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Eine Tour des Scheiterns

Die schönsten Pleiten Berlins – und ihre Orte

Spreepark
In der DDR kannte den „Kulti“ jedes Kind, heute ist der Spreepark im Plänterwald ein Lost Place Foto: dpa Picture Alliance
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TRAVELBOOK Redaktion

8. April 2014, 13:37 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten

Ein verrammelter Rummel, geplatzte Olympiaträume und viel Zirkus um ein Zelt – weitere schöne Pleiten Berlins

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Die schöne Sigi und der Steglitzer Kreisel

„Die schöne Sigi“ wurde sie genannt. Dabei war Sigrid Kressmann-Zschach mindestens ebenso clever wie attraktiv – kaum 40, galt die gebürtige Leipzigerin schon als erfolgreichste Bauunternehmerin Europas. Als Kressmann-Zschach dann Mitte der 1960er durch Insiderkontakte erfuhr, dass in Steglitz eine U-Bahn-Kreuzung entstehen sollte, sicherte sie sich kurzerhand die Eigentumsrechte an dem Gelände, sodass der Senat, als er tatsächlich bauen wollte, nicht an ihr vorbeikam. Ein Einkaufszentrum mit Bürohochhaus schwebte der Diplomingenieurin über dem U-Bahn-Kreuz vor – es sollte das höchste und schönste Gebäude der Stadt werden, ein neues Wahrzeichen im Süden Westberlins.

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Am Steglitzer Kreisel funktioniert noch nicht mal der Name: Kreisel bezeichnet gemeinhin einen starren Körper, der um eine Achse rotiert. Doch hier rotierte allein die Kostenspirale. Foto: dpa Picture Alliance

1969 billigte der Senat das Projekt, das 180 Millionen Mark kosten sollte. Doch der Finanzierungsbedarf fiel dann weit höher aus. 323 Millionen, so wurde 1973 geschätzt, sollte der Riese verschlingen. Woher das Geld kommen sollte, blieb fraglich. Denn bisher wollte sich niemand in dem 119 Meter hohen und auch nicht sehr attraktiven Gebäude einmieten – bis auf die Bezirksverwaltung Steglitz, der es im Rathaus gegenüber langsam zu eng wurde. Im April 1974 mussten die Arbeiten gestoppt werden und die Firma von Kressmann-Zschach Konkurs anmelden. Statt eines großartigen Kreiselneubaus präsentierte die Bauherrin der Stadt, wie sie selbst gestand „die größte Insolvenz (…) die es in Berlin nach dem Krieg gegeben hat“.

Derzeit wird der Kreisel asbest-saniert, im Untergeschoss sind die Geschäfte jedoch geöffnet. Aber zum Einkaufen geht man ohnehin lieber in „Das Schloss”, die Mall liegt direkt schräg gegenüber. Anreise: mit der U-Bahn bis Steglitzer Rathaus.

Der Traum von Olympia

Die Mauer war kaum gefallen, da beschloss der Senat des wiedervereinigten Berlins im Oktober 1990, dass man sich um die Olympischen Spiele im Jahr 2000 bewerben wolle. Einen gewaltigen Investitions- und Wohnungsbauschub erhoffte sich der Regierende Bürgermeister Walter Momper durch Olympia – sowie Einnahmen von knapp vier Milliarden Mark. Nur hatte der Senat die Rechnung ohne die Berliner gemacht. Nach ersten Umfragen waren zwei Drittel der Leute gegen die Spiele in ihrer Stadt, die doch zu der Zeit schon genug andere Probleme zu meistern hatte.

Der Widerstand nahm bald konkrete Formen an. Es gab einen Brandanschlag in der Planungsfirma, die für die Olympia GmbH tätig war, Brandsätze bei Hertie und im Kadewe, Morddrohungen gegen IOC-Mitglieder und Demos sowieso. Zusätzlich unterlief auch den Bewerbern selbst der eine oder andere sehr große Fehler – und so wunderte es nicht, als am Tag der Entscheidung nur magere neun von insgesamt 88 Stimmen für Berlin gezählt wurden. Weniger hatte nur Istanbul. Der Rest ist Geschichte: Die Olympischen Spiele fanden im Jahr 2000 in Sydney statt.

Doch auch wenn Olympia nicht in die Hauptstadt kam, so erinnert doch das eine oder andere Gebäude noch an die Bewerbung: das Velodrom mit der benachbarten Schwimm- und Sprunghalle in der Landsberger Allee sowie die Max-Schmeling-Halle am Mauerpark (erreichbar etwa über die U2 Eberswalder Straße oder Schönhauser Allee).

Ein Vergnügungspark im Dornröschenschlaf

Es war im Jahr 1969, als sich die Hauptstadt der DDR zu ihrem 20. Geburtstag das schönste Geschenk selbst machte: den Vergnügungspark im Plänterwald. Für den VEB Kulturpark hatte man im nicht-sozialistischen Ausland für schwindelerregende 20 Millionen Valuta-Einheiten Karussells gekauft und spätestens nach dem DEFA-Kinderfilm „Spuk unterm Riesenrad“ aus dem Jahr 1979, in dem drei Gespenster aus der Geisterbahn auf einem fliegenden Staubsauger Richtung Harz türmten, kannte in der DDR den „Kulti“ jedes Kind. Als die Mauer fiel, erging es ihm dann wie so vielen anderen Betrieben in der DDR: Er wurde geschlossen, der Rummel verrammelt.

Doch es dauerte nicht lange, da brachte das Ehepaar Pia und Norbert Witte, Schausteller aus Westdeutschland, wieder Schwung in den Spreepark, wie der Vergnügungspark nun hieß. Es wurde abgerissen und aufgebaut, der Aufschwung Ost nahm vorbildhaft Gestalt an. Doch das Geschäft mit den Fahrgeschäften fuhr nicht genug ein. Im November 2001 verließen Herr und Frau Witte von einem Tag auf den nächsten den Plänterwald Richtung Peru – und nahmen nicht nur ihre fünf Kinder und den Kakadu mit, sondern auch sechs der Fahrgeschäfte.

Was sie da ließen und sich irgendwie wegtragen ließ, wurde in den folgenden Jahren von Einbrechern gemopst. Was stehen blieb, können sich die Berliner jeweils am Wochenende auf Führungen anschauen: Dinosaurier liegen geköpft im Gras, Achterbahngleise führen nutzlos ins Nichts, Karussells sind zu Skeletten gemagert. An keinem anderen Ort scheitert Berlin schöner.

Immer am Wochenende kann man den Spreepark auf Führungen erkunden. Doch vermutlich nicht mehr lange, denn die Stadt hat den Park zurückgekauft und plant hier jetzt – einen neuen Vergnügungspark. Es fehlt nur noch ein Investor.

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Viel Zirkus um ein Zelt

Was macht man als junge Frau Anfang der 80er-Jahre in Berlin mit 800.000 geerbten D-Mark? Irene Moessinger tat Folgendes: Sie kaufte sich ein Zirkuszelt, stellte es auf den Potsdamer Platz und sich am ersten Tag gleich selbst in die Manege – als Tierdompteurin von Hausschwein Oskar. Das Tempodrom, wie Irene ihren Zirkus nannte, fand schnell viele Freunde, das Zelt wurde zur Heimat von Anarchisten und Alternativen. 1985 zog man in den Tiergarten neben die Kongresshalle. „In den Zelten“ wurde der neue Standort genannt. Es traten unter anderem auf: Nick Cave, Nina Hagen, Die Ärzte, Bob Dylan, der Dalai Lama.

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Der Entwurf des Neuen Tempodroms wurde inspiriert von der Kathedrale in Brasilia von Oscar Niemeyer, der dabei einst auch schon ein Zelt vor Augen hatte. Foto: dpa Picture Alliance

Doch nach der Wende sollte dort das Bundeskanzleramt hin und der Zirkus natürlich weg. Irene Moessinger, bei der über die Jahre das Bedürfnis nach Sesshaftigkeit und einem richtigen Dach über dem Kopf gewachsen war, wollte sich mit dem Standort auch vom Zelt verabschieden. Am Anhalter Bahnhof sollte richtig gebaut werden, mit Beton statt Planen. „Es ist ein 40-Millionen-Projekt, was ziemlich preiswert ist, mit der Kalkulation sind wir spitze“, erklärte Moessinger im Februar 2001 einem Journalisten. „Wenn das neue Tempodrom erst mal steht, werden alle sagen: Das kann doch gar nicht sein, dass das so wenig gekostet hat.“

Tatsächlich sollte es am Ende ein 40-Millionen-Projekt werden, allerdings in Euro, und nicht in D-Mark, die zum Zeitpunkt des Interviews noch galt. So hoch wie der Finanzierungsbedarf, so gering waren die Einnahmen nach der Eröffnung: Am 30. März 2004 entließ der Senat das Tempodrom in die Insolvenz.

Auch ohne Moessinger & Co. geht der Zirkus weiter. Im Tempodrom finden zahlreiche Konzerte und Veranstaltungen statt. Ein Erlebnis ist aber auch das Liquidrom im Erdgeschoss, wo man herrlich saunieren und floaten kann – und eine Pause machen von all den Pleiten in Berlin.

Sie wollen mehr über Berlins Pleiten erfahren? Die Autorin dieses Artikels hat ein ganzes Buch darüber geschrieben: „Ach du dickes B! Eine Berliner Pleitengeschichte” von Cornelia Tomerius erschien im Berlin Verlag, 208 Seiten, 12,99 Euro.

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