15. April 2024, 13:13 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Es ist ein Projekt, das größenwahnsinnig erscheint: eine gigantische „Stadt“, die sich über drei Länder erstreckt, mit einem 170 Kilometer langen Wolkenkratzer und von Menschenhand geschaffenen Inseln. Die Megacity Neom, so der Name des Vorhabens der saudi-arabischen Herrscherfamilie, soll die Zukunft der Golfmonarchie absichern. Viele haben daran gezweifelt, ob das gigantische Projekt überhaupt jemals realisiert wird – nun berichtet ein Insider von vermeintlich deutlich Verzögerungen beim Bau des Wolkenkratzers „The Line“.
Auf einer Fläche von 26.500 Quadratkilometern plant Saudi-Arabien in den kommenden Jahren eine „Zukunfts-Stadt“, die 32-mal so groß wie New York werden soll und damit größer als Mecklenburg-Vorpommern oder sogar Slowenien wäre. Neom heißt die Planregion, die sich im Westen von Saudi-Arabien bis nach Jordanien und Ägypten erstrecken soll. Das Projekt lässt sich der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman etwa 500 Milliarden Dollar kosten.
Derzeit gibt es auf der Fläche des künftigen Neom verschiedene Großbaustellen, eine prestigeträchtiger als die andere. Auch für den spektakulärsten Teil, das gigantische Gebäude namens „The Line“, haben die Bauarbeiten längst begonnen. Erst im Februar wurden Bilder von der Großbaustelle veröffentlicht, auch deutsche Medien wie der „Stern“ berichteten. Zu sehen ist ein vollkommen ebener Graben, innerhalb dessen die Fundamente für die 170 Kilometer lange Stadt „The Line“ errichtet werden sollen.
Doch während Reisende auf Neoms künstlicher Luxus-Insel „Sindalah“ im Roten Meer bereits ab 2024 Urlaub machen können, steht „The Line“ scheinbar vor massiven Problemen, wie ein Insider gegenüber dem Wirtschaftsmagazin „Bloomberg“ berichtet.
„The Line“ wird zunächst deutlich kürzer als geplant
170 Kilometer lang, 200 Meter breit und fast 500 Meter hoch: Das gigantische Gebäude „The Line“ soll sich auto- und emissionsfrei quer durch Wüste und Gebirge ziehen. Durch die verspiegelte Glasfassade soll der Mega-Wolkenkratzer dabei mit der Umgebung verschmelzen und wird daher auch häufig „Mirror Line“ genannt. Eine Reise von einem Ende zum anderen soll gerade einmal 20 Minuten dauern; bis zu neun Millionen Menschen soll die Megacity nach Fertigstellung beherbergen können. Allein bis 2030 sollten hier laut der ursprünglichen Pläne bereits 1,5 Millionen Menschen leben.
Wie ein Insider gegenüber dem US-Wirtschaftsmagazin „Bloomberg“ berichtet, kann dieser Meilenstein scheinbar nicht erreicht werden: Laut der anonymen Quelle wird „The Line“ bis 2030 wohl nur 300.000 Menschen beherbergen können; zudem sollen bis dahin lediglich 2,4 der insgesamt geplanten 170 Kilometer Gesamtlänge verwirklicht worden sein. Den Berichten zufolge hat bereits ein erstes beteiligtes Bauunternehmen mit der Entlassung von Mitarbeitern begonnen.
Als Gründe gibt die anonyme Quelle gegenüber „Bloomberg“ an, dass das staatliche Budget für Neom für das Jahr 2024 noch nicht freigegeben worden sei, da die Kosten des Projekts große Besorgnis in den höchsten Instanzen der saudischen Regierung hervorriefen. Wie „Bloomberg“ weiter berichtet, gab der saudische Finanzminister bereits im September ein Statement ab, in dem er die Verzögerung einiger Projekte zugunsten der Wirtschaft des Landes ankündigte.
Luxus-Resorts auf „Sindalah“ eröffnen wie geplant
Anders sieht es auf den künstlichen Inseln „Sindalah“ vor der Küste Neoms aus. Mit dem Projekt wird um die Gunst derer gebuhlt, die sich wahren Luxus leisten können. Dazu gehören: Ein Jachthafen mit 86 Liegeplätzen für Luxusjachten, eine Anlegestelle für Luxuskreuzfahrtschiffe, ein Golfplatz, mehr als 400 „Ultra-Premium-Hotelzimmer“ und fast 40 Restaurants. Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman bezeichnet „Sindalah“ als „Zukunft des Luxusreisens“. Geplant war, dass die Insel ab 2024 die ersten Gäste empfangen soll. Und tatsächlich: Im Januar eröffnete mit dem St. Regis Red Sea Resort das erste Hotel.
Mit 840.000 Quadratmeter ist die künstlich aufgeschüttete Insel so groß wie 117 Fußballfelder. Sie ist die erste von mehreren von Menschenhand geschaffenen Inseln im Rahmen des Neom-Megaprojekts im Nordosten Saudi-Arabiens. Dabei ist für jede Insel eine eigene Vision und ein eigenes Design angedacht. Angeblich werden die Inseln so gebaut, dass der vielfältigen Unterwasserwelt im Roten Meer nicht geschadet wird.
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Was ist das Ziel von Neom?
Mit dem Megaprojekt verfolgt Saudi-Arabien mehrere Ziele. Zum einen sollen Solartechnologie und Windkraftanlagen Neom mit Energie versorgen. So will sich Saudi-Arabien unabhängiger von Erdöleinnahmen machen und den Grundstein für die Entwicklung neuer Technologien legen. Des Weiteren soll Neom ab 2025 von einer unabhängigen Wirtschaftszone mit eigenen Gesetzen und Steuern profitieren.
Die unterschiedlichen Gesetze würden sich etwa darin äußern, dass in Neom, anders als im Rest Saudi-Arabiens, Frauen sich nicht verschleiern müssen. Außerdem soll der Verkauf und Konsum von Alkohol erlaubt sein. Beides würde dann auch auf das zweite Ziel von Neom einzahlen: Es sollen nämlich mehr Touristen in die Region kommen. So plant man, an der langen Sandstrandküste 50 Luxus-Resorts zu eröffnen.
Ein großer Teil der Vision von Neom ist es, eine möglichst umweltfreundliche Mega-Stadt zu errichten. So heißt es etwa auf der Website des Unternehmens, man wolle wieder eine „Verbindung zur Natur schaffen“. Außerdem plane man mit „erneuerbaren Energien im Überfluss“.
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Prestige-Projekt ist umstritten
Doch trotz dieser lobenswerten Ziele gibt es schon jetzt viel Kritik und Kontroversen um Neom. Zum einen gab es Kritik, als 2018 bekannt wurde, dass auch die Inseln Tiran und Sanafir, die einige Kilometer südlich vom Eingang zum Golf von Akaba liegen, zu dem Projekt gehören sollen. Die Inseln gehören eigentlich zu Ägypten. Das Land unterzeichnete allerdings 2016, dass die Inseln unter Kontrolle der Saudis gestellt werden. In der Folge sei es laut der „Wirtschaftswoche“ in der ägyptischen Bevölkerung zu Protesten gekommen.
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Doch das ist nicht der einzige Kritikpunkt. So werden Anwohner in der Region gewaltsam umgesiedelt. 20.000 Mitglieder des indigenen Stammes der Howeitat werden für den Bau aus ihrer Heimat vertrieben. „Neom wird auf unserem Blut, auf unseren Knochen gebaut“, sagte etwa Alia Hayel Aboutiyah al-Huwaiti, Aktivistin und Angehörige des Stammes, dem britischen „Guardian“. Aktivisten warnen bereits seit Jahren eindringlich davor, dass mit Neom auch ein autoritäres Regime unterstützt wird. Saudi-Arabien schränkt in vielen Bereichen die Rechte seiner Bürger ein. Auch gibt es kaum Pressefreiheit, immer wieder werden Aktivisten verhaftet und regimekritische Journalisten verfolgt. Bethany Alhaidari, Mitgründerin der Menschenrechtsorganisation SAJP, riet auf Twitter Investoren dazu, sich von dem Projekt fernzuhalten. „Keine Wirtschaft unter einem archaischen und autoritären Regime ist stabil, ethisch vertretbar oder eine Investition wert“, so Alhaidari.