22. Mai 2023, 15:41 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Ein kleiner Ort in Österreich versetzt seit Jahren asiatische Urlauber in Ekstase: Tausende Touristen pilgern jeden Tag durch Hallstatt, und stehen dabei manchmal sogar mitten im Wohnzimmer eines Einheimischen. Um gegen den Andrang von Touristen vorzugehen, hat der Ort jetzt sogar einen provisorischen Holzzaun aufgestellt, um Selfie-Fotografen abzuschrecken. TRAVELBOOK hat nachgeforscht, warum der Ort bei Touristen so beliebt ist.
Barcelona, Lissabon, Dubrovnik und Hallstatt – könnten Sie sagen, was diese Namen verbindet? Sie alle sind absolute Tourismusmagneten. Doch kaum jemand kennt überhaupt Hallstatt, ein kleines Nest im österreichischen Salzkammergut. Der Ort ist im Gegensatz zu den anderen drei mit etwas mehr als 800 Einwohnern auch sehr überschaubar. Dennoch kommen pro Jahr eine Million Touristen, wie unter anderem die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet – Tendenz steigend.
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War Hallstatt die Vorlage für den Film „Frozen“?
Der Grund: Angeblich soll Hallstatt die Vorlage für das fiktive Dorf Arendelle im Disney-Film „Frozen“ sein. Nachdem der zweite Teil der Geschichte um die Eiskönigin Elsa in die Kinos kam (und der erfolgreichste Animationsfilm aller Zeiten wurde), verbreitete sich das Gerücht in den sozialen Netzwerken. Bestätigt ist das aber nicht. Im Gegenteil, wie Hallstatts Bürgermeister Andreas Scheutz betont.
Er erklärte schon 2020 im Interview mit TRAVELBOOK den Ursprung der Geschichte: „Eine Journalistin von der ‚Sunday Times‘ war vor einigen Tagen in Hallstatt, weil sie in chinesischen Medien gelesen hatte, dass Hallstatt die Vorlage für Frozen 2 sei. Das stimmt nicht, denn die Vorlage für Frozen ist meiner Recherche nach in Norwegen. Dennoch hat die Journalistin einen Artikel über dieses Gerücht geschrieben und das wurde dann von mehreren Medien aufgegriffen.“
Doch, wenn es nicht der Disney-Hype ist, was dann? Was macht die Faszination dieses kleinen Ortes aus? Alles fing 1997 an, als die Gegend von der Unesco in die Liste der Welterbestätten aufgenommen wurde, und zwar gleich in zwei Bereichen: Kultur und Natur. Besonders chinesische Reisende, die auf ihren meist kurzen Trips durch Europa nach einem Stück „heiler Welt“ suchen, entdeckten in den folgenden Jahren Hallstatt für sich – der Ort wurde schließlich derart beliebt, dass man ihn 2012 im chinesischen Guangdong kurzerhand originalgetreu nachbaute.
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Touristen gehen einfach in Häuser
Heute kommen die vielen Besucher aus Fernost – vor allem aus China, Südkorea und Taiwan – auch deshalb, um am hiesigen See Hochzeitsbilder aufzunehmen, die dann in der Heimat verteilt werden. Der Ort ist ein absolutes Phänomen in den sozialen Medien geworden, allein bei Instagram finden sich mehr als 832.000 Fotos mit dem Hashtag #hallstatt. Ende 2018 waren es noch 200.000 weniger! 2019 kamen sogar pro Tag bis zu 10.000 Menschen.
Zwar profitieren viele Einwohner von dem Tourismus, doch mittlerweile sind die Massen ein Problem und beeinträchtigen den Alltag der Hallstätter. Das Hauptproblem: Ein Großteil der Besucher bleibt nur wenige Stunden, eilt von einem Fotostopp zum anderen und konsumiert wenig bis nichts. Keine Seltenheit ist es auch, dass chinesische Touristen einfach ungefragt in Häuser reinspazieren oder ihre Drohnen überall steigen lassen. Viele Besucher sind vollkommen überrascht zu erfahren, dass Hallstatt kein Museumsdorf ist, sondern ein Ort, an dem Menschen wirklich leben. Um den Massen entgegenzuwirken, greift die Stadt zu verschiedenen Methoden – mitunter, wie kürzlich erst, recht skurrilen.
Ein Zaun soll Selfie-Fotografen abschrecken
So erregte kürzlich ein Zaun die Gemüter in Hallstatt. Er wurde an einem bestimmten Punkt am Seeufer aufgestellt, von wo man einen atemberaubenden Ausblick auf die Alpen hat. Doch an dieser Stelle ist die Straße sehr schmal und die vielen Touristen, die täglich hier zum Fotografieren herkommen, blockieren den Weg und stören die Anwohner. Ein provisorischer Holzzaun sollte Abhilfe schaffen und versperrte für ein Wochenende die Sicht auf die Alpenlandschaft.
Allerdings wurde der Zaun mittlerweile schon wieder abgebaut, da ausgerechnet die Anwohner nicht begeistert waren. „Ein Sturm der Entrüstung ging durch den Ort“, zitiert der Stern den Bürgermeister von Hallstatt zur Reaktion der Anwohner. Somit erwies sich das Versperren der Sicht leider nicht als Lösung, da der Zaun neben der Kritik der Anwohner auch genau das Gegenteil des gewünschten Effekts bewirkte: Die Zahl an Touristen nahm nicht ab, sondern stieg an, nachdem Medien aus der ganzen Welt über die skurrile Aktion berichtet hatten.
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„Wir haben uns zu aggressiven Menschenfeinden entwickelt“
Als erfolgreicher hingegen erwies es sich, dass seit Mai 2020 Busreiseveranstalter nur noch mit vorheriger Anmeldung nach Hallstatt fahren dürfen. Denn in der Vergangenheit verstopften die Reisebusse jeden Tag rund um die Uhr die Straße, die zum autofreien Ortskern führt. Es gibt Schilder, die in zahlreichen asiatischen Sprachen beschriftet sind und Touristen darauf hinweisen, keinen Lärm zu machen und Private Grundstücke zu betreten. Eine Anwohnerin sagte der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“: „Wir haben uns von gastfreundlichen Menschen zu aggressiven Menschenfeinden entwickelt.“
Hoffentlich findet der Ort zukünftig eine passende Regelung für die große Anzahl an Touristen, damit bald wieder genau jene Magie nach Hallstatt zurückkehrt, die ihn einst berühmt gemacht hat.