9. März 2016, 16:40 Uhr | Lesezeit: 3 Minuten
In Tokio ist man erfinderisch, wenn es um Freizeitangebote geht – niemand soll sich in der 9-Millionen-Einwohner-Metropole langweilen oder einsam fühlen müssen. So gibt es mehr und mehr Agenturen, die Freunde vermieten. Auch Touristen könnten den Service nutzen, um die Stadt mit einem „Vertrauten“ als Tour-Guide zu erkunden. Wie das funktioniert.
Wenn man in Tokio durch die vollgestopften Straßen läuft und zwei junge Frauen miteinander quatschen sieht, muss es sich nicht unbedingt um langjährige Freundinnen handeln. Vielleicht hat die eine die andere für ihre Gesellschaft bezahlt…
Freundschaft zum Kaufen
Ob für eine regelmäßige Verbindung, die Dauer eines Dinners, als Plus-eins auf einem Fest oder als Familienmitglied – in Tokio kann man seit einer Weile Freunde und andere Weggefährten mieten. Es sind Schauspieler, die über Agenturen an gesellschaftshungrige Kunden vermittelt werden. Wenn es sein soll, halten sie als scheinbarer bester Kindheitsfreund eine rührende Rede auf der Geburtstagsparty, lauschen den Klagen über einen harten Arbeitstag oder machen mit einem planlosen Touristen die Stadt unsicher.
Kein Wunder, dass es hier so etwas gibt, denken wahrscheinlich nun einige. Tokio gilt nicht grundlos als eine der verrücktesten Städte der Welt. Dank Manga-Partys, einem mega-wilden Nachtleben und absurden Gaststätten – wie Ken Shimizus Kot-Curry-Restaurant – zeichnet sich die Großstadt vor allem durch ein vielseitiges Freizeitangebot aus. Doch sind die grellen Lichter irgendwann erloschen, fühlen sich viele Menschen hier einsam.
Deshalb ist die Nachfrage so groß
Die Idee zu Freunde-Vermietungen war eigentlich eine Reaktion auf die hohe Anzahl an Singles, die in der Großstadt leben. In einer Mega-Metropole, in der das Kinderkriegen oft das Ende der Karriere bedeutet, sieht es auf dem Heiratsmarkt eher schlecht aus. Spätestens ab 30 wird der Druck, sich endlich zu binden, vom familiären Umfeld gefördert – verständlich, dass man sich dann lieber einen falschen Verlobten bucht und so etwas Ruhe verschafft. Aber auch andere menschliche Bedürfnisse befriedigen die Agenturen, von denen in den vergangenen Jahren mehr und mehr eröffnet haben. In Zeiten von Social Media, in denen die Anzahl der digital verbundenen Freunde für manche eine hohe Bedeutung hat, zahlen Kunden gerne eine gewisse Gage für fröhliche Instagram-Fotos, die ein munteres Sozial-Leben zeigen.
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Gesellschaft in der fremden Stadt
Auf dem US-Portal „Afar“ erzählt Kolumnist Chris Colin von seiner holprigen Ankunft in Tokio – verschwitzt, gehetzt und komplett überfordert mit Straßenschildern oder Menükarten – und seiner ersten Begegnung mit Miyabi (27). Er hat sie über die Agentur Client Partners gebucht und beim Mittagessen über den Job befragt, den sie seit nunmehr fünf Jahren ausübt. Myabi hat schon viele Rollen verkörpert: war Trauergast auf Beerdigungen, zum Stimmungmachen auf Hochzeiten und die gute Schulfreundin eines Mädchens, dessen Eltern besorgt sich besorgt um ihr Sozialleben gezeigt hatten.
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Die Jobanforderungen, wie Miyabi erklärt, überschreiten kaum das Beherrschen typischer Freundschaftsdienste. Gemeinsames Essen, ausgedehntes Spazierengehen und dem Gegenüber das Gefühl geben, ihm zuzuhören. Regelmäßigkeit ist in diesem Arbeitsalltag Fehlanzeige – der Angestellte hat wöchentlich im Schnitt 15 Jobs, die immer anders aussehen. Eines steht jedenfalls fest: Ausziehen oder Anfassen ist kein Bestandteil des Service. Für die zwei Stunden, die Chris Colins mit Miyabi verbracht hat, zahlt er ihr umgerechnet etwa 105 Euro, abzüglich eines gewissen Anteils für die Agentur.
Übrigens: Natürlich wird in Tokio auch allen geholfen, die sich physisch einsam fühlen. In den vergangenen Jahren haben hier etliche Kuschelcafés eröffnet, in denen Gäste einen warmen Körper zum Schmusen finden…