29. Dezember 2014, 13:38 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Die viertgrößte Stadt Tschechiens ist neben Mons eine der zwei Kulturhauptstädte 2015. Auch wenn man bei dem Namen erstmal nur an das eine denkt: Pilsen hat weit mehr zu bieten als Bier.
Jarda ist Rentner. 65 Jahre alt, ein lustiger Mann. Und einer, der sein gesamtes Arbeitsleben in den Skoda-Werken in Pilsen verbracht hat. Autos hat er da nicht gebaut, denn die wurden in der Stadt in Westböhmen nie hergestellt, sondern Motoren für Straßenbahnen und andere Maschinen. Vaclav ist 55. Auch er ist bei einem Unternehmen angestellt, das traditioneller nicht sein könnte: Er ist Böttcher bei der Pilsner-Urquell-Brauerei.
Was haben die beiden nun gemeinsam? Sie erzählen Geschichten, die unmittelbar mit dem Leben in der Europäischen Kulturhauptstadt 2015 verknüpft sind. Jarda nimmt die Besucher mit in die Welt der Industrie, in die Skoda-Werke, die im Jahr 1859 in Pilsen gegründet wurden. Vaclav erzählt von der Wiege des Bieres – denn das Pilsner Urquell trägt seinen Namen nicht von ungefähr. Das Plzeňský Prazdroj – so der tschechische Name dieses untergärigen Bieres – gilt als erstes Bier Pilsner Brauart.
Auf einer Handy-App oder im Internet kann man sich die Geschichten von Jarda, Vaclav und sieben weiteren fiktiven Pilsner Charakteren anschauen. „Das ist eine ganz neue Art, die Stadt kennenzulernen“, sagt Petr Forman. Er ist der künstlerische Leiter der Kulturhauptstadt „Pilsen 2015“. Für das kommende Jahr putzt sich die Stadt groß heraus.
Zwei Theater besitzt Pilsen seit September 2014: das Große Theater und das Neue Theater. Ersteres gehört zu den bedeutendsten Kulturdenkmälern der Stadt, eröffnet im Jahr 1902. Das Neue Theater nahm erst vor wenigen Monaten den Betrieb auf. Es ist eines der Projekte, das unter anderem mit Geldern für die Kulturhauptstadt finanziert wurde. Und es ist ultramodern.
Man habe dieses Theater gebraucht, um das marode Kammertheater zu ersetzen, sagt Eva Ichová, die Sprecherin der beiden Häuser. „Beide Theater sind sehr gut besucht.“ Nicht alles soll klassisch sein, betont Petr Forman. „Wir wollen vor allem die Leute begeistern, die eher nicht ins Theater oder in ein Konzert gehen“, sagt der Sohn des oscarprämierten Regisseurs Milos Forman. Dazu setzt er vor allem auf Vorstellungen, die unabhängig von Sprache sind.
Mit den meisten Besuchern rechnen die Veranstalter bei einem Auftritt der französischen Kompanie Royal de Luxe, die in der Stadt überdimensionierte Puppen tanzen lassen wird. Doch es soll nicht so sehr um die großen Events gehen. „Wir haben acht große Themen in diesem Jahr und dazu mehr als 600 Veranstaltungen“, sagt Programmdirektor Jiří Sulženko.
Die Westböhmische und die Städtische Galerie zeigen Ausstellungen internationaler und tschechischer Künstler. „Zum ersten Mal ist eine Sammlung von Maori-Portraits des Pilsner Künstlers Gottfried Lindauer in Europa zu sehen“, sagt Sulženko. Lindauer war nach Neuseeland ausgewandert und hatte die Ureinwohner dort porträtiert. „Die Maori glauben, dass die Seelen ihrer Verstorbenen in den Bildern weiterleben“, erläutert der Programmchef. Darum kommen nicht nur die Gemälde nach Tschechien, sondern auch Maori-Schamanen.
Und dann ist da noch die Brauerei und das Bier. „Das ist noch immer der Grund, weswegen die meisten Menschen nach Pilsen kommen“, sagt Forman. Darum ist auch das Gelände der Pilsner-Urquell-Brauerei Schauplatz verschiedener Veranstaltungen – genauso wie der Zug, der München und Prag verbindet und dabei Halt in Regensburg und Pilsen macht. „Er wird an den Wochenenden um ein Abteil aufgestockt, in dem eine Bühne ist“, sagt Sulženko. Darauf wird während des gesamten Kulturhauptstadtjahres gespielt, damit die Besucher schon auf dem Weg einen Vorgeschmack auf die Events in der Kulturhauptstadt bekommen.