4. September 2023, 6:20 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Der Schiefe Turm von Pisa ist wohl eines der bekanntesten Wahrzeichen Italiens – und steht tatsächlich schon seit beinahe 850 Jahren schräg. Diverse Versuche, die prekäre Situation des Glockenturms zu verbessern, verschlimmerten seine Lage de facto nur noch. Erst in der jüngsten Vergangenheit erfolgte die „Rettung“ – wenn auch vermutlich vorerst nur auf Zeit.
Wenn man an Italiens berühmteste Wahrzeichen denkt, dürfte vielen neben dem Kolosseum und dem Petersdom in Rom wohl sofort auch der Schiefe Turm von Pisa in den Sinn kommen. Das Monument hat eine sprichwörtlich bewegte Geschichte hinter sich, seit vor über 850 Jahren mit seinem Bau begonnen wurde. Denn quasi seitdem befindet es sich bereits in seiner abenteuerlichen Schieflage. Dass der Turm überhaupt noch steht, grenzt an ein Wunder. Denn mehrfach verschlimmerten Versuche, seine „Haltung“ zu korrigieren, die Situation noch. Bis es 1990 beinahe zu spät war.
Es ist das Jahr 1173, als in Pisa die Grundsteinlegung für den Glockenturm der Stadt-Kathedrale erfolgt. Laut der Seite „Leaning Tower Pisa“ hat eine gewisse Donna Berta di Bernardo dafür 60 Silbermünzen gespendet. Am 9. August desselben Jahres beginnt also schließlich der Bau. Zu diesem Zeitpunkt ahnt noch niemand, dass hier eines der heute ikonischsten Monumente Italiens entstehen wird, dass noch mehr als acht Jahrhunderte später Menschen aus aller Welt begeistert: der Schiefe Turm von Pisa. Dabei geht sozusagen bereits von Anfang an alles, nun ja, schief.
Schräglage bereits nach fünf Jahren
Denn der Boden unter der Stadt Pisa, gelegen zwischen den beiden Flüssen Arno und Serchio, ist ungewöhnlich weich und feucht. Zu weich und feucht, um ein Bauwerk von einer Größe und einem Gewicht zu tragen, wie es der Schiefe Turm von Pisa hat. Und so beginnen bereits 1178, nur fünf Jahre nach Baustart, die Schwierigkeiten. Der Turm, zu dieser Zeit drei Stockwerke oder etwa 23 Meter hoch, beginnt, in den Grund einzusinken und sich dabei zu neigen. Ein bislang beispielloser Vorfall in der Stadt, die Architekten sind ratlos. Die Arbeiten müssen vorerst eingestellt werden. Doch was als Pause geplant ist, dauert fast 100 Jahre.
Denn etwa zur selben Zeit, als der Schiefe Turm von Pisa sich zu neigen beginnt, zieht die Stadt mit ihrem Rivalen Genua in den Krieg. Deswegen kann der Architekt Giovanni di Simone erst 1272 mit der Konstruktion des Turms forfahren. Bis zum Jahr 1284 hat er sieben von heute insgesamt acht Stockwerken errichtet, als zwischen Pisa und Genua erneut Krieg ausbricht. Und so muss schließlich wiederum etwa 70 Jahre später ein anderer di Simones Werk vollenden. Um das Jahr 1350 übernimmt Tommaso Pisano die Bauleitung, und darf sich schließlich 1372 der Fertigstellung rühmen. Die Schieflage hat auch er allerdings mit den damaligen Mitteln nicht korrigieren können. Und das trotz insgesamt fast genau 200 Jahren Bauzeit.
Der Schiefe Turm und der Diktator
Dennoch bleibt der Schiefe Turm von Pisa trotz seiner immer dramatischer werdenden Schieflage einfach stehen. Fast so, als weigere er sich, den Gesetzen der Bauphysik zu gehorchen und umzufallen. Und das, obwohl diverse Eingriffe seine Lage noch verschlimmern. So zum Beispiel 1838, als der Architekt Alessandro Gherardesca sich des Projektes annimmt. Er will aber nicht etwa das Monument stabilisieren, sondern dessen Fundament freilegen lassen. Wenig überraschend wird der Bau dadurch nur weiter destabilisiert, sein Neigungswinkel vergrößert sich sogar noch.
1934 ist es dann der Diktator Benito Mussolini, der die Haltung des Monuments begradigen lassen will. Für ihn ist der Schiefe Turm von Pisa eine Schande, unter seiner Ägide soll er endlich absolut senkrecht stehen. Der Plan geht jedoch, Sie ahnen es bereits, komplett schief. Und zwar sprichwörtlich. Denn nachdem man für eine vermeintliche Stabilisation über 360 Löcher in das Fundament des Turms gebohrt und diese mit insgesamt 90 Kubikmeter Beton gefüllt hat, neigt sich das Bauwerk wenig verwunderlich nur noch mehr. Der „Duce“ gibt seinen Plan schließlich auf.
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Und er neigt sich immer noch
Erst ab 1990, also mehr als 800 Jahre nach Baubeginn, erfolgen dann die ersten wirklich erfolgreichen Versuche zur Begradigung. Damals weist der Schiefe Turm von Pisa einen wahrhaft bedenklichen Neigungswinkel von etwa, 5,5 Grad auf. Der emeritierte Professor John Burland vom Imperial College London und ein Team von Experten schaffen in insgesamt elf Jahren dann schließlich das für unmöglich Gehaltene. Es gelingt, die Schräglage um mehr als einen halben Meter auf nun noch vier Grad anzupassen. Der Turm, bereits seit 1987 Unesco-Welterbe, kann daraufhin im Jahr 2001 endlich wieder für Touristen öffnen. Heute besuchen ihn jährlich mehrere Millionen Menschen.
Das gut 56 Meter hohe Monument zu besichtigen, ist allerdings nicht eben günstig. Der Seite „Ticketlens“ zufolge zahlen Personen über acht Jahre aktuell 20 Euro Eintritt. Die Öffnungszeiten variieren quasi monatlich und sind ebenfalls auf der Webseite einzusehen. Eine Vorab-Buchung (online) ist dringend zu empfehlen, da die Besuchszeiten auf 30 Minuten limitiert sind. Dafür genießen Sie dann von ganz oben den garantiert schönsten Blick auf die Stadt. Im Übrigen hat der Schiefe Turm von Pisa bereits wieder begonnen, sich zu neigen. Beobachtungen des Gebäudes ergaben, dass er allein zwischen 2001 und 2013 erneut 2,5 Zentimeter an Schieflage zulegte. Dennoch besteht für einen Besuch vorerst kein Grund zur Eile. Man schätzt, dass Pisas berühmtestes Monument dank der Arbeiten um die Jahrtausendwende noch mindestens 200 Jahre stehen wird.