25. August 2020, 13:01 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Mehr als 30 Jahre lang fuhr ein U-Bahn-Zug durch Stockholm, der anders war als alle anderen Züge der Stadt. Nicht nur sah er anders aus, es soll auch merkwürdiges in seinen Waggons vorgegangen sein. Und noch heute spricht man in Schweden von dem unheimlichen Schienenfahrzeug, das als „Geisterzug von Stockholm“ bekannt wurde.
Außen grün lackiert, innen in Beige- und Grüntönen gehalten: Die U-Bahn-Züge der ersten Generation im Stockholm der 1950er- und 60er-Jahre sahen allesamt gleich aus. Doch ab 1965 sah man plötzlich an wenigen Tagen im Jahr einen einzelnen, silberfarbenen Zug durch die schwedische Hauptstadt rollen. Die Stockholmer Metro hatte den Zug, der aus insgesamt acht aluminiumfarbenen C5-Wagen bestand, zunächst als reine Testeinheit bauen lassen. Gestrichen wurden die Waggons deshalb nie, was dem Zug schnell den Namen „Silverpilen“ (dt.: Silberpfeil) einbrachte. Abgesehen von der Farbe, den außen liegenden Schiebetüren und den fehlenden Reklameschildern im Inneren unterschied sich der Silverpilen ansonsten kaum von den anderen Zügen in der Flotte der Stockholmer U-Bahn.
Viele trauten sich nicht, in den Zug einzusteigen
Später setzte man den Silverpilen ab und an als Backup-Zug im normalen Betrieb ein, besonders zu Stoßzeiten oder wenn andere Züge ausfielen. Doch längst nicht jeder Einwohner der Stadt wusste um die Existenz des Silverpilen. Tauchte der andersartige Zug plötzlich und ohne Vorankündigung in den U-Bahn-Stationen der Stadt auf, muss das auf die dort Wartenden besonders unheimlich gewirkt haben, vor allem nachts.
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Viele sollen sich nicht getraut haben, in einen der acht Waggons einzusteigen und stattdessen auf den nächsten Zug in vertrautem Grün gewartet haben. Wer doch einstieg, berichtete später vom heruntergekommenen Inneren und laut heulenden Motorgeräuschen. Doch das waren noch die weitaus harmloseren der Geschichten, die alsbald über den „Geisterzug“ von Stockholm kursierten.
Passagiere sollen spurlos verschwunden sein
Immer wieder soll der Silverpilen etwa auf längst stillgelegten Gleisen gesichtet worden sein, wo er sogar Fahrgäste aufgenommen hätte. „Die Passagiere im Zug scheinen lebende Tote zu sein, mit ausdruckslosen, leeren Gesichtern“, zitiert das Nachrichtenportal „news.com.au“ den schwedischen Ethnologen Bengt af Klintberg, der sich in seinem bekannten Buch „Råttan I pizzan“ („Die Ratte in der Pizza“, 1986) mit dem Testzug befasst hat. „Häufig erwähnt wurde, dass eine Person, die nur bis zur nächsten Station fahren wollte, eine ganze Woche lang im Silverpilen sitzenblieb“, schreibt der Erforscher moderner Sagen weiter.
Einigen erging es scheinbar noch schlimmer: Der Geisterzug soll sie zur verlassenen U-Bahn-Station Kymlinge gebracht haben, wo sie entweder ganz verschwanden oder Wochen, manchmal gar erst Monate später wieder auftauchten. Kymlinge war in den frühen 1970er-Jahren als Station auf einer neu gebauten U-Bahn-Linie nach Akalla geplant, wurde jedoch nie fertiggestellt. 1975 eröffnete die Linie ohne Stopp in Kymlinge. Seitdem wurde angeblich nur der Silverpilen immer wieder auf dem verlassenen Areal gesichtet. „Bara de doda stiger av I Kymlinge“ (dt.: „Nur die Toten steigen in Kymlinge aus“, sagte man damals.
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Der Verbleib einiger Waggons ist unklar
Über all die Vorfälle, die angeblich mit dem Silverpilen in Zusammenhang standen, gibt es – wie so oft bei Spukgeschichten – weder gesicherte Erkenntnisse noch offizielle Dokumente. Noch bis 1996 fuhr der silberne Zug unregelmäßig durch Stockholm, bevor er endgültig aus dem Betrieb genommen wurde.
Einer der Waggons steht „news.com.au“ zufolge in der Stockholmer Polizeiakademie, wo er zu Trainingszwecken genutzt wird. Ein anderer Wagen soll sich am Hauptsitz des Zugherstellers in Haggelunds befinden. Wo die restlichen Waggons geblieben sind, ist unklar. Ein Detail, das nicht unbedingt dazu beiträgt, mit den unheimlichen Legenden um den Silverpilen aufzuräumen.