert die Erneuerung der Weströhre wohl noch bis 2026. Kostenpunkt für die Generalüberholung: Schätzungsweise fast 100 Millionen Euro.
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Wer heute das historische Monument als Tourist besuchen will, findet den Einstieg in die Unterwelt an der Adresse Bei den St. Pauli Landungsbrücken 7. Über 132 Stufen oder einen der Aufzüge geht es dann hinab in die Tiefe unter der Elbe. Auch die Schachtgebäude, durch die man hinunter bzw. wieder hinauf gelangt, sind wegen ihrer Bauweise sehenswert. Die Nutzung ist weiter kostenlos. Vom südlichen Elbufer hat man dann eine sehr schöne Aussicht auf den Hamburger Hafen. Und nachdem sein Vorbild in Glasgow bereits 1980 stillgelegt wurde, ist der Alte Elbtunnel sogar der letzte seiner Art auf der ganzen Welt. Und seit mehr als 100 Jahren Hamburgs unterirdisches Wahrzeichen.
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