6. Juli 2015, 10:24 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Während man in diesen Tagen in den Bäderorten Rügens lange ein ruhiges Plätzchen suchen muss, findet man das an den Stränden im Süden der Insel recht schnell. Doch der Südzipfel ist bei Touristen kaum bekannt. TRAVELBOOK über die Alternativen zu Binz & Co.
Die schmale Landstraße führt vorbei an Äckern und Kornfeldern. Plötzlich ist dann der kleine Hafen von Stahlbrode zu sehen. Von hier aus, gut 20 Kilometer von Stralsund entfernt, starten die Fährschiffe nach Glewitz. Schon nach zehn Minuten legen sie auf der Halbinsel Zudar an. Die meisten Urlauber kommen heute mit dem Auto über die Brücke auf Deutschlands größte Insel. Dabei ist es viel schöner, den Seewind schon auf der Fähre zu spüren.
Im Mittelalter kamen jedes Jahr Hunderte von Pilgern über den Strelasund ins gleichnamige Dorf Zudar, in den äußersten Süden Rügens. Das lag an St. Laurentius, einer Wallfahrtskirche mit einem Marienbild, von dem es hieß, es könne Wunder wirken. Nachdem 1372 etliche Wallfahrer bei der Überfahrt ertranken, waren sich viele da nicht mehr so sicher. Die Pilgerfahrten nahmen ein jähes Ende.
Die Kirche steht noch und direkt davor Susanne Falk. Sie ist in Ost-Berlin aufgewachsen. „Aber ich habe mich in Rügen verliebt”, sagt sie, „die Landschaft ist so traumhaft schön, die Steilküste, die riesigen Felder, die Buchenwälder.” Seit 15 Jahren arbeitet sie als Reiseführerin auf der Insel.
Spaziergänger auf Zudar laufen vorbei an Feldern mit Mais und Raps, neben denen Margeriten und Kornblumen blühen. Und auch die Strände sind einsam, anders als in Binz oder Sellin. Susanne Falk läuft voraus an den Strand von Grabow. Der Himmel ist blau, das Wasser glasklar. Zwei Schwäne lassen sich auf dem Wasser schaukeln.
Einer, der den Süden Rügens immer geliebt hat, war Fürst Wilhelm Malte (1783-1854). Er hat das nördlich von Zudar gelegene Putbus gegründet und zum Urlaubsort gemacht. Das Badehaus Goor im Ortsteil Lauterbach wurde 1818 in seinem Auftrag erbaut. Damals brachte man das Ostseewasser in Fässern dorthin, erwärmte es, füllte es in Wannen für die Badegäste. Heute ist das Badehaus Goor ein Wellness-Hotel.
Zum Hafen von Lauterbach sind es zu Fuß nur fünf Minuten. Von hier starten die Fahrten mit der Reederei Lenz zur Insel Vilm. Nach nur einer Viertelstunde Überfahrt ist der Inselhafen zu sehen. Andreas Kuhfuß von der Reederei Lenz wartet an Land auf die Passagiere. Alleine dürfen sie die knapp einen Quadratkilometer kleine Insel nicht erkunden. Vilm ist Teil des Biosphärenreservats Südost-Rügen. Mehr als 60 Besucher pro Tag sind nicht erlaubt. Der Süden der Insel ist komplett gesperrt.
Noch in den 1950ern kamen regelmäßig Touristen, 1959 auch Otto Grotewohl, Ministerpräsident der DDR. Er ließ anschließend mehrere Ferienhäuser für Minister der DDR-Regierung bauen. Bald darauf wurde die Insel für Otto-Normalbesucher gesperrt, und das blieb sie bis zur Wende.
Die Reetdachhäuser, in denen früher die Minister entspannten, stehen noch. „In Haus eins hat Walter Ulbricht gewohnt, in Haus zwei daneben Honecker”, sagt Kuhfuß. Genau gesagt das Ehepaar Honecker, denn Erich kam offiziell als Begleiter seiner Frau Margot.
Heute ist die Insel ein Naturreservat erster Güte. Mehr als 400 Pflanzenarten sind belegt, 65 Brutvogel- und sogar 48 Schneckenarten. An der Westseite lässt sich der seltene Eisvogel beobachten, seit 1996 sind Seeadler wieder auf Vilm heimisch. „Wir haben Steinmarder, Baummarder, eine Dachsfamilie, drei Füchse und 20 Rehe”, sagt Kuhfuß. Maulwürfe gibt es auch.
Und als Kuhfuß am höchsten Gipfel der Insel Halt macht, 30 Meter über dem Meeresspiegel, da schweben Dutzende von Seeschwalben direkt vor der Inselküste. Gegenüber ist Rügen gut zu erkennen – aber eigentlich möchte man jetzt gar nicht zurück.