23. September 2022, 13:37 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Von Whittier, einem kleinen Ort in Alaska, hätte die Welt wohl kaum jemals gehört, würde das Städtchen nicht mit einer Besonderheit aufwarten. Und die dürfte weltweit einzigartig sein.
Whittier ist ein kleiner Ort im Nordosten der Kenai-Halbinsel am Golf von Alaska. Eingebettet zwischen Bergen und Wäldern, ist der Küstenort westlich des Prinz-William-Sunds nur durch einen vier Kilometer langen Straßen- und Autobahntunnel mit der Außenwelt verbunden. Die abgeschiedene Lage allein mag schon eine Besonderheit sein, doch macht Whittier noch aus einem ganz anderen Grund von sich reden: In der kleinen Stadt nämlich leben so gut wie alle 300 Einwohner zusammen in einem Haus – weshalb Whittier auch als „Stadt unter einem Dach“ bezeichnet wird.
Begich Towers – mehr als nur ein Wohnhaus
Domizil der Bewohner von Whittier, einem früheren Militärstützpunkt, ist das ehemalige Hodge Building. Das aus den 1950er-Jahren stammende Gebäude diente ursprünglich als Kaserne. Anfang der 1970er-Jahre wurde es dann zu einem Apartmenthaus umgebaut und in Begich Towers umbenannt.
Heute beherbergt der 14-stöckige Komplex nicht nur den Großteil der Bewohner von Whittier, sondern auch alle wichtigen Einrichtungen der Stadt. So befinden sich in den Begich Towers etwa die Stadtverwaltung, eine Kirche (im Keller), ein Supermarkt, ein Hotel, eine Post, ein Schwimmbad und ein Fitnessraum. Die angrenzende Schule ist durch einen Tunnel mit den Begich Towers verbunden.
Einen Eindruck vom Leben in den Begich Towers vermittelt u. a. dieses YouTube-Video:
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Leben in „enger Gemeinschaft“
Doch wie kommt es, dass die Bewohner von Whittier alle in einem einzigen Haus leben? Die lapidare Antwort lautet: In Whittier gibt es nur dieses eine Wohnhaus. Die Bewohner der Stadt scheint dies jedoch nicht zu stören. Im Gegenteil: Wie in einem Video des ProSieben-Wissensmagazins „Galileo“ zu hören ist, fühlen sich die meisten Bewohner nach eigener Aussage sehr wohl in der „engen Gemeinschaft“. Ein weiterer Pluspunkt für viele Stadtbewohner: Im Hause gebe es alles, was man zum Leben brauche.
Und vor die Tür gehen die Bewohner Whittiers ohnehin nicht gern. Zumindest nicht im Winter, wenn in der Stadt ein eisiger Wind weht und die Temperaturen um die minus 10 Grad liegen. Manch Bewohner ist sogar stolz darauf, von sich behaupten zu können, das Haus ganze sechs Monate nicht verlassen zu haben.
Ein Tunnel als einzige Verbindung zum Rest der Welt
Doch nicht jeder in Whittier kann es sich leisten, im Winter keinen Fuß auf die Straße zu setzen. Denn zur Arbeit, beispielsweise in einem der Fischereibetriebe von Whittier, führt der Weg zwangsläufig durch die eisige Kälte. Manch einer muss zur Arbeit auch ins 50 Kilometer entfernte Anchorage – der größten Stadt im US-Bundesstaat Alaska – fahren. Der einzige Weg dorthin führt durch den rund vier Kilometer langen Anton Anderson Memorial Tunnel, der Whittier mit dem Seward Highway und somit mit dem Rest der Welt verbindet.
Doch insbesondere im Winter ist beim Durchfahren des schmalen, einspurigen Tunnels nicht nur besondere Vorsicht, sondern auch Pünktlichkeit geboten. Denn in dem Tunnel wechselt nicht nur die Fahrtrichtung alle 30 Minuten, auch öffnet sich das Tor dann jeweils nur für fünf Minuten. „Der Wind und die eiskalte Luft könnten sonst leicht zu Steinschlag führen“, heißt es in dem „Galileo“-Video. Zudem sei der Tunnel täglich nur von 7 bis 22 Uhr geöffnet, was bedeute, dass man nachts weder aus Whittier raus noch in die Stadt hinein komme. Eine Ausnahme gelte lediglich für Rettungsfahrzeuge.
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Kreuzfahrten ab Whittier
Im Sommer, bei Temperaturen um die 20 Plusgrade, wandelt sich das Bild in der „Stadt unter einem Dach“. Dann lockt Whittier samt seines Jachthafens nicht nur Tiefseeangler, sondern auch Kreuzfahrt-Touristen an. Beliebt sind u. a. Tageskreuzfahrten in den Prince-William-Sund, wo man neben Gletschern auch allerlei Tiere wie Wale, Seeotter, Robben und jede Menge Seevögel beobachten kann.
Und wer über Nacht in Whittier bleiben möchte, mietet sich in dem kleinen Hotel im obersten Stockwerk der Begich Towers ein – und verschafft sich dort seinen ganz persönlichen Eindruck von der „Stadt unter einem Dach“.
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