24. November 2024, 15:18 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Was in Venedig die weltberühmten Gondeln sind, sind in der Stadt Tübingen in Baden-Württemberg die Stocherkähne. Boote, mit denen Einheimische wie auch Touristen gerne über den Neckar schippern, um die Universitätsstadt vom Wasser aus zu erleben. Die liebenswerten Gefährte sind aber nicht nur ein beliebtes Freizeitvergnügen, sondern blicken zurück auf eine jahrhundertelange Tradition. Und einmal im Jahr gibt es sogar einen Wettbewerb mit den Kähnen, der für die Verlierer ziemlich eklig endet.
Wer die Universitätsstadt Tübingen in Baden-Württemberg vor allem in der wärmeren Jahreszeit einmal auf eine ganz besondere Art erkunden möchte, der hat dazu eine deutschlandweit vielleicht einmalige Gelegenheit. Denn auf dem Neckar-Fluss, der sich durch Tübingen windet, kann man eine Fahrt in einem der zahlreichen Stocherkähne unternehmen, die hier, ganz ähnlich wie die weltberühmten Gondeln in Venedig, gemächlich über das Wasser dümpeln. Die liebenswerten Gefährte sind nicht nur ein wichtiger Bestandteil der studentischen Kultur vor Ort, sondern blicken auch zurück auf eine jahrhundertelange Geschichte.
Der Name Stocherkahn bezeichnet ein längliches Boot und geht laut der offiziellen Seite der Universität Tübingen zurück auf den sogenannten „Stocher“. Gemeint ist damit eine lange Stange, mittels der sich der Gondoliere, also der Lenker des Bootes, vom Grund des Flusses abstoßen kann, um sein Gefährt fortzubewegen. Der Neckar verläuft rund um die Altstadt nicht sehr tief, weswegen die Menschen in der Stadt diese Methode bereits vor Jahrhunderten für sich entdeckten. Demnach geht die erste bildliche Darstellung eines Stocherkahns zurück bis in das Jahr 1544. Auf einem Holzschnitt ist das südliche Neckarufer mit einem vergleichbaren Gefährt dargestellt.
Beliebte Studenten-Tradition
Da Tübingen zwischen Hügeln liegt und es besonders im alten Teil der Stadt viele enge Gassen gibt, kam der „klassische“ Verkehr hier schon in früheren Zeiten schnell an seine Grenzen. Die Stocherkähne boten also für die Beförderung von Waren und auch Menschen schon bald eine veritable Alternative bzw. Ergänzung für das Transportwesen. Der Neckar war vor allem auch in früheren Jahrhunderten eine wichtige Verkehrsader, die die Stadt mit anderen Ortschaften in der Region verband. Einem Forschungsprojekt des Deutschen Schifffahrtsmuseums und der Deutschen Forschungsgemeinschaft nach nutzten im süddeutschen Raum wohl schon die Kelten ähnliche Boote.
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Der Seite „Historischer Augenblick“ zufolge entdeckten dann im 19. Jahrhundert Tübinger Studenten die Stocherkähne für sich. Bis heute ist es eine Tradition für Studierende an der Eberhard Karls-Universität, während ihrer Ausbildungszeit mit den einzigartigen Booten Touren auf dem Neckar zu unternehmen. Längst gibt es rund um die beliebten Gefährte aber ein vielfältiges Angebot, so kann man zum Beispiel während einer Tour auch an einer Weinprobe teilnehmen oder eine „After Work Stocherkahnfahrt“ unternehmen. Die heute etwa 130 zugelassenen Kähne sind im Besitz studentischer Gruppen und anderer Vereine.
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Der Verlierer muss Lebertran trinken
Wer einmal an so einer Stocherkahnfahrt teilnehmen möchte, kann in Tübingen an vier „Haltetstellen“ zusteigen. Offizielle Anlegeplätze sind der Hölderlinturm, Neckarspitze, Hermann-Kurz-Straße und Bismarkstraße. Die Kosten variieren je nach Dauer, Programm und Anbieter. Wer bei Google das Stichwort „Stocherkahn“ eingibt, wird jedenfalls schnell fündig. Die Fahrer fungieren dabei gleichzeitig auch als Guides und erzählen während der Tour Wissenswertes zur Stadt und ihrer Geschichte. Der örtliche Stocherkahnverein Tübingen e.V. bietet darüber hinaus Kurse an, bei denen man das Lenken eines solchen Bootes selbst erlernen kann.
Ein jährliches Highlight in der Stadt ist im Juni zu Fronleichnam das Stocherkahnrennen, bei dem studentische Gruppen gegeneinander antreten. Hierbei kommt es darauf an, so schnell wie möglich die Neckarinsel im Stadtzentrum zu umrunden und ins Ziel zu fahren. Ein Steuermann stakt mit dem Stocher, die anderen paddeln mit den bloßen Händen. Ein Spektakel, das immer wieder tausende Schaulustige anzieht. Die Sieger erhalten einen Wanderpokal und ein Fass Bier, während die Verlierer eine ziemlich eklige Bestrafung erwartet. Die müssen nämlich Lebertran trinken. Wer einfach nur eine Fahrt in den Tübinger Traditions-Kähnen unternimmt, hat es da deutlich gemütlicher.