13. September 2016, 12:40 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Legenden, die in die Jahre kommen, verdienen für gewöhnlich eine Biografie. Auch der Strand von Copcabana hat eine, geschrieben von Dawid Danilo Bartelt. TRAVELBOOK sprach mit dem Autor über den Mythos und die Zukunft von Brasiliens berühmtestem Strand.
TRAVELBOOK: Herr Bartelt, Rios Strände sind einer schöner als der andere. Warum wurde ausgerechnet Copacabana zum Strand aller Strände?
Dawid Danilo Bartelt: „Für die Cariocas, wie die Einwohner Rios genannt werden, lag Copacabana jahrhundertelang irgendwo da draußen hinter einer Felsenkette. Es war beschwerlich hinzukommen – und demzufolge ist dort auch lange nichts geschehen. Als man den Teil Rios 1892 mit dem ersten Tunnel und später einem weiteren erschloss, fand man hier einen Raum, der unbelastet von der kolonialen Vergangenheit, quasi geschichtslos war – eine Tabula rasa für ein neues Rio. Und das wurde dann hier erschaffen.“
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Bis auf das berühmte Wellenmuster, das Burle Marx auf den Gehweg pflasterte, und das elegante Copacabana Palace ist die Architektur heute allerdings kaum noch herausragend.
„Copacabana wurde sehr schnell Opfer seines eigenen Erfolgs. Es gibt in Brasilien leider kaum effiziente Stadtplanung und Kontrolle von Immobilienspekulation. Ab 1940 entstanden die ersten Mehrgeschosser neben den Villen aus der Anfangszeit. Heute stehen hier fast nur noch Hochhäuser. Im Prinzip hat Copacabana etwa alle 25 Jahre fast komplett die Bebauung getauscht.“
Nicht nur ein neues Rio, auch ein neuer Typ Mensch wurde am Strand von Copacabana geboren…
„… tatsächlich brachte Copacabana sehr früh, in den 1920er-Jahren, eine ganz neue Lebensweise hervor, einen neuen Menschen, der seine Lebenshaltung über den Körper definierte, nicht über Moral, Geist oder Arbeit. Körperlichkeit ist in Rio mehr als anderswo prägend für die individuelle und kollektive Identität – und für diese Entwicklung ist Copacabana ein paradigmatischer Ort.“
Hier bekam der Körper dann auch die knappste Badekleidung der Welt.
„Das brauchte allerdings seine Zeit. Zunächst entwickelte sich die Strandmode in Brasilien analog zur europäischen – mit entsprechender zeitlicher Verzögerung. Erst in den 50er-, 60er-Jahren begann eine nationale produktive Aneignung der Badekleidung – mit dem berühmten, ganz besonders knappen Tanga-Bikini und dem Micro-Bikini, den man im Brasilianischen „Fio dental“ nennt – auf Deutsch ‚Zahnseide‘.“
Die letzte Blütezeit erlebte Copacabana zur Zeit des Bossa Nova, in den 1960er-Jahren. Trends werden heute woanders geboren…
„… der Sehnsuchtsort Copacabana hat Falten bekommen. Heute leben hier vorwiegend ältere Leute, wie allein schon die Dichte an Hundefutterläden, Apotheken und Orthopäden verrät. Aber der Mythos ist weiterhin sehr lebendig.“
Hat Copacabana eine Zukunft?
„Die Zukunft des Viertels liegt wohl in den Favelas. Die waren in dem Konzept natürlich nie vorgesehen, aber von Anfang an da. Bereits 1902 äußert man sich in Zeitungen schon besorgt über den Zuzug der Armen auf die Hügel. In den folgenden Jahrzehnten wurden die Favelas von der Stadtpolitik völlig ignoriert. Als ich 1986 zum ersten Mal nach Rio kam, waren die Armenviertel auf dem Stadtplan gar nicht eingezeichnet. Das waren weiße Flächen auf der Landkarte.“
Die Zeiten haben sich geändert. Die Favelas im Zentrum von Rio wurden von einer Spezialpolizei befriedet und einer Art Friedenspolizei, der UPP, besetzt. Nun trauen sich auch Menschen dorthin, die früher nie einen Fuß in eine Favela gesetzt hätten.
„Das hat eine Art innerstädtischen Tourismus in Gang gesetzt. Die Leute aus den wohlhabenderen Vierteln machen Ausflüge in die Favelas. Und zuweilen fühlen sich die Menschen schon wie in einem Zoo. Doch es ist gut, dass es diese Anschauungsmöglichkeit gibt. Favelas galten quasi seit ihrer Entstehung als Hort der Kriminalität, des Bösen schlechthin. Jetzt kann die Mittelschicht die Normalität hinter dem Monster entdecken. Und sehen, dass 99 Prozent der Menschen in einer Favela ganz normale Arbeiterinnen und Arbeiter sind, die in erster Linie ein Interesse haben: in Ruhe zu leben. Dass Menschen nun in die Favelas kommen und gucken, hilft, das Bild zu korrigieren.“
Zur Person: Dawid Danilo Bartelt, 1963 geboren, leitet seit 2010 das Brasilienbüro der Heinrich-Böll-Stiftung in Rio de Janeiro, wo er mit seiner Familie lebt.