19. Januar 2018, 13:23 Uhr | Lesezeit: 10 Minuten
Bei Joon tragen die Flugbegleiter Sneaker und der Quinoasalat ist bio. Die neue Tochter von Air France will vor allem die sogenannte Generation Y, die Millennials, ansprechen und setzt auf Streaming von Game of Thrones. TRAVELBOOK hat die Airline getestet, die auch Berlin mit Paris verbindet.
Das vor knalligen Farben und Emojis nur so platzende Millennial-Marketing, das sich mittlerweile durch sämtliche Wirtschaftszweige zieht, hat die Flugbranche erreicht. Mich interessiert das, weil ich selbst ein Millennial bin. Unserer Spezies wird allgemein nachgesagt, wir mögen es verspielt und bunt, brauchen einen WLAN-Zugang zum Atmen und interessieren uns vor allem für die Instagramversion unseres Selbst. Zusätzlich geht man davon aus, dass wir bei Produkt- und Serviceleistungen unsere eigene Bio-Extrawurst brauchen: Air France hat nun diesem Prinzip entsprechend mit „Joon“ die erste Millennial-Airline der Welt ins Leben gerufen: The „new generation travel experience“ will all unsere Wünsche erfüllen – und billiger sein als ihre Mutter Air France.
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Joon will eine Rooftopbar und eine Modemarke sein
Als ich an Bord meines ersten Joon-Flugs gehe, sind meine Erwartungen dementsprechend hoch: Nach der üppigen Werbekampagne, in der mir im Leitspruch „Joon: A fashion brand, a rooftop bar, a personal assistant, a tv channel on demand… and also an airline“ so ziemlich alles versprochen wurde, vermute ich eine Elektro-Kabinenmusik, vielleicht auch Schwarzlicht-Konfetti und smarte Touchscreens. Außerdem grüne Smoothies in Bambusbechern, die mir von gestylten Flugbegleitern mit freundlichem Understatement gereicht werden. Der Name der Airline, „Dschun“ ausgesprochen, soll laut der für die Fluggesellschaft verantwortlichen Marketingagentur sowohl an das englische Wort für den Monat Juni, June, als auch an das französische Wort jeune, zu Deutsch: jung, erinnern.
Die Kabine sieht allerdings ziemlich normal aus. Und die französische Musik, die aus den Lautsprechern dudelt, ist genauso antiquiert und aufzugstauglich wie in anderen Airlines auch.
Was kostet Joon und wohin fliegt die Airline?
Joon ist die erste Billigairline, die sich diesen Namen nicht geben will. Air-France-Chef Franck Terner lehnte diesen Begriff vor der Vereinigung der Luft- und Raumfahrtjournalisten AJPAE in Paris ab: „Wir wollen damit nicht Ryanair oder Easyjet Konkurrenz machen.“ Außerdem hätte Air France mit Transavia bereits eine Low-Cost-Airline, die nur innerhalb von Europa Ziele anfliegt. Die junge Zielgruppe sei entscheidend.
Tatsächlich hätte mein Flug mit Easyjet bedeutend weniger gekostet als mit Joon, war aber immer noch günstiger als der durchschnittliche Flug mit der Muttergesellschaft Air France.
Joon fliegt vom Pariser Flughafen Charles-de-Gaulle zunächst nur Ziele wie Berlin, Barcelona, Lissabon und Porto an. Ab Anfang Mai sollen jedoch auch Mahé auf den Seychellen (ein beliebter Ferienort bei den Franzosen) und Fortaleza in Brasilien dazukommen. Jean-Michel Mathieu, der Vorsitzende von Joon, hat auf einer Pressekonferenz im Dezember 2017 außerdem mitgeteilt, dass die Airline sich auch um USA-Flugrouten beworben hat. Innerhalb von Europa sollen auch noch Rom, Neapel und Oslo angeflogen werden, im orientalischen Raum Istanbul, Kairo, Teheran und in Südafrika schließlich Kapstadt. Die Ticketpreise für einen einfachen Kontinentalflug mit Handgepäck ab Paris beginnen bei 39 Euro, für einen einfachen Langstreckenflug bei 249 Euro.
Wo kann man Joon-Flüge buchen?
Tickets für Joon sind auf der Website von Air France oder in der Air-France-App erhältlich. Je nach Route werden die Joon-Verbindungen angezeigt. Wer von Deutschland mit Joon fliegen möchte, muss von Berlin aus starten – und eines der oben genannten Ziele wählen. Für eine Reise nach Porto werden dann zwei Varianten angeboten: mit KLM via Amsterdam oder eben mit Joon via Paris.
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Was macht Joon anders als andere Airlines?
Aushängeschild und zentrales Thema der Werbespots rund um Joon sind die vom französischen Label Cepovett entworfenen Uniformen des Bordpersonals. Die weibliche Crew hat die Wahl zwischen einem blauen T-Shirtkleid mit drei fetten, weißen Seemanns-Streifen oder einem Sweatshirt mit demselben Muster. Dazu schwarze schlichte Hosen und tatsächlich recht revolutionär – weiße Sneaker! Um dem französischen Patriotismus gerecht zu werden, natürlich nicht von Nike oder Adidas sondern von Le Coq Sportif. Die Männer tragen ein schlafanzugartiges Poloshirt-Oberteil und dürfen auch schwarze Schuhe anziehen.
Die Airline gibt auf ihrer Website an, dass sie eventuell eine eigene Modekollektion auf Basis dieser Outfits auf den Markt bringen möchte. Angeblich sind die Uniformen der Flugbegleiter vom Outfit des klassischen Millennial inspiriert. Bis auf die Turnschuhe finde ich das nicht besonders überzeugend. Der Style entspricht eher dem der 80er-Yuppies als dem der zeitgenössischen Bobos. Dagegen ziemlich cool: Die Klamotten sind zu 60 Prozent aus Polyester hergestellt, das aus Plastikflaschen recycelt wurde. Die Flugbegleiter selbst sind sehr „jeune“ und „sympathique“. Dafür werden sie wesentlich schlechter bezahlt als die Kollegen bei der Muttergesellschaft.
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Kostenloses WLAN und App
Joon will vor allem digitale Bedürfnisse befriedigen: An Bord hat jeder Sitzplatz eine USB-Aufladestation, das WLAN ist kostenfrei und das Angebot der App „YouJoon“ ebenfalls. Hier kann man Serien wie „Game of Thrones“ streamen, Radio hören und aus Musikalben zwischen Charts, Weltmusik und Indie wählen. Zusätzlich gibt es viele hippe Informationskanäle wie „Viceland“ und „Brut“, die etwas anspruchsvolleren Formate wie „Calidoscope“ und „NotaBene“ kann man leider nur auf Französisch genießen. Dafür sind aber zahlreiche Dokumentationen verfügbar. In der Business Class gibt es Brillen, um 3D-Filme ansehen zu können.
Einige Fauxpas in der App
Ein peinlicher Fauxpas des Angebots: Im Promotionsvideo der App über das Joon-Ziel Berlin werden Bilder vom Sony Center mit „Alexanderplatz“ untertitelt, die Französische Straße heißt „Alt-Berlin“, das Wahrzeichen der Hauptstadt schlicht „Brandenburger“ und das Holocaust-Mahnmal wird als Social-Media-Attraktion dargestellt, auf der sich Touristen gegenseitig die Selfiesticks in die Hände drücken. Im Kontrast zu der ansonsten ansprechenden Gestaltung der App wirkt das ziemlich unprofessionell.
Gibt es Snacks oder was zu trinken?
Ein Softgetränk bekommt jeder Passagier umsonst, dabei kann man aber nur zwischen normalem Tütensaft, Kaffee und Wasser wählen. Die hochwertigen Snacks und frischen Smoothies, die die Rooftopbar in ihrer Werbung verspricht, muss man bezahlen. Ein Mix aus Billigflieger und normaler Airline also.
Das Ökoprinzip, unter dem Joon seine Uniformen gestaltet hat, gilt offiziell auch fürs Essen. Das ist natürlich im Trend, aber auch teuer: Zu trinken werden Baobab-Saft, Smoothies (ein Fünftel davon bio), La-Parisienne-Bier und Bio-Wein angeboten, zum Essen gibt es ein Pain au chocolat mit Bio-Instant-Kaffee für 6 Euro als ziemlich kümmerliches Frühstück, die frischen Croissants werden nur in der Business Class serviert.
Für zwischendurch kann man einen Veggie-Thymian-Wrap für 6 Euro kaufen und als größeren Snack bekommt man Quinoasalat und Tapas aus Spanien angeboten. Der Wein ist aber natürlich immer noch aus Frankreich. Bei den Tapas schmeckt die getrocknete Tomatencreme eher nach Erdbeermarmelade, aber der Käse und die Oliven sind sehr lecker. Die Enttäuschung, dass immer noch mit stinknormalen Plastikbechern und Plastikverpackungen gearbeitet wird, überwiegt aber. Was soll daran nachhaltig sein?
Welche Flugzeuge kommen zum Einsatz? Wie viel Gepäck darf man mitnehmen?
Zunächst steuert Joon seine europäischen Ziele nur mit A320-Mittelstreckenflugzeugen von Airbus an, für die Fernstreckenverbindungen sollen zunächst A340-Modelle eingesetzt werden, ab 2019 auch die fortschrittlicheren A350-Maschinen.
Ein Handgepäckstück mit den Maßen 55 x 35 x 25 Zentimeter darf kostenlos mit an Bord, zusätzlich darf man eine Handtasche oder eine Laptoptasche oder eine kleine Sporttasche mitnehmen, solange alles zusammen nicht mehr als zwölf Kilogramm wiegt. Erstaunlicherweise wurden bei der Sicherheitskontrolle auch tatsächlich Leute aus der Schlange geholt, die bereits online eingecheckt hatten, um das vorgegebene Gewicht zu überprüfen. Man sollte sich also daran halten. In der Business Class darf das Handgepäck 18 Kilogramm wiegen.
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Wie ist der Sitzabstand, und kann ich die Sitze zurücklehnen?
Wesentlich bequemer als bei Ryanair oder Easyjet: Bei Joon kann man die Sitze zurücklehnen – was man aber auf Kurzstrecken eh nicht machen sollte. Dennoch ist der Platz wesentlich knapper bemessen als bei Air France: Große Menschen mit langen Beinen haben es schwer. Zu Beginn des Fluges fällt mir auf, dass einige Geschäftsleute ziemlich entsetzt auf die engen Sitzreihen starren. Viele blicken irritiert. Hat da vielleicht jemand gedacht, er fliegt besonders günstig mit Air France? Wenn man einen Joon-Flug bucht, wird der Name der neuen Airline nämlich immer noch klein gehalten. Air France steht groß darüber. Für Fans der als stilvoll und bequem geltenden Air France sieht es aber schlecht aus: Berlin und Barcelona sollen laut Terner künftig nur noch von Joon und nicht mehr von Air France angeflogen werden. Im Prinzip übernimmt Air France damit das Konzept von Lufthansa, die auf vielen Strecken ebenfalls nur noch Germanwings oder Eurowings fliegen lässt.
Keine Extravaganzen Für Flugbegleiter(innen) gilt ein strenger Dresscode
Hin- und Rückflug schon für 335 Euro Billigflieger Scoot fliegt von Deutschland nach Singapur
Keine Gratis-Snacks mehr bei Eurowings Bei welchen europäischen Airlines gibt es noch kostenloses Essen?
Fazit
Joon kann am Ende nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie in Wahrheit eine etwas bessere Billiglinie ist, die Air France Kosten sparen und sie wieder in den Wettbewerb mit Lufthansa und Co. bringen soll. Das prägnantestes Merkmal für eine Low-Cost-Airline ist der Mangel an Komfort: Auch der ist bei Joon leider vorhanden. Ebenso ist das Essen nicht umsonst, wobei es auf den kommenden Langstreckenflügen aber eine Bordverpflegung inklusive geben soll. Dennoch kann ich mich als junger Mensch durchaus damit identifizieren, dass die Flugbegleiterinnen sich nicht mehr in Pumps zwängen müssen, dass das WLAN umsonst ist und ich mein Handy – wie bei vielen anderen Airlines mittlerweile auch – aufladen kann. Die kostenfreie App bietet für einen Unter-Zwei-Stunden-Flug auf jeden Fall Unterhaltung im Überfluss. Trotzdem hat man das Gefühl, dass sowohl das Design als auch das Nachhaltigkeit-Konzept nicht wirklich zu Ende umgesetzt wurden. Stattdessen wurde immer auf halber Strecke halt gemacht.