12. Juni 2022, 15:16 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Unter den Straßen von London liegt ein vergessener Ort, den wohl kaum noch jemand kennt. Die verlassene U-Bahn-Station der Crystal Palace Subway. Sie erinnert durch ihren prunkvollen Bau mehr an ein Gotteshaus als an einen Bahnhof.
Das Jahr 1851 markierte für die aufstrebende Stadt London einen historischen Höhepunkt. Denn in jenem Jahr fand in der Metropole an der Themse, schon damals eine der modernsten Metropolen weltweit, die Weltausstellung statt. Ein Ereignis, das enormes Renommee mit sich brachte und bei dem unzählige Besucher Attraktionen aus Ländern rund um den Globus bestaunten. Unter ihnen war auch der sogenannte Crystal Palace.
Das Gebäude aus Gusseisen und Glas war ein derartiger Besuchermagnet, dass man sich entschied, ihn fortan dauerhaft und in vergrößerter Form in London auszustellen. Dies war auch die Geburtsstunde der Crystal Palace Subway. Denn aufgrund der massiven Besucherströme brauchte man eine U-Bahn, die die Menschen an ihr Ziel brachte. Bereits 1854 eröffnete daher die Crystal Palace Low Level Station, wie die „Friends of the Crystal Palace Subway“ auf ihrer Webseite berichten. Um die Laufdistanz zu der Sehenswürdigkeit nochmals zu verringern, wurde 1865 dann die High Level Station eingeweiht.
Eine U-Bahn-Station wie eine byzantinische Kirche
Am 1. August 1865 feierlich eingeweiht, wurde die High Level Station mit ihrer pompösen Architektur zum Synonym der Crystal Palace Subway. Gebaut für U-Bahn-Fahrgäste der ersten Klassen, protzte sie unter anderem mit 18 mächtigen Säulen. Durch sie erscheint der Bau fast wie eine byzantinische Kirche. Die High Level Station verfügte über insgesamt vier Ein-und Ausgänge, um den immensen Besucherandrang zum Crystal Palace entsprechend zu bewältigen.
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1911 erlebte die Crystal Palace Subway einen ihrer stolzesten Tage, als anlässlich der Krönungszeremonie von König George V. insgesamt 100.000 Londoner Kinder in den Crystal Palace eingeladen wurden. Die An- und Abreise erfolgte natürlich mit der Bahn über die High Level Station, 96 Züge waren an diesem Tag im Einsatz. Die Station meisterte ihre Mammut-Aufgabe mit Bravour, lokale Zeitungen wie der „Daily Mirror“ berichteten darüber.
Das Ende der Crystal Palace Subway
Bereits 1917 beginnt jedoch der langsame Niedergang der Crystal Palace Subway. In diesem Jahr zwingt der Erste Weltkrieg die Stadt zur Schließung der High Level Station bis zum 1. April 1919. Am 30. November 1936 erfolgt dann der endgültige Todesstoß, als der Crystal Palace selbst bei einem Feuer abbrennt. Und ohne die Attraktion brauchte man natürlich auch keine entsprechende U-Bahn-Station mehr.
Von 1941-45 erlangte die Crystal Palace Subway noch einmal kurzfristig Bedeutung als Bombenbunker während der Zweiten Weltkrieges, der knapp 200 Personen Schutz bieten konnte. Am 20. September 1954 schließt die High Level Station für immer ihre Tore für Fahrgäste. Das ist allerdings noch längst nicht ihr Ende, denn Besucher kommen in der Folgezeit dennoch reichlich, zunächst hauptsächlich spielende Kinder und Hobbyfotografen.
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Vandalismus, Raves und Wiederauferstehung
Im November 1971 schließlich werden die Ein-und Ausgänge der Crystal Palace Subway zugemauert. In den Jahren zuvor hatte es immer wieder verheerenden Vandalismus gegeben. Die Menschen fanden dennoch ihren Weg in die unterirdischen Katakomben. In den 1990er-Jahren wurde die High Level Station ein beliebter Ort für illegale Raves. 1996 drehte die Band „Chemical Brothers“ einen Teil ihres Musikvideos „Setting Sun“ in der Kathedralen-artigen U-Bahn-Station.
Bereits seit September 1979 wird die Crystal Palace Subway aber immer wieder an einzelnen Tagen offiziell für Interessierte geöffnet. Seit 2013 kümmern sich die „Friends of the Crystal Palace Subway“ um den Erhalt der Station. Normalerweise finden hier mehrmals im Jahr Touren für Besucher statt, aktuell ist die Station jedoch für eine Renovierung geschlossen. Sobald sie wieder öffnet, hat jeder die Chance, eines von Londons noch unbekannten Touristen-Highlights zu sehen. Laut Angaben der Betreiber kamen seit 2016 gerade einmal knapp 15.000 Menschen.