14. Januar 2017, 19:23 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Es gibt es noch, das Paris der Bohème: Im Nordosten der Stadt reift das ehemalige Arbeiterviertel Belleville immer schneller zu dem beliebtesten Szeneviertel der französischen Hauptstadt heran. Ein Rundgang.
Der Smog hat den Eiffelturm in einen grauen Dunst getaucht. Auch wenn man auf dem nahe gelegenen Place de la Concorde steht, kann man kaum die Hälfte des Pariser Wahrzeichens erkennen. Weit weg aber von den Touristenmagneten der Stadt, vorbei an der Prachtstraße Champs-Élysées, dem Quartier Latin und dem wuseligen Marais, immer weiter Richtung Nordosten, lichtet sich der trübe Feinstaub-Schleier. Hier erstreckt sich eine Anhöhe, von der man noch ein Stück blauen Himmel erspähen kann.
Das Viertel, das dort liegt heißt Belleville. Zu deutsch: Die schöne Stadt. Ob es wirklich so belle dort ist, ist eine Frage der Perspektive. Viele Touristen, die sich mit dem herausgeputzten Postkarten-Paris begnügen, würden sicherlich wild kopfschüttelnd verneinen. Wer jedoch das lebendige Paris der Studenten sehen will, der ist hier richtig.
Im kosmopolitischen Bellleville leben Studenten, Künstler und Familien aus aller Welt dicht an dicht. Hier bestimmen Straßenkunst, Kneipen und Galerien das Stadtbild, von Edelboutiquen, überteuerten Restaurants und dem Staub der gepflegteren Viertel von Paris ist wenig zu sehen. Bezahlbare Mieten, einen guten Sicherheitsabstand zu den Touristenmassen und das alternative Nachtleben machen das Quartier so beliebt.
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Streetart en masse
Auf der Rue Denoyez sieht man, was man sonst oft vergeblich in der französischen Hauptstadt sucht: Streetart en masse zieht sich über die Wände und Hinterhöfe. Wenn man durch diese Straße schlendert, empfiehlt sich ein Espresso in dem verträumten Lese-Café „Le Barbouquin“, in dem man zwischen bunten Bücherstapeln und gemütlichen Polstermöbeln ruhig in den Tag starten kann.
Graffiti sind aber auch überall sonst auf den Fassaden Bellevilles zu finden. Auf einer Wand prangt ein berühmtes Mural des schweizerischen Streetartkünstlers Benjamin Vautier. Auf Französisch steht dort auf einer mit mustergültiger Schnörkelschrift beschriebenen Schultafel: „Il faut se méfier des mots“, „Hüte dich vor den Worten“. Gemeint ist natürlich: Hüte dich vor dem System! Die Tafel wird von zwei Marionetten gehalten.
Dem System entkommt man am besten, indem man die Schickeria meidet. In Belleville kann man sehr billig essen gehen, denn hier befindet sich eine der größten Chinatowns der Stadt. In den unzähligen vietnamesischen und chinesischen Lokalen oder auf dem wöchentlichen Markt am Boulevard de Belleville kann man gute, abwechslungsreiche und günstige Küche finden.
Wie eine Insel inmitten der raueren Straßenzüge liegt Ménilmontant, ein eingemeindetes Dorf mit wunderschönen Häusern, in dem man durch süße Feinschmeckerläden, lauschige Cafés und Boulangerien bummeln kann. Auch die klassischen Pariser Bistros mit ihren Leuchtschildern und 60er-Jahre-Möbeln kann man hier finden.
Kunst, Museen und eine Grande Dame
Bei all seiner legeren Rauheit hat Belleville nämlich auch den französischen Charme und die trist-pittoreske Schönheit, die auch den Rest der Stadt so anziehend machen. Plus eine große Legende der Pariser Bohème als Schutzpatronin: Die große Chanson-Sängerin Édith Piaf kam hier zur Welt. Man erzählt sich, dass sie auf den Stufen der Treppe der Nummer 72 in der Rue de Belleville geboren wurde, einer Straße, die sich durch das ganze Quartier schlängelt.
Heute befindet sich dort ein kleines Museum, das sich dem Leben der Künstlerin widmet. Die interessanteste Kunstschaustätte in Belleville ist jedoch die „Les ateliers d’artistes de Belleville“ in der Rue Picabia, in denen sich über 300 Künstler zusammengeschlossen haben, um moderne Kunst zu gestalten, die sich auch ein Normalverdiener leisten kann. Im Mai hat man die Möglichkeit, die Künstler während der „Portes ouvertes“ – der Tage der offenen Ateliers, in ihren Werkstätten und sogar ihren privaten Wohnungen zu besuchen.
Eine Nacht in Belleville
Nachts geht man in Belleville zum „Café Cherie“ oder ins „Aux Folies“, um als Apéritif zusammen Wein und Bier zu trinken, bevor man feiern geht. Man darf nicht zu spät dran sein, denn die Studenten prügeln sich um die Plätze in den preiswerten Kneipen. Wenn dann das eigentliche Feiern ansteht, geht man am besten in das La Bellevillouise. Tagsüber ist die angesagte Location ein alternatives Café, nachts ist sie Bar und Club zusammen. Von Breakdance-Battles über Cumbia-, Funk und Electro-Parties kann man hier zu allem tanzen, was nicht Mainstream ist. Auch da gilt: Es wird voll! Auch zum Tanzen sollte man daher früher erscheinen als man das zum Beispiel in Berlin oder New York tun würde.
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Auch entspannen kann man hier
Wer sich von einer langen Nacht in Belleville erholen will, für den bietet das Viertel aber auch Ruhe und Entspannung: Berühmt für seine Schönheit ist der Parc des Buttes-Chaumont, der auf den steilen Ruinen eines Steinbruchs errichtet wurde und zu den schönsten Gärten der Stadt gehört.
Von den Steinterrassen des Parc de Belleville, auf denen Pariser Obst und Gemüse anbauen und prachtvolle Zuchtblumen blühen, hat man jedoch einen weit schöneren Blick über Paris. In einem Amphitheater und Streetart-Pavillon finden das ganze Jahr Kunst-Events, Fußballtuniere und Konzerte statt. Ganz am östlichen Ende des Horizonts prangt der Eiffelturm. Er ist halt doch einzigartig schön, das muss man auch als Belleviller Bohème zugeben können.