6. Februar 2018, 6:34 Uhr | Lesezeit: 11 Minuten
Die Erwartungen waren groß, als TRAVELBOOK-Autorin Annette Schimanski sich auf den Weg nach New York City machte. Die Weltstadt entpuppte sich aber als eine Metropole, deren Probleme die glamourösen Seiten der Stadt schnell überschatteten.
New York gilt als die ultimative Stadt. In der US-amerikanischen Metropole werden Träume wahr, heißt es. Die Möglichkeiten sind schier unendlich, die Gebäude scheinen den Himmel zu berühren. Models, Bänker, Designer – Menschen aus den unterschiedlichsten Branchen können sich auf New York einigen. Touristen kehren grundsätzlich voller Begeisterung aus dem Big Apple zurück. Es scheint, als stünde ich mit meiner Meinung, dass New York nicht die genialste Stadt der Welt ist, sehr alleine dar.
New York zur schönsten Winterzeit erleben, über Weihnachten und Silvester, das hatte ich mir vorgenommen. Mir schwebten Bilder wie in „Kevin – Allein in New York“ vor: der Blick auf die verschneite Stadt oder den riesigen Weihnachtsbaum auf der Rockefeller Plaza. Ein bisschen kitschig, aber im Weihnachtsurlaub darf das mal sein. Dass sich die Realität oftmals anders gestaltet, ist keine große Überraschung. Doch in New York wird nach kürzester Zeit offensichtlich, dass die Stadt nach außen hin grundsätzlich in einer hochpolierten, beschönigten Version dargestellt wird – von Anwohnern, von Touristen, in Magazinen, Filmen und Serien. Schon der Weg vom Flughafen nach Manhattan offenbart die andere Seite der Stadt.
Es gab Einiges, was mich in New York genervt – und auch erstaunt hat:
Die enormen Kontraste
In Manhattan glänzen die Wolkenkratzer um die Wette und auf dem Times Square versuchen die Leuchtreklamen zum Shoppen zu animieren, doch nur wenige Blocks entfernt stapelt sich der Müll auf der Straße, tropft der Regen durch die Decke auf die U-Bahn-Schienen und billige Lichterketten blinken wie wild an den Fenstern sämtlicher Cafés und Restaurants. Es ist erstaunlich zu sehen, wie das Land, das sich selbst stets an der Weltspitze sieht, tatsächlich aussieht.
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Über den Gehwegen verläuft ein unübersichtlicher Salat aus Stromkabeln, die sich von einem schiefen Strommast zum nächsten hangeln. Die Autos donnern über Schlaglöcher in den Straßen. Eine zunächst hübsch erscheinende Wohngegend endet abrupt in einem Brachland aus Müll, Dreck und Bauruinen. Die Busse wirken veraltet und würden in Deutschland keinesfalls den TÜV bestehen. Das Wasser wird mit Chlor gereinigt – und das ist deutlich zu schmecken. Man fühlt sich ein wenig an Zustände in Entwicklungsländern erinnert, nicht aber an die USA.
Der unnötige Hype
Nicht gerade selten hat man mit großem Andrang zu kämpfen – und zwar in fast allen Cafés, Restaurants und Imbissständen, die sehr gute Bewertungen oder anderweitigen Hype erfahren haben. So bilden sich endlose Schlangen vor Läden wie Katz’s Delicatessen, Ivan Ramen oder der Clinton Street Baking Company, wo es die besten Pancakes der Stadt geben soll. Für den kulinarischen Genuss sind viele bereit, Wartezeiten von bis zu einer Stunde auf sich zu nehmen, nur um einen Platz zu ergattern. Auf das Essen muss man dann natürlich auch noch warten. Die Speisen mögen durchaus sehr gut sein, doch was schade ist: Läden in der Nähe dieser Kultstätten werden kaum beachtet – dabei ist das Essen dort oftmals mindestens genau so gut. An Sonn- und Feiertag weitet sich das Problem mit der Warterei außerdem auf jedes halbwegs nett anzusehende Café aus. So kann einem die Lust auf Frühstück schnell vergehen.
Die mangelnde Essenskultur
Obwohl oder vielleicht gerade wegen des Hypes um einzelne Restaurants, kann man in New York nur in wenigen Ortsteilen so etwas wie eine nennenswerte Essenskultur genießen. Das gängige Procedere in Restaurants, auch in den gehobenen Lokalen, scheint von Schnelligkeit und wenig Gemütlichkeit geprägt zu sein. Langes Zusammensitzen bei einer Flasche Wein oder einem Kaffee scheint kaum möglich, denn Geschirr und Besteck sind weggeräumt, sobald man ebenjenes aus der Hand gelegt hat.
Falls man keinen weiteren offensichtlichen Wunsch äußert, liegt die Rechnung bereits auf dem Tisch. In manchen Fällen stehen die Kellner ungeduldig neben einem, während man sich gerade auf dem Weg machen möchte. Was in den USA möglicherweise als guter Service gewertet wird, empfinde ich einfach nur als stressig. Essen sollte vor allem im Urlaub nicht eine schnelle Erledigung, sondern ein Moment des Innehaltens und Genießens sein. Es dauerte ein bisschen, bis ich Cafés und Restaurants fand, in denen man gemütlich Zeit verbringen konnte ohne von den Mitarbeiter misstrauisch beäugt zu werden. Die lagen oft in SoHo, Greenwich Village, Williamsburg und Tribeca – die Stadtteile, die als Hipster-Hochburgen verschrien werden.
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Das fehlende Umweltbewusstsein
In Deutschland wurden die kostenlosen Plastiktüten abgeschafft, Kaffeebecher sollen weniger werden und man hat ein schlechtes Gewissen, wenn man doch mal in Plastik eingepacktes Gemüse kauft. Nicht so in den USA. Alles wird grundsätzlich zum Mitnehmen verpackt – der Kuchen im Café kommt in eine kleine Tüte, der Kaffee in den Becher und das, obwohl man im Laden bleiben möchte. In einem schicken französischen Café wurde mir die Quiche am Tisch in einer Plastikschachtel mit Plastikgabel gereicht. Für das Getränk gab es immer einzeln verpackte Strohhalme und zu Pancakes Cent-große Butterstücke, die ebenfalls einzeln in Plastik verpackt sind. Da wundern einen die Berge an Müll, die sich in den Straßen auftürmen, nicht mehr.
Das chaotische Stadtbild
Auch wenn man noch nie in New York war: Den Central Park kennen viele aus Hollywood-Filmen – er ist ein beliebter Drehort der Stadt. Oft sieht man die Protagonisten in dem riesigen Park sitzen und gedankenverloren in die Skyline blicken. Im Film sieht das wunderschön aus. Die Skyline, die den Süden des Central Parks tatsächlich einrahmt, ist ernüchternd chaotisch. Es herrscht eine Dichte an Wolkenkratzern, die so gar nicht zueinander passen wollen. Jedes Gebäude scheint einen anderen Stil zu bedienen und ist in den seltensten Fällen eine Reaktion auf die umliegenden Bauten.
Es ergibt sich ein wildes Stadtbild, das ohne jegliches städtebauliches Konzept entstanden zu sein scheint. Als hätte jeder Bauherr auf seinem Grundstück das umgesetzt, wonach ihm war und nicht das, was möglicherweise das Beste für die Stadt gewesen wäre. Im Süden Manhattans hingegen, wo sich ein weiteres dichtes Wolkenkratzer-Gebiet befindet, ist ein klareres, in sich stimmiges Stadtbild zu erkennen. Das könnte aber auch am Neubau des One World Trade Center liegen, das erst im Jahr 2014 abgeschlossen und von namhaften Architekten geplant wurde.
Apropos Architektur: Baustandards wie wir sie in Deutschland kennen, gibt es in den USA kaum. Das führt zum Bau von ungedämmten Gebäuden mit Einfach-Verglasung, was im Winter vor allem eines bedeutet: es wird drinnen kalt. Das Fenster, das auf eine der typischen Feuertreppen hinausführt, mag zwar ein netter Anblick in New York sein, aber spätestens, wenn man sich bei minus 15 Grad versucht aufzuwärmen, gibt es fast nichts unangenehmeres als im Café im Luftzug zu sitzen. Doch die New Yorker scheinen sich daran gewöhnt zu haben. Die sitzen dann einfach mit Jacke und Mütze am Tisch und die Kellner wärmen sich behelfsmäßig an Heizlüftern. Gemütlich geht anders.
Die Sache mit dem Geld
Natürlich gehört New York zu den teureren Städten. Ähnlich wie in London sind es hier vor allem die Mieten, die in schwindelerregende Höhen schießen. Der durchschnittliche Tourist ist davon meistens nichts betroffen. Die Preise in Restaurants und Cafés sind nicht so hoch, wie man es vielleicht erwarten würde. Im Supermarkt kann man eventuell in eine Falle tappen, wenn man nicht bedenkt, dass zu dem ausgezeichneten Preis noch Steuern hinzugerechnet werden. Die Eintrittspreise für Museen liegen zwischen 15 und 20 Euro, was angesichts der beachtlichen Sammlungen in New York durchaus vertretbar ist. Dennoch sollte man im Urlaub aufpassen, wofür man sein Geld ausgeben möchte. In New York kann einem schnell Ramschware zu horrenden Preisen untergejubelt werden – sei es beim Essen, bei Kleidung oder bei Mitbringseln. Außerdem sollte man sich überlegen, ob es sich lohnt für 40 Dollar auf das Empire State Building zu fahren und weitere 40 Dollar dafür aufzuwenden, die Freiheitsstatue hinaufzuklettern.
Die unerwartete Übersichtlichkeit
Vor meiner Reise wurde ich vor Menschenmassen, permanenter Hektik und unübersichtlichen Verkehrsnetzen gewarnt. Das U-Bahn-Netz ist aber abgesehen von den teils baufälligen Stationen hervorragend. Trotz der enormen Größe der Stadt erreicht man die meisten Punkte sehr schnell und ohne große Umstände. Eine Wochenkarte kostet 32 Dollar, etwa 27 Euro, und ist damit gar nicht so teuer. Ab und an fahren die U-Bahnen nicht in der Häufigkeit, die man sich von einer Weltstadt erwartet hatte, aber auch das ist zu verkraften. Denn erstaunlicherweise sind die Bahnen, außer zu den Stoßzeiten, nicht überfüllt oder gar voller Verrückter, wie gerne berichtet wird. Das ermüdende Gejammer über die unüberblickbare Größe der Stadt ist meistens unbegründet.
Natürlich sind in New York stets eine Vielzahl an Menschen und vor allem Touristen unterwegs. Doch Weihnachten zählt zu den wenigen richtigen Feiertagen in den USA und so kann man in manchen Teilen der Stadt durch fast leere Straßen spazieren und sogar ein bisschen Ruhe genießen. Denn die Massen konzentrieren sich zu der Jahreszeit vor allem auf der Rockefeller Plaza und am Times Square. Der einzige Nachteil: viele Cafés und Restaurants im Süden Manhattans und Brooklyn sind geschlossen.
Die Schönheit liegt im Detail
Nach mehr als zwei Wochen in New York musste ich feststellen, dass es keinesfalls eine schreckliche Stadt ist – es ist einfach nicht meine Stadt. Die Metropole erscheint mir geeignet für Touristen mit Checklisten, die die wichtigsten Sehenswürdigkeiten abklappern möchten und die Geduld haben, lange Wartezeiten für fast jede Unternehmung in Kauf zu nehmen. Unter den vielen Touristen-Attraktionen gibt es mehr oder wenig lohnenswerte Investitionen. Es kostete mich eine Stunde Wartezeit, rund 40 Dollar und einige meiner Nerven, um auf die 300 Meter hohe Aussichtsplattform des Empire State Buildings zu kommen. Ich stempelte den Ausflug als Touri-Aktion ab, die man gemacht haben muss.
Doch der Ausblick auf die gesamte Stadt mit all den Hochhäusern und die umliegenden Gebiete war dann eines der Highlights meiner Reise. Gleiches gilt für das Museum of Modern Art, das zum Glück seinem Ruf gerecht wird und mit einer großen Sammlung, durchdachten Ausstellungen und gelungener Architektur beeindruckt.
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Richtig schlimm ist New York dann doch nicht
Nachdem ich die Struktur der Stadt besser verstanden hatte, wusste ich, wo ich hingehen musste, um die Art von Urlaub haben zu können, die mir zusagt. New York ist wie ein Flickenteppich aus Stadtteilen, die sich durch unterschiedliche Qualitäten auszeichnen. In SoHo gibt es schöne Cafés mit wirklich gutem Kaffee – keine Selbstverständlichkeit in New York. In Williamsburg findet man private und von Labels geführte Plattenläden, in denen man sich stundenlang von einem Mitarbeiter beraten lassen kann. Greenwich Village ist voller kleiner Restaurants, die nur darauf warten, entdeckt zu werden und in Tribeca kommen Kunstinteressierte in den vielen Galerien und Buchläden auf ihre Kosten.
Es ist die große Vielfalt, die New York auszeichnet. Ich wünschte, mir hätte jemand vorher gesagt, ich solle erst gar nicht versuchen, die ganze Stadt komplett abzudecken und alle Sehenswürdigkeiten abzuklappern, sondern mich von vornherein auf die einzelnen Bezirke konzentrieren. Ohne Hektik oder Zeitdruck konnte ich mich dort nämlich treiben lassen und ein New York für mich entdecken, das mich letztendlich doch fasziniert und beeindruckt hat.