6. September 2024, 13:06 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Die Hauptstadt von Südkorea ist bekanntlich Seoul – doch soll es bald nicht mehr sein. Das Land arbeitet bereits seit Jahren an der Verlegung des Regierungssitzes in das eigens hierfür errichtete Sejong, das auch der neue Kultur-Hotspot des Landes werden soll. Bereits jetzt wird die Smart City als Verwaltungshauptstadt Südkoreas gehandelt. Zu dieser Maßnahme haben verschiedene Probleme in Seoul geführt, auf die TRAVELBOOK im Folgenden genauer eingeht. Doch in der Praxis kann die neue Planhauptstadt anscheinend nicht überzeugen.
Seouls Probleme sind nicht neu, und so auch nicht der Plan, zur Entlastung der alten eine neue Hauptstadt zu errichten. Laut der Zeitung „Korea Times“ soll bereits 2003 der damalige Präsident Roh Moo-hyun angekündigt haben, die Hauptstadt in die Provinz Chungcheongnam-do – dort befindet sich heute Sejong – zu verlegen. Damals war er gescheitert. 2012 wurde Sejong dann offiziell gegründet. Gänzlich sind die Baumaßnahmen noch nicht abgeschlossen, handelt es sich immerhin um ein gigantisches Projekt. Bis 2030 soll Sejong Sitz der Regierung und das Heim rund einer halben Million Menschen werden. Laut dem United Cities and Local Governments Asia-Pacific (UCLG ASPAC), einem Portal für Kommunalverwaltungsthemen im asiatisch-pazifischen Raum, ist Sejong bereits Südkoreas Verwaltungshauptstadt.
Übersicht
Warum Seoul als Südkoreas Hauptstadt ersetzt werden soll
Seoul leidet an massiver Überbevölkerung, mit der Folge von Staus, Wohnraumknappheit und hohen Lebenshaltungskosten. Das übermäßige Verkehrsaufkommen trägt zur berüchtigten Umweltverschmutzung in Seoul bei. Zu den mehr als 9 Millionen Bewohnern des Stadtgebiets kommen rund 25 Millionen Menschen im Ballungsraum der dicht besiedelten Metropole hinzu.
Überbevölkerung, Entwicklungskluft und Gefahr durch Nordkorea
Alles drängt nach Seoul. In der Stadt konzentriert sich die Wirtschaft Südkoreas – Technikkonzerne wie unter anderem Samsung und LG sitzen dort. Doch von der großen Innovation ist in anderen Teilen des Landes nicht viel zu spüren. Die Regierung plant mit einer neuen bzw. zweiten Hauptstadt sozusagen eine Dezentralisierung der Entwicklung, um sie gerechter zwischen den Städten aufzuteilen.
Es spielen auch sicherheitspolitische Gründe und Seouls Nähe zu Nordkorea eine Rolle. Der Konflikt zwischen Nord- und Südkorea hat sich zuletzt zugespitzt, Experten (z. B. der Stiftung Wissenschaft und Politik [SWP]) halten eine Eskalation für nicht unwahrscheinlich. Die Verlegung der derzeit im Norden befindlichen südkoreanischen Hauptstadt in den Süden würde Nordkorea einen Einmarschversuch etwas erschweren.
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Sejong kommt bei den Südkoreanern nicht gut an
Sejong ist eine Smart City, sie soll somit fortschrittlicher, effizienter und nachhaltiger funktionierend als gewöhnliche Städte. Wie man beim Städtebau- und Wirtschaftsportal „Bauwelt“ nachlesen kann, entwickelte den finalen Entwurf für Sejong ein renommierter koreanischer Stadtplaner auf Basis der Ideen jeweils eines spanischen und eines schweizerischen Architekten. Es entstand eine „dezentrierte, ringförmige Stadtstruktur“, deren Standort bewusst so gewählt worden sei, dass unter anderem Einwohner Seouls nicht zwischen den beiden wichtigen Städten pendeln könnten. Schließlich sollte der Zuzug nach Sejong gefördert werden. Auch sollte das Umfeld die Voraussetzungen dafür mitbringen, dass die neue Hauptstadt möglich bald autark existieren kann. Durch die Integration zahlreicher Grün- und Wasserflächen sollen sich in der Stadtlandschaft „Natur und vom Menschen geschaffene Strukturen vermischen“. Die Menschen jedoch kommen eher zögerlich.
Die Redakteure des Wissensportals „Clever Camel“ haben sich den aktuellen Zustand Sejongs genauer angesehen. Der Bau sei demnach ziemlich weit vorangeschritten und auch seien bereits rund 350.000 Menschen in die Planstadt gezogen. Der Großteil davon stammt jedoch aus der umliegenden Region. Dabei sollte die neue Hauptstadt ja den Norden Südkoreas entlasten. „Die reiche Elite will Seoul nicht verlassen“, heißt es in dem Beitrag. Dort befänden sich die besten Schulen des Landes und Eltern befürchteten demnach, dass ein Umzug nach Sejong ihre Kinder später beim Zugang zu angesehenen Universitäten sowie auch bei der Berufswahl benachteiligen könnte. Es seien bereits zahlreiche öffentliche Einrichtungen, Regierungsdienststellen und Forschungsinstitute nach Sejong verlegt worden. Doch etwa das Präsidialamt, die Nationalversammlung und weitere bedeutende Regierungsorganisationen weigerten sich eisern, den Schritt zu gehen. Oft sei es gar so, dass Regierungsmitarbeiter lieber den Beruf wechselten, als für die Arbeit nach Sejong zu ziehen.
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Viel Kritik an „mittelmäßiger“ neuer Hauptstadt
Unter den tatsächlich Zugezogenen scheint es einigen Unmut zu geben. So häuft sich auf der Nutzer-Plattform „Reddit“ unter einem Post mit dem Titel „Südkorea baut eine mittelmäßige neue Hauptstadt mitten im Nirgendwo (Sejong)“ die Kritik. „In Sejong gibt es keine Gemeinschaft, keine Kultur überhaupt“, schreibt ein Nutzer, „und die schreckliche Planung der Stadt ist zum Teil Schuld daran.“ Der öffentliche Nahverkehr sei katastrophal organisiert und es fehle ein adäquates Stadtbahn- oder U-Bahn-System, auch sei die geplante Hauptstadt extrem fußgängerunfreundlich. „Alles ist im Vergleich zu den meisten koreanischen Städten so weit auseinander“, heißt es da.