3. Juni 2024, 17:45 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Die Anfänge der Hafenstadt Chania auf Kreta gehen zurück auf eine Zeit vor fast 6000 Jahren. Heute ist der Ort ob seiner unvergleichlichen Schönheit und seines mediterranen Charmes das bei Touristen wohl beliebteste Ziel für einen City-Trip auf Griechenlands größter Insel. Bei seinem Besuch hat unser Autor eine einzigartige Destination kennengelernt, die jedoch immer mehr unter dem Ansturm von Besuchermassen ächzt. Die Lösung für eine lebenswertere Zukunft für die Einwohner von Chania könnte dabei ausgerechnet in der Vergangenheit liegen.
Wer einen Bummel durch die sauberen, gepflegten Gassen der wunderschönen Hafenstadt Chania unternimmt, der atmet sie bei jedem Schritt. Geschichte. Die Anfänge des Ortes, der bis 1972 noch die Hauptstadt von Kreta war, liegen bereits knapp 6000 Jahre zurück, etwa im Jahr 3500 vor Christus. Chania ist damit einer der ältesten Orte – und zwar nicht nur auf Griechenlands größter Insel, sondern auf der ganzen Welt. Ihr unvergleichlicher mediterraner Charme, der sich vor allem abends und nachts zeigt, hat sie zu dem wohl beliebtesten Ziel für einen City-Trip bei Touristen aus aller Welt gemacht. Doch genau darunter leiden mittlerweile die Einheimischen.
Überblick
Beim Besuch in Chania kann man sich mitunter des Eindrucks nicht erwehren, man befände sich überhaupt nicht in einer echten Stadt, sondern viel mehr an einem perfekt inszenierten
Filmset. Alles in der Altstadt ist auf Hochglanz poliert, schicker Souvenirladen reiht sich an piekfeines Restaurant reiht sich an hippen Coffee-Shop. Dazu eine Vergangenheit, die überall noch durchscheint, Historie zum Betreten, hautnah erleben, atmen. Viele Häuser bereits jahrhundertealt, noch unter der Herrschaft der Venezianer oder Osmanen errichtet. Beide Besatzungsmächte hatten hier lange politischen und sozialen Einfluss.
Eine Stadt wie aus dem Drehbuch
Chania, so geht die Legende, ist erbaut auf den Ruinen der sagenumwobenen Stadt Kydonia. Und obwohl es dafür bis heute keinen zwingenden Beweis gibt, kann man die gelebte Geschichte an zahlreichen Ausgrabungsstätten oder entlang der alten Stadtmauer aus dem 7. Jahrhundert bewundern. Viele Häuser scheinen mitten aus ihr heraus zu wachsen, und so fügt sich das Neue so umwerfend in das Alte ein, dass man aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommt, während man durch die Straßen und im Hafen flaniert.
Wer genauer hinsieht, erkennt jedoch auf den zweiten Blick etwas Merkwürdiges. An fast jedem Häusereingang glänzende Plaketten, die auf Suiten, Appartements, Lofts Ferienwohnungen hinweisen. Dazwischen nicht eben wenige schicke Hotels, meistens mit dem Nobel-Vorsatz „Boutique“. Es mag dieser Moment sein, in dem man realisiert, dass Chania ob seiner Schönheit wirklich in eine Art Drehbuch-Ort verwandelt wurde. Ein Prozess, der immer schneller voranschreitet, wie ich bald lernen sollte.
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Die Einheimischen werden aus Chania verdrängt
Am späten Nachmittag über das Hafengelände lustwandelnd, störte plötzlich etwas empfindlich meinen Tagtraum. Es lärmte, es knallte auch, und schon bald zog ein ganzer Tross frustriert aussehender junger Menschen Flugblätter verteilend über den Platz mit Blick auf den alten Leuchtturm. Ihre Ankunft war auf maximalen Effekt bedacht, sie wollten die Idylle durchbrechen, die Chania offenbar momentan nur noch für Touristen ist. Nennen Sie es Berufskrankheit, aber natürlich wollte ich wissen, was denn da eigentlich los war. Mein Blick auf die vielleicht schönste Stadt auf Kreta war danach ein anderer.
„Wir Einheimischen werden immer mehr verdrängt“, klagte ein junger Mann mir gegenüber. „Die Mieten und Lebenshaltungskosten steigen immer weiter, sodass sich viele Menschen in Chania ihre eigene Heimat nicht mehr leisten können.“ Immer mehr Wohnraum würde in ebenjene Mietobjekte verwandelt, die ich unterwegs schon so zahlreich gesehen hätte. Grund für die Demonstration: Die Universität von Kreta hat soeben ein Filetgrundstück am Hafen an ein Investorenkonsortium aus Israel verkauft. Niemand kann momentan absehen, was nun aus dem historischen Gebäude wird, dass schon jetzt ein Ausnahme-Objekt an der Wasserfront ist.
„Schlimmste Regierung aller Zeiten“
Es ist ein wahrhaft skurriles Bild. Während sich eine junge Meute versammelt und nun mit Liedern gemeinsam gegen den Overtourism protestiert, filmen zahlreiche Touristen das für sie vermeintlich unterhaltsame Spektakel von den Balkonen ihrer Unterkünfte. Sie haben keine Ahnung, dass es in den melancholischen Songs um sie geht. Und ich spüre plötzlich ein mulmiges Gefühl im Magen. Habe ich Chania vorher völlig sorglos und begeistert quasi eingeatmet, bleibt jetzt ein schaler Beigeschmack im Mund. Einziger Trost: Meine Freundin und ich haben ein Häuschen deutlich außerhalb der Stadtgrenzen gebucht. Aber dennoch sind auch wir eben Teil jener Touristenmasse, unter der die City immer mehr ächzt.
Auch Eleftherios kann über die aktuelle Situation nur den Kopf schütteln. Wir treffen ihn, mit einem Glas Rotwein in der Hand, vor seinem Haus sitzend. Erbaut vor 600 Jahren, ist es seit Generationen im Familienbesitz. Und obwohl auch er sich mit der Vermietung von Zimmern etwas dazuverdient, sieht er die aktuellen Entwicklungen in seiner Stadt mit Besorgnis. „Wir haben momentan wirklich die schlimmste Regierung aller Zeiten“, schimpft er. Die einzige Hoffnung, das geplante Bauprojekt am Hafen von Chania doch noch zu stoppen, bei dem wieder ein Stück alte City der Moderne geopfert würde, liegt dabei laut ihm ausgerechnet in der Vergangenheit.
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Hoffnung auf die Vergangenheit
„Sobald sie irgendwo Hinweise auf ein Stück alter Geschichte fänden, wäre jede Planungsofort vom Tisch. Das einzige, was den griechischen Politkern wichtiger ist als Geld, ist, die Legende des alten Griechenland als kulturelle Wiege der Zivilisation zu bewahren.“ Am Hafen von Chania haben sich unterdessen immer mehr Menschen zusammengefunden. Sie musizieren und tanzen miteinander, ein friedlicher Protest gegen eine aggressive Übernahme ihrer Stadt. Von Polizei weit und breit keine Spur. Und wieder glühen die Handys der Touristen beim Filmen dieser für sie malerischen Szenerie.
Uns treibt es dann aber doch noch weiter, und das an insgesamt gleich zwei Tagen. Chanias Stolz ist gleichzeitig auch sein Drama: Die Stadt ist wirklich einfach so schön, dass man sie bei einer Kreta-Reise gesehen haben muss. Sind wir zumindest etwas besser, weil wir mit Restaurant-Besuchen und Souvenir-Käufen die lokale Wirtschaft ein wenig ankurbeln? Ich vermag es nicht zu sagen, doch der Flair von Chania hat uns von Minute eins an gefangen genommen. So sitzen wir am Hafen in dem teuren, aber sehr guten „Arismari“ und genießen das Beste aus den Netzen der lokalen Fischer, während am Himmel die Sonne in einem polychromen Untergang regelrecht explodiert.
Süße Sünden zu später Stunde
Zahlreiche Spaziergänger genießen die Stimmung bei einer Promenade zum alten Leuchtturm, von wo man einen tollen Blick auf den bunten Hafen hat. Die Häuser sehen aus, als hätte man sie frisch mit Aquarellfarbe gemalt. Überall von den Laternen und aus den Fenstern dieses warme magische Licht, das es nur im Mittelmeer-Raum gibt. Wir lassen uns weiter in die Nacht hinein ziehen, in wuselige Sträßchen, in denen es so viele Eiskaffees und Coffee-Shops gibt, das man das Zählen irgendwann aufgibt. Dazwischen Geschäfte mit allen nur erdenklichen Andenken. Reizüberflutung im positivsten aller Sinne.
Wir folgen dann einer Empfehlung von Eleftherios und landen in der modernen Bäckerei „Skéti Glyka“, die abends um halb zehn noch brechend voll ist. Hier gibt es in dem herrlichen Ambiente einer alten Gasse einmalig leckere Süßigkeiten aus lokalen Zutaten, die Karte wechselt regelmäßig. Auch zu später Stunde bekommt man zudem noch einen Kaffee, diesen ölig-schwarzen Treibstoff der griechischen Gesellschaft. Die Preise sind sogar für deutsche Geldbörsen gehoben. Doch die süßen Sünden vor Ort, serviert von Patissiers, die laut eigener Aussage selbst ihre besten Kunden sind, schmecken einfach unwiderstehlich.
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Moderne Kräuterhexe
Derart gestärkt, lassen wir uns weiter durch Chania treiben. Und finden irgendwann Maria im „Cream of Hippocrates“. All die unzähligen Salben, Tinkturen, Öle und Tees in ihrem erstaunlichen Laden stellt sie selbst her. Eine moderne Kräuterhexe, die außerdem an einem 200 Jahre alten Webstuhl Textilien herstellen und selbst Schnaps brennen kann. Den bietet sie denn auch gleich freigiebig an und ist ein wenig entrüstet, dass wir schon seit Jahren keinen Alkohol mehr trinken. Meine Freundin kauft dann aber vor lauter Begeisterung gefühlt den halben Laden leer. Von den Vorzügen von Marias Cremes schwärmt sie mir noch heute regelmäßig vor.
Ich könnte Ihnen an dieser Stelle sicher noch zahlreiche weitere Tipps für einen gelungenen Besuch in Chania geben. Aber Sie sollen ja selbst einmal hinfahren und Kretas wahrscheinlich aufregendste Stadt für sich entdecken. Sie können sich ja vorab selbst gut überlegen, ob Sie dann wirklich auch in diesem wunderschönen Disneyland wohnen wollen, oder ob Ihnen auch ein einfacher Ausflug reicht. In beiden Fällen wird es für Sie sicher ein unvergessliches Erlebnis bleiben.