19. Dezember 2014, 17:24 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Auf der Istiklal Caddesi, der beliebtesten Einkaufsmeile Istanbuls, sollten sich Touristen in Acht nehmen, wenn jemand sie in einen vermeintlich harmlosen Smalltalk verwickeln will. Denn: Irgendwann endet das Ganze in einer Bar – und mit einer Rechnung, die Tausende Euro betragen kann.
„Excuse me, do you speak English?“, „Woher kommen Sie?“, „Entschuldigen Sie, haben Sie zufällig ein Feuerzeug?“, „Können Sie mir weiterhelfen?“ Meist ist es ein junger, sympathisch aussehender Mann, der männlichen Touristen, die allein unterwegs sind, solche oder ähnliche Fragen stellt. Und fast immer ist die Kulisse der Stadtteil Beyoglu mit der berühmten Einkaufsstraße Istiklal Caddesi, wo Urlauber sich sicher fühlen – unter den Augen der Passanten und zuweilen auch Polizisten, die hier unterwegs sind.
„Ich lade dich zu einem Bier ein“
Fast beiläufig kommt man ins Gespräch mit dem Mann. So beschreiben viele Istanbul-Besucher, die bereits auf die Masche reingefallen sind, in Internetforen ihre Erfahrungen. Nett und aufgeschlossen erzähle der Mann von sich, erkundige sich, was man so in Istanbul treibe. Was die Touristen nicht ahnen: Der Smalltalk hat nur den Zweck, eine Art Vertrauensbasis zu schaffen. Man könne doch gemeinsam etwas trinken gehen, schlägt der Mann irgendwann schließlich vor. Er kenne eine ganz gute Bar in der Nähe und würde gern ein Bier ausgeben. Und da man schließlich im Urlaub ist und die Türken für ihre Gastfreundschaft bekannt sind, denkt man sich nichts dabei – und geht mit.
Tatsächlich ist die Location nicht weit weg und das Ambiente angenehm. Man plaudert weiter, bestellt ein Bier oder einen Cocktail. Der Mann grüßt den Barkeeper, Frauen setzen sich dazu, einige davon kennt er. Auch sie bestellen was. Und so vergeht die Zeit. Irgendwann jedoch kippt die Stimmung – und zwar in dem Moment, wenn die Rechnung serviert wird. Obwohl man nur ein paar Getränke konsumiert hat, ist die plötzlich mehrere hundert oder gar tausend Türkische Lira hoch.
Auf der Rechnung sind Getränke, die man nicht konsumiert hat
Nach dem ersten Schock weist der Tourist anschließend natürlich darauf hin, es könne sich nur um einen Fehler handeln. Der Bar- oder Club-Besitzer macht jedoch recht schnell klar, dass ziemlich viele Drinks serviert wurden, wobei er das mitberechnet, was die „Plauder-Gruppe“ – allesamt in den Betrug involviert – bestellt hatte. Das kann durchaus auch eine Flasche Champagner gewesen sein. So richtig nachvollziehen können das die wenigsten, schließlich ahnte keiner, dass dies alles auf einer Rechnung landen würde: und zwar auf der eigenen.
Nun steht man da, soll das alles bezahlen, ist womöglich sogar schon etwas angetrunken und hat bei Weitem nicht ausreichend Bargeld in der Tasche. Wozu auch. Man glaubt sich schließlich im Recht und macht dann unmissverständlich klar: „Ich habe das nicht konsumiert, also bezahle ich das auch nicht.“
Klare Ansage: Zahl‘ oder es passiert was
Mindestens ebenso unmissverständlich wird dem Touristen dann erklärt, dass man auf das Geld bestehe. Wer sich dann immer noch weigert, riskiert eine Eskalation der Situation. So soll es Fälle gegeben haben, in denen Gewalt angedroht oder sogar angewandt wurde, wie eine Hotelmitarbeiterin in Istanbul TRAVELBOOK erzählt. Einigen Touristen habe man sogar gedroht, sie umzubringen. In allen Fällen erreichen die Gauner, dass die Opfer die Summe bezahlen. Manchmal zeigen sie sich vermeintlich gnädig und reduzieren den Betrag, der durchaus 10.000 TL, also rund 3500 Euro, betragen kann. Wer nicht ausreichend Geld dabei hat, löhnt mit der Kreditkarte – oder wird von resoluten Begleitern zu einem Bankautomaten eskortiert.
Hilft die Polizei?
Ist man erst mal in der Bar gelandet, stehen die Chancen schlecht, ohne Zahlung der verlangten Summe wieder rauszukommen. Auch die Polizei kann nur bedingt helfen. Auch wenn die Behörden die Masche kennen, ist das Ganze für das Opfer schwer nachzuweisen, zumal die Betrüger ihre Aussagen gegenseitig bestätigen, sodass der Nachweis, der Tourist habe die Gruppe NICHT eingeladen, kaum erbracht werden kann.
Wie entgeht man der Falle?
Am besten ist natürlich, man lässt sich erst gar nicht auf das Gespräch mit dem Fremden ein, vor allem, wenn er wie oben beschrieben eine dieser Fragen stellt. Antworten Sie einfach mit Nein oder besser: Ignorieren Sie die Fragen!
Doch eigentlich ist schließlich nichts dagegen einzuwenden, im Urlaub mal nett mit jemandem zu plaudern. Misstrauisch sollte man allerdings sein, wenn der Mann Sie gezielt in eine Bar führen möchte, mit dessen Besitzer die Abzocke vermutlich längst abgesprochen ist. Das sollten Sie um jeden Preis vermeiden. In der Öffentlichkeit wird Ihnen keiner etwas tun. Am besten Sie reden sich wie folgt aus der Situation:
- Schlagen Sie eine andere Bar vor, die Sie kennen. Sie werden sehen: Der Mann wird auf seine Bar bestehen und erst locker lassen, wenn Sie sich nicht überreden lassen.
- Sagen Sie, Sie hätten Freunde, auf die Sie warten wollen, um gemeinsam hinzugehen. Da der Abzocktrick nur auf Männer abzielt, die allein unterwegs sind, wird der Mann schnell einen Grund finden, weiterzuziehen – ohne Sie.
Das sind die Maschen – so schützt man sich Mit diesen dreisten Tricks zocken Taxifahrer Urlauber ab
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Typische Masche auch in anderen Ländern
Auch das Auswärtige Amt weist auf die Abzocke hin: „Vor allem im Stadtteil Beyoglu wurden vermehrt Betrugsfälle bekannt, in denen Touristen unter einem Vorwand in einer Bar eingeladen und anschließend gezwungen wurden, zur Begleichung der extrem überhöhten Rechnung eine größere Summe Bargeld von einem Geldautomaten abzuheben.“
In der Vergangenheit haben die Behörden bereits mehrere Polizeiaktionen gegen beteiligte Bars und Clubs durchgeführt.
Trotz solcher Betrügereien ist die türkische Metropole ein sicheres und vor allem lohnenswertes Ziel für Touristen. Letztlich ist man nirgends vor einer Abzocke sicher. Die beschriebene Masche oder eine leicht abgewandelte Variante davon machen sich auch Betrüger in anderen Großstädten der Welt zunutze, etwa in London, Budapest oder einigen Metropolen Asiens.
Nur wer die Tricks kennt, kann sich davor schützen. Grundsätzlich gilt – für Istanbul und andere Reiseziele auch: Fragen Sie im Hotel am besten immer nach, wovor man sich als Tourist in Acht nehmen muss. Hotelmitarbeiter kennen meist die Tricks der örtlichen Gauner.
ANMERKUNG: Wir haben uns entschlossen, die Kommentarfunktion unterhalb des Artikels abzuschalten, da er für pauschalisierende Urteile missbraucht wurde. Solche Aussagen haben hier nichts zu suchen. Wie bereits im Artikel erwähnt, findet man diese Masche auch in anderen Ländern, unter anderem in Spanien oder Italien, wie unsere Leser berichten.