7. April 2024, 8:25 Uhr | Lesezeit: 12 Minuten
An der Nordspitze Afrikas zwischen Atlantik und Mittelmeer gelegen, ist die Hafenstadt Tanger eine der interessantesten Metropolen in Marokko. Ihre Mauern erzählen von einer mehr als 1000-jährigen Geschichte, und auch von einem rasanten Wandel zur heute drittgrößten Stadt des Landes. TRAVELBOOK-Autor Robin Hartmann hat hier eine Marokko-Reise begonnen und nimmt Sie mit in das herrliche Gewirr der engen Gassen.
Da liegt sie nun also, wie eine Verheißung auf Abenteuer, von denen ich jetzt noch überhaupt nichts weiß. Während sich die Fähre, vom spanischen Tarifa aus kommend, der Küste nähert, tauchen aus dem Dunst die Umrisse der Stadt Tanger auf. Möwen begleiten kreischend unsere Fahrt, als wollten sie die neuen Besucher ankündigen, dabei spülen Bootsverbindungen hier mehr oder weniger stündlich neue Abenteurer an Land. Neben dem Salz auch ein anderer, aufregenderer Geruch in der Luft: Ein Duft der Fremde, der Faszination, des Unbekannten. Das ist es also, das „Tor zu Afrika“. Eine pulsierende City mit einer mehr als 1000-jährigen Geschichte. In der ich nun meine eigenen kleinen Kapitel schreiben möchte.
Tanger erreicht man, von Deutschland aus, auch per Flug, aber da ich eine Schwäche für das Meer habe, entschied ich mich eben für die Ankunft per Fähre. Die Boote steuern in Tanger gleich zwei Häfen an. Für Besucher empfiehlt sich die Fahrt nach Tanger-Ville, denn von dort aus ist man in nicht einmal einer Viertelstunde mitten im Leben, mitten in den wirren, engen Gassen der Medina, also der Altstadt. Wer nach Tanger-Med reist, spart vielleicht ein paar Euro – wird die aber gleich wieder los, weil der Hafen etwa 45 Kilometer außerhalb der City liegt, was die stets geschäftstüchtigen Taxifahrer vor Ort natürlich zu ihren Gunsten nutzen. Wer schon in Marokko ist, kann Tanger auch per Bus und Bahn erreichen.
Vorsicht vor „False Guides“
Ich stürze mich stattdessen direkt vom Hafen aus in die Medina, und schon auf den ersten Metern hängt sich Fouad an meine Hacken. Plötzlich spaziert er neben mir her, fragt, ob ich einen Guide, oder, noch wichtiger, Haschisch haben will. Es ist eine Frage, die mir in Tanger auf Schritt und Tritt begegnen soll, denn ja, neben seinen anderen Verlockungen ist Marokko eben auch eines der Hauptanbauländer für die Droge. Dies nun also gleich als Warnung vorab, bevor ich zu schwärmen beginne: In Tanger besteht die Verkaufsstrategie vieler Einheimischer scheinbar darin, ihre Zielobjekte mitunter regelrecht zu verfolgen. Auch dann noch, wenn diese die Angebote mehrmals, erst höflich, dann zunehmend genervt, ablehnen.
Und auch vor den sogenannten „False Guides“ muss ich warnen. Menschen also, die sich anbieten, als Fremdenführer in dem undurchdringlichen Gassengewirr der marokkanischen Medinas zu dienen, in Wahrheit aber andere, sinistre Intentionen verfolgen. Ich finde nie heraus, ob mein Fouad auch so einer ist, denn irgendwann lasse ich ihn einfach stehen, als ich nämlich meine Unterkunft gefunden habe. Beziehungsweise, die Jungs, die ich auf dem Boot kennengelernt habe, haben sie gefunden. Als aufgeschlossener Reisender werden Sie in Marokko sehr leicht Anschluss finden. Und so ein Gruppengefühl tut merklich allen gut, die wie ich das erste Mal in Marokko sind. Schließlich ist das ja nicht nur ein anderes Land, sondern ein anderer Kontinent, und auch, wenn man sich als Reisender immer für besonders tolerant und weltoffen hält, kann das Neue, Fremde auch erst einmal einschüchtern.
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Ein Rausch der Sinne
Wir ziehen uns also erst einmal in die kühle Ruhe des Hostels „Tanja Lucia“ zurück, wo man schon ab 12 Euro die Nacht ein Viererzimmer bekommen kann. Wie viele andere Unterkünfte auch befindet sich unsere in einem alten, mehrstöckigen marokkanischen Wohnhaus, dessen Wände noch die Geschichte der vergangenen Jahrhunderte atmen. Der Koch begrüßt uns gleich freundlich und zählt lachend unsere Optionen für Abendessen und Frühstück auf. Dann der erste Wow-Moment, als wir von der Dachterrasse aus über das scheinbar endlose Häusermeer der Medina von Tanger blicken. In der Ferne Berge, das Meer schimmert genauso blau wie der wolkenlose Himmel, 20 Grad Anfang Februar. Jetzt kann das Abenteuer gerne beginnen.
Wir stürzen uns also in die Gassen, ein wahrer Rausch für die Sinne. Vor jedem Laden hängen knallbunte Dinge, unzählige verschiedene Gerüche liegen in der Luft, von überall lärmt und pulsiert es in der Kasbah, diesem ältesten Viertel von Tanger. Leder- und Korbwaren, Taschen, Postkarten, Magnete, handgemalte Bilder, Schmuck, Schuhe, Kleidung, Parfüms, Öle, Räucherpulver und -stäbchen, Seifen, Traumfänger, Kleidung, Obst, Gemüse, Gewürze, lebende Hühner, Wellensittiche, zuckersüßes Backwerk – das ist nur ein Bruchteil der Dinge, die ich im vorbeischlendern staunend wahrnehme. Und natürlich wissen wir schon spätestens nach dem dritten Mal abbiegen nicht mehr, wo wir denn nun eigentlich sind.
Tanger spricht Deutsch
Doch merkwürdig, würde man zuhause schon nervös, wenn man nur einmal falsch gegangen wäre, hat das sich „Verlaufen-haben“ hier bei mir einen völlig gegenteiligen Effekt. Ich spüre nichts als Aufregung und Neugier, was mich wohl hinter der nächsten Ecke erwartet. Immer in dem Wissen wohlgemerkt, dass sich im Zweifel sofort einer der Einheimischen gegen ein geringes Honorar anbieten würde, einen zurück zum Ausgangspunkt des Abenteuers zu führen. Da die Medina von Tanger im Vergleich zu der anderer marokkanischer Städte aber eher klein ist, finden wir auch irgendwann alleine wieder heraus und auf den Place 9 de Avril, den Hauptplatz der Altstadt.
Ein entspanntes Bad in der Sonne, ein frischgepresster Saft für 15 Dirham, umgerechnet nicht einmal 1,50 Euro. Leben beobachten, Leute gucken, die Lage sondieren. An der Kopfseite des Platzes das altehrwürdige Kino Cinema Rif, das, so verrät das Programm, vor allem einheimische Filme zeigt, mitunter mit französischen Untertiteln. Wer ein wenig Französisch oder Spanisch spricht, wird sich in Tanger relativ problemlos fortbewegen können. Sowohl Frankreich als auch Spanien waren in Marokko bis 1956 Kolonialmächte, daher sprechen viele Einheimische die Sprache(n). Aber auch Deutsch hört man überall. Denn die erste Frage derer, die Touristen in ihre Läden locken wollen, ist immer, gepaart mit einem breiten Lachen, woher man denn käme. Und wer dann eben „Deutschland“ sagt, der hört nicht selten die Geschichte einer Vergangenheit als Gastarbeiter.
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Wo schon Mick Jagger Tee trank
Ein skurriler Moment, als zahllose Gläubige nach dem Nachmittagsgebet eine Moschee verlassen. Von einem riesigen Berg auf der Straße sammeln sie ganz diszipliniert ihre Jacken und Schuhe wieder ein, die sie beim Betreten des Gotteshauses abgelegt haben. Uns treibt die Neugier nun in ein namenloses Restaurant direkt gegenüber der Moschee, wo dem Anschein nach nur Einheimische essen. Natürlich gibt es in Tanger für die heimwehkranken, vor allem jungen Touristen auch Pizza, Pasta und Burger, wir aber haben Lust auf Lokalkolorit. Und bekommen eine Fisch-Tajine, einen der typischen, in Tongefäßen gekochten Eintöpfe, für wiederum 15 Dirham. Das heißt, nachdem wir den ausschließlich arabisch sprechenden Besitzern durch Gestikulieren klargemacht haben, dass wir hier tatsächlich etwas essen möchten. Kolumbus-Effekt. Ein wenig fühlen wir uns wie die ersten Fremden, die diesen Ort vielleicht jemals betreten haben.
Derart gesättigt, lassen wir uns in der Folge an irgendeiner Ecke der Medina von Guide Ahmed einfangen. Er führt uns daraufhin scheinbar ziellos durch die Altstadt, mal hier haltend, mal dort etwas kommentierend. Das Ziel, so verstehen wir, soll das berühmte Café Hafa sein, am gleichen Ort seit 1921, wo schon Rolling Stone Mick Jagger seinerzeit einkehrte. Nach einem ziemlich ausgedehnten Spaziergang, eigentlich mehr einer Wanderung, kommen wir dann dort an, als gerade die Sonne untergeht. Die Gäste sitzen hier auf zahllosen kleinen, verschachtelten Balkonen, quasi Privatlogen. Wir schauen dabei zu, wie die Abendstimmung den Himmel über dem Meer in ein Farbspektakel aus Dunkelblau und Lila verwandelt. Dazu der erste von vielen Pfefferminz-Tees, quasi das Nationalgetränk Marokkos, scherzhaft auch „Berber-Whiskey“ genannt. Es ist der wunderbar entspannte Abschluss eines sehr aufregenden ersten Tages.
Abenteuer Taxifahren
An Schlaf ist aber dennoch nicht zu denken, denn die Medina lärmt und pulsiert bis in die frühen Morgenstunden. Dafür bin ich dann rechtzeitig wach, um meinen ersten Sonnenaufgang in Marokko zu erleben. Ist es nachts gerade hier im stets windigen Tanger doch mitunter deutschlandhaft kühl, schicken schon die die ersten Strahlen der über den Bergen emporsteigenden Sonne eine alles erfüllende Wärme über die Altstadt und durch den Körper. Auf Empfehlung meines in allen Belangen sehr hilfsbereiten Hostel-Rezeptionisten frühstücke ich dann ausgiebig im Bab al-Madina, das nur zwei Fußminuten von meiner Unterkunft entfernt ist. Hier hat man die Wahl zwischen mehreren Frühstücks-Varianten, unter anderem dem „German Breakfast“ mit Edamer. Ich entscheide mich für die sehr gute einheimische Version mit Fladenbrot, Honig, Oliven und Spiegelei.
Dann ein weiteres kleines Abenteuer, das erste Mal in Marokko Taxi fahren. Hierbei gibt es Folgendes zu beachten: Die blauen Autos, auch „Petit Taxi“ genannt, errechnen den Fahrpreis in der Regel per Taxameter. Bei den beigen Wagen, den „Grand Taxis“ dagegen, kann man ihn vorab verhandeln. Nicht selten stehen diese auch an Fernbusbahnhöfen – wenn sich ein paar Reisewillige vorab zusammen finden, die das selbe Ziel haben, kann ein solches „Grand Taxi“ mitunter sogar nur wenig teurer und weitaus schneller sein als ein gewöhnlicher, wenn auch meist durchaus komfortabler Linienbus. Ich heuere nun Hassan quasi als meinen Privatchauffeur an, denn ich möchte heute das Cap Spartel besuchen. Einen legendenumrankten Ort, wo Atlantik und Mittelmeer aufeinander treffen. In Tanger soll der mythische Herkules höchstpersönlich die Erde gespalten und so die Meerenge von Gibraltar geschaffen haben, in der sich eben dieser Zusammenfluss vollzieht.
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Kamele und Abzocke
Vorbei geht es an immer größer werdenden Privathäusern, irgendwann auch einem der Paläste des marokkanischen Königs, dessen Konterfei gerahmt mehr oder weniger in jedem Laden in Tanger bzw. Marokko hängt. Die Straße führt auch vorbei an leeren Stränden, wo ganze Herden von Kamelen auf den Sommer und damit ausländische Kundschaft warten. Exotik als Klischee, die Einheimischen wissen ganz genau, was (viele) Touristen wollen. Und wofür sie dann eben auch zahlen. Ein paar Likes für ein Foto auf Social Media, seht her, so war Marokko, und Kamele hatten sie auch. Am Cap Spartel dann ein paar Souvenirbuden, leere Restaurants, ein schöner Leuchtturm mit einem kleinen botanischem Garten. Ein wenig weiter ein unscheinbares Holz-Schild an dem Ort, wo die Meere aufeinandertreffen. Das wars.
Anbei noch ein kleiner Tipp: Die meisten Taxifahrer werden ihnen auch noch von selbst anbieten, zur Herkulesgrotte zu fahren. Lehnen Sie höflich dankend ab, denn hier gibt es, zumal für einen Eintritt von 60 Dirham, absolut nichts zu sehen. Auf Nachfrage erfahre ich immerhin, das sich der Name nicht auf die Sagengestalt bezieht, sondern auf einen griechischen Piraten, der sich hier 25 Jahre lang versteckt haben soll. Der Preis, und ich benutze das Wort wirklich ungerne, in meinen Augen eine absolute Abzocke. Wenn ich insgesamt fünf Minuten in der sehr kleinen Höhle war, war es lange. Investieren Sie das Geld besser in ein Mitbringsel für eine liebe Person und/oder ein schönes Essen. Oder besuchen Sie in der Zeit, und das auch noch völlig umsonst, den weitläufigen Perdicaris-Park.
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Auf dem Weg in die Zukunft
Als größte Grünfläche von Tanger bietet der Park auf einer Fläche von 70 Hektar genügend Raum für ausgedehnte Spaziergänge, nicht selten mit herrlichem Meerblick. Hier ist dann auch der Lärm der Stadt auf einmal ganz fern, wie ausgesperrt, hört man nur das fröhliche Konzert der Vögel aus den Nadelbäumen. Gerade an Wochenenden kommen vor allem einheimische Familien, um hier zu picknicken und zu grillen. Leider ist die grüne Oase teils sehr stark vermüllt. Dennoch findet man hier sicher für eine Weile Ruhe und Entspannung von der stets lauten und wuseligen Innenstadt.
Was nun noch bleibt, ist ein Besuch am Stadtstrand. Auch hier vereinzelt Touri-Kamele und Pferde, Einheimische fechten parallel gleich mehrere heiß umkämpfte Fußball-Matches aus. Tanger, wahrscheinlich schon im 5. oder 6. Jahrhundert von den Karthagern gegründet, ist heute eine Metropole, die sich in atemberaubender Geschwindigkeit Richtung Zukunft, Richtung noch mehr Tourismus entwickelt. Die Marina ist die größte in ganz Marokko, am Wasser entsteht mit der „Tanja Waterfront“ aktuell ein ganz neues Viertel mit Luxus-Immobilien und Shoppingmöglichkeiten.
Es ist beruhigend zu wissen, dass das alte Tanger trotzdem bleiben und sich mit der neuen Situation irgendwie arrangieren wird. Das Tanger der betörenden Gerüche und Farben in den engen Gassen. Gassen, deren Profil durch unzählige Füße, die dort seit Jahrhunderten laufen, zur Glätte von Marmor blank gescheuert sind. Das laute, manchmal auch überfordernde Tanger, wo selbst erfahrene Reisende ein kleiner Kulturschock treffen mag. Das „Tor zu Afrika“, der Ort, wo viele Menschen zum ersten Mal Marokko betreten. Und der in all seiner Fremdartigkeit doch Lust macht, dieses wunderbar vielseitige Land mit all seinen Facetten zu entdecken.