17. Juni 2020, 6:23 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
„Melbourne ist wie Berlin“ – diesen Vergleich hören deutsche Melbourne-Reisende häufig. Doch was ist wirklich dran am Vergleich? TRAVELBOOK-Autorin Anna Wengel ist von Berlin nach Melbourne geflogen und dem Vergleich auf den Grund gegangen.
„Du wirst Melbourne lieben – die Stadt ist wie Berlin, nur besser, weil warm und mit Meer“ ist in etwa das, was ich über Jahre immer wieder von Freunden hörte, die sicher waren, dass Melbourne meine Stadt sei. Andere erklärten, dass Berlin und Melbourne quasi identisch seien. Und die dritte Gruppe der Vergleichsfreunde schickte mich direkt in einen Stadtteil, der „ganz genau so“ sei wie Berlin. Entsprechend gespannt war ich, als ich nach Jahren des Melbourne-Berlin-Vergleiche-Hörens endlich selbst in die australische Stadt flog und mir mein eigenes Bild dieser prognostizierten Gleichartigkeit machen konnte. Spoiler: Ich verstehe jetzt, wieso so viele Menschen die beiden Städte vergleichen.
Punkt 1: Stadtbild
Melbourne sieht aus wie Berlin – dieser Vergleich hält in und um die Brunswick Street im Stadtteil Fitzroy herum wirklich Stand. Kultige Sessel in hipsterigen Cafés und Bars sowie Second-Hand-Shops mit Vintageklamotten, die schon unsere Mamas, Papas, Omas und Opas getragen haben, erinnern mich tatsächlich direkt an Kreuzberg & Co.
Durch das Berlin’eske Stadtbild spaziert das entsprechende Klientel: Hipstervolk mit Bauchnabel-verdeckenden Jeans, die zurechtgeschobene Mutti-Pos präsentieren, genauso wie mit Jane-Fonda-imitierenden Aerobic-Outfits und gelbgefärbten Haaren, die nach Nick Carter schreien. Ähnlich sieht es im gleichnamigen Stadtviertel Brunswick aus. Passend zum Hipster-Chic gibt es übrigens überall in Melbourne unschlagbar guten Kaffee – von dem Berlin ganz klar noch lernen kann.
Neben Brunswick und Brunswick Street gibt es einige andere Orte, die genau so auch in Berlin sein könnten. Die kultige Graffiti-Straße Hosier Lane zum Beispiel – einer der Spukorte Melbournes übrigens – oder auch die Edinburgh Gardens. In dem Park finden sich an Sonntagen jede Menge Acro-Yoga-Fans, Feuer-Tänzer, Familien & Co. – und erinnern so an allerlei Orte in Berlin im Sommer.
Was nicht ganz hinkommt, ist die Architektur. Wie Berlin ist auch Melbourne durchmixt von alten und neuen Gebäuden. Wo Berlins Skyline gerade mal ein paar wenige hohe Gebäude zu bieten hat, wird Melbournes Innenstadt jedoch von Skyscrapern dominiert. Neben den Gebäuderiesen ist Melbournes Architektur an vielen Stellen von viktorianischen und edwardianischen Häusern des späten 19. und anfangenden 20. Jahrhunderts geprägt und erinnert damit eher an das Nachbarland Neuseeland als an die deutsche Hauptstadt. Die Vielfalt an Architekturstilen ist in Berlin klar facettenreicher, gibt es schlicht mehr Gebäude aus verschiedenen Jahrhunderten.
Zum Stadtbild in der Innenstadt gehören neben den kontrastreichen Bauwerken auch viele Obdachlose und Drogenabhängige – eine weitere Übereinstimmung mit Berlin, wobei sie in Melbourne mehr auffallen. Vielleicht, weil die Stadt im Vergleich auffällig sauber ist – was von Berlin vermutlich niemand behauptet.
Punkt 2: Lebensgefühl
Aussehen, sein und tun, wie und was man will – Berlin ist klares Flaggschiff individueller Freiheit und kreativer Neuentwicklungen. Melbourne hat für mich eine ähnlich freie und kreative Energie wie Berlin. Gefühlt macht hier jeder, was er will und werden täglich neue und oft geistreiche Projekte aus dem Boden gestampft. Wobei hier nicht wie in Berlin die meisten was mit Medien machen oder DJ sind. Größer scheint in Melbourne die Szene der Sportler, Liebe-liebenden Hippies und Freidenker zu sein. In einem ist Melbourne klarer Vorreiter: Mindfulness, Yoga, Meditation & Co. stecken in Berlin trotz allem Trendsein noch in den Anfängen, in Melbourne sind sie schon Teil des Alltags.
Liegt das am Fehlen der so vielbesprochenen Berliner Schnauze? Ganz klar sind Menschen in Melbourne (um Längen) freundlicher und lächeln Sie eher an, als Sie dafür komisch zu finden. In einem sind sich (echte) Berliner und Melburnians dann aber wieder einig: Ihre Stadt ist die beste der Welt und woanders leben kommt eigentlich nicht in Frage.
Punkt 3: Lebensart
Ähnlich wie Berlin mit seinen verschiedenen Stadtteilen ist Melbourne außerhalb des Stadtzentrums in verschiedene, sehr eigenständige Suburbs unterteilt. Das Leben ist also nicht auf das Zentrum konzentriert, jedes Suburb könnte wie Berlins Stadtteile mehr oder weniger für sich allein funktionieren und ist wie eine kleine Stadt oder ein Dorf mit seinem ganz eigenen Flair und Charakter.
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Siehe etwa das hipsterige Brunswick im Vergleich zum Lebensort vieler Südostasiaten, Doncaster, wo weniger als die Hälfte der Bewohner in Australien geboren wurde. Der Kontrast könnte etwa mit dem braven und gut situierten Prenzlauer Berg im Vergleich zum multikulturellen Neukölln verglichen werden. Aber: Melbourne hat die klassische Innenstadt, wobei der typische Einkaufsstraßen-Stadtkern in Berlin nicht so klar definierbar ist.
Punkt 4: Natur
Melbourne hat Regenwälder und jede Menge Parks, Berlin hat den Grunewald und auch jede Menge Parks – wenn auch gestutzter und ordentlicher als die Buschlandschaft in und um Melbourne und mit weniger aufregenden Tieren. In Australien springen viele Kängurus wild und frei über den Weg, in Berlin ist das aufregendste Tier wohl ein Fuchs. Beide Städte haben außerdem den typischen großen Fluss: hier der Yarra River, da die Spree. Wasser hat Berlin auch in zahlreichen Seen, Melbourne hat hier dann aber doch ganz klar das eine, das wohl vielen Berlinern schmerzlich fehlt: Meer.
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Punkt 5: Partyszene
Genauso oft, wie ich den Vergleich der beiden Großstädte höre, werde ich in Melbourne auf Berlins Partyszene angesprochen. Vor allem KitKatClub und Berghain haben es zu Popularität auf der anderen Seite der Erde gebracht. Hat Melbourne vergleichbar ikonische Clubs? Nicht mehr. Melbourne hatte in den 90ern eine ähnliche Partyszene wie Berlin, mit jeder Menge Fabrikgebäude, in denen Raves & Co. stattfanden, wird mir von Partygängern der Stadt erklärt.
Heute seien es jede Menge Bars und ein paar Clubs, aber nichts wirklich Herausstechendes oder gar Ikonisches. Klingt, als habe Melbourne bereits das Schicksal ereilt, das Berlin nach und nach zu blühen scheint: Clubsterben, um mehr hochpreisige Eigenheime und stylische Arbeitsorte zu schaffen.
Punkt 6: Großereignisse
Was Berlin heute noch an Partyszene hat, hat Melbourne mit einem Großereignis, das international Aufmerksamkeit bekommt. Einmal jährlich finden in der Stadt die Australian Open statt, das erste der vier großen Tennisturniere im Jahr. Da gucken auch Menschen aus Europa zu. Berlin hat auch Großveranstaltungen, ich bezweifle aber, dass Australier sich allzu sehr für den jährlichen Berlin-Marathon, das Fußball-Pokal-Finale, den Karneval der Kulturen oder die Berlinale interessieren.
Punkt 7: Umgebung
Darüber lässt sich vermutlich streiten – meiner Ansicht nach hinkt der Vergleich der Städte in puncto Umgebung am meisten. Natürlich hat Berlin Naturschmuckstücke in der Nähe, etwa den Spreewald oder die Mecklenburger Seenplatte. Die sind wunderschön, aber nicht halb so aufregend wie Melbournes direktes Umfeld: die traumhaft-dramatischen Klippen der Great Ocean Road oder paradiesische Nationalparks wie etwa Wilsons Prom.
Letzterer ist ein fast unberührt erscheinendes Stück Erde, das vom üppigen Regenwald bis zum einsamen Traumstrand alles mitbringt. Und der ist längst nicht der einzige, sondern nur einer von vielen wunderschönen und meist menschenleeren Stränden, mit denen vielleicht Neuseeland oder die portugiesische Algarve mithalten können, Stadtbäder wie der Wannsee aber einfach nicht.
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Beim weiteren Umfeld hat Berlin jedoch klar Vorteile – und ist mit Melbourne nicht zu vergleichen: Mit seiner Lage in Europa ist Berlin ganz nah dran an jeder Menge anderer beeindruckender und unbedingt besuchenswerter Länder. Das größte Manko, das zahlreiche reiseliebende Australier an ihrem Land und eben auch an Städten wie Melbourne sehen, ist die Insel-Isolation. Wer woanders hin will, muss erst einmal eine Weile fliegen. Europäer fliegen innerhalb weniger Stunden in viele andere Länder und können stattdessen sogar gut ins Auto oder in den Zug steigen.
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Melbourne wie Berlin – was ist dran am Vergleich?
Wenn man in Brunswick und Fitzroy bleibt, passt der Vergleich sehr gut. Diese Orte haben mich auch wahnsinnig an Berlin erinnert und sind vermutlich der Grund für diesen immer wieder auftauchenden Vergleich. Ansonsten haben beide Städte ihren ganz eigenen, unvergleichlichen Charme – und Melbourne zudem noch viel mehr Platz. Denn: Berlin ist 891,8 Quadratkilometer groß und hat knapp 3,8 Millionen Einwohner. In Melbourne wohnen rund 5,2 Millionen Menschen auf 9.992,5 Quadratkilometern.