2. Juni 2024, 7:21 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Die Millenium Bridge in London ist vor allem bekannt, weil sie ein Schauplatz in der „Harry Potter“-Filmreihe war. Aber immer mehr Menschen wollen sie auch sehen, weil sich hier zahllose faszinierende Kunstwerke finden lassen – aber nur, wenn man genau hinguckt. Der Street Art-Macher Ben Wilson verwandelt nämlich achtlos weggeworfene Kaugummis in kleine Gemälde. Doch die Zukunft der wohl skurrilsten „Kunstgalerie“ weltweit ist ungewiss.
Kennen Sie das alte Sprichwort „Kunst liegt im Auge des Betrachters“? Nun, wer die Millenium Bridge in Englands Hauptstadt London überquert, muss schon sehr gute Augen haben, um die dort befindlichen Kunstwerke zu entdecken. Dabei liegen sie den Passanten, schon wieder sprichwörtlich, quasi zu Füßen. Und das ist dem Street Art-Macher Ben Wilson zu verdanken. Denn er verwandelt auf der Brücke weggeworfene Kaugumi-Flatschen in echte Unikate.
Laut seiner eigenen Webseite Chewing Gum Man wuchs Wilson im Nord-Londoner Stadtteil Barnet als Kind zweier Künstler auf. Schon in seinen Jugendjahren baute er selbst große Figuren aus Holz, die er dann in seiner Nachbarschaft auf- bzw. ausstellte. Dazu bediente er sich nicht selten an Material von im Wald umgestürzten Bäumen. 2003 entschied er sich dann jedoch für einen, wenn man so will, Perspektiven-Wechsel. Statt großer Werke verlegte er sich nun auf Kunst auf kleinstem Raum. Er begann nämlich, Bilder auf Kaugummi zu malen, das Passanten auf den Asphalt gespuckt hatten.
Kunst aus Müll
Schon zuvor hatte er mit Müll wie Zigarettenkippen, Blechdosen, Chipstüten und Saftkartons experimentiert. Dahinter steckt, wie bei den Kaugummis auch, eine klare Botschaft: Kritik an der Konsumgesellschaft und ihrem Einfluss auf Mensch und Umwelt. Seine ersten Werke entstanden in der Barnet High Street und sind heute in ganz London zu finden. Unter anderem eben auch auf der Millenium Bridge, die bereits wegen der legendären Harry Potter-Reihe eine Touristenattraktion war.
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Stand Oktober 2023 fanden sich allein auf der berühmten Londoner Brücke fast 600 von Wilsons Kaugummi-Werken. Dem Guardian zufolge verteilen sich auf dem gesamten Stadtraum mehrere tausend seiner Bilder, weswegen die Zeitung ihn in einer Hommage auch liebevoll als „Aspahlt-Picasso“ bezeichnete. Heute, nach mehr als 20 Jahren, führt er vor allem Auftragsarbeiten aus. In einem Buch hält er die Bilderwünsche von Passanten fest, die ihm bei seiner fast täglichen Arbeit begegnen. Und setzt diese dann detailgetreu in die Tat um. Der Zeitung sagte er zu seiner Kunst: „Es liegt einige Symbolik darin, etwas achtlos Ausgespucktes in etwas Bedeutungsvolles zu verwandeln.“
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Nicht nur Fans
Seine Kaugummi-Kunst möchte er als eine Art moderne Stolpersteine anerkannt sehen, mit denen er nicht selten auch heute noch Sozialkritik übt. Zudem hat er schon Werke gefertigt, die an Verstorbene erinnern, oder aber sogar Heirats-Anträge, um nur einige zu nennen. Im Übrigen wehrt er sich vehement gegen Stimmen, die seinen Stil als Vandalismus an öffentlichem Raum brandmarken wollen. Denn der Chewing Gum Man hat nicht nur Fans, wurde 2010 bei der Arbeit an einem Werk sogar einmal verhaftet. Den anschließenden Gerichtsprozess konnte Wilson aber auch dank großer öffentlicher Unterstützung gewinnen.
Für seine Kunst ist er mittlerweile auch über London hinaus bekannt. So wurde er bereits für Auftragsarbeiten in Zürich, Amsterdam und Brüssel angeheuert. Außerdem gibt er Workshops an Schulen. Und auch wenn er andere seiner Werke an Galerien verkauft hat, die Kaugummi-Bilder macht er bis heute umsonst und nur aus Leidenschaft. Daher gab es 2023 auch einen großen öffentlichen Aufschrei, als seine Chewing Gum Art auf der Millenium Bridge plötzlich in Gefahr war. Denn damals musste die Brücke für drei Wochen gesperrt werden, um dringend notwendige Renovierungsarbeiten an ihr durchzuführen. In diesem Rahmen war auch die Rede davon, dass ein Großteil von Wilsons Werken bei einer ebenfalls geplanten Grundreinigung verschwinden sollte.
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Sogar auf der Plattform Change.org gab es daraufhin eine Petition, die vielleicht skurrilste Kunstgalerie der Welt zu retten. Die Stadt bot an, zumindest einige von Wilson Kaugummi-Bildern auf der Millenium Bridge zu bewahren. Immerhin hätte die Aktion die Arbeit von 10 Jahren zerstört. Der Künstler selbst bat darum, zumindest 100 von etwa 600 seiner Werke auf der Brücke zu erhalten. Leider finden sich keine aktuellen Berichte darüber, ob dies gelungen ist. Wer jedoch einmal Ben Wilson Arbeiten ansehen möchte, ohne dafür nach London zu reisen, kann auch seinen Instagram-Account besuchen.