12. Dezember 2019, 11:19 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Helga Heidrich (74) wohnt etwa 30 Kilometer vor den Toren Marrakeschs, wo sie sich mit ihrer Tierschutz-Organisation „SOS Animaux“ liebevoll um insgesamt mehr als 200 Hunde, Katzen, Esel, Vögel und Affen kümmert. Ganz nebenbei lebt die Deutsche hier ihren Auswanderer-Traum.
Schweini baggert ein bisschen an Steffi Graf. Tina Turner steht daneben, guckt bedröppelt zu. Glauben Sie nicht? Stimmt aber. Auf dem Gnadenhof für Tiere von Helga Heidrich vor den Toren von Marrakesch in Marokko leben neben Schweini, Steffi Graf und Tina Turner noch etwa 115 andere Hunde. Dazu knapp 30 Esel und Maultiere, zwei Dromedare, eine riesige Schildkröte, 15 kleinere, dazu Papagaien und andere Vögel, etwa 40 Katzen und sogar fünf Berber-Affen.
Klingt stressig? Ist es auch. Aber für Heidrich ist es die Erfüllung eines großen Auswanderer-Traums. Denn „Madame Helga“, wie sie hier knapp 30 Kilometer außerhalb von Marrakesch genannt wird, lebt schon seit Mitte der Achzigerjahre nicht mehr in Deutschland. Zusammen mit ihrem Sohn hat sie eines Tages ihre Sachen gepackt und ist erst mal nach Tunesien gezogen. Warum sie damals Deutschland verlassen hat? „Was soll ich denn in Deutschland? Da ist es doch viel zu kalt, besonders im Winter“, sagt sie TRAVELBOOK.
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So kam Helga von Deutschland nach Marokko
Nach sechs Monaten in Tunesien ging es über Italien weiter nach Süd-Spanien, um dann anschließend nach Marokko zu ziehen. Immer mit dabei: ihr Sohn und drei ihrer Hunde aus Deutschland. Geld hatte sie nicht angespart, mehr oder weniger spontan brach sie damals auf. Und ist bis heute nicht zurückgekehrt.
Ihre erste Station in Marokko: Tanger im Norden des Landes. Später zog es sie dann nach Marrakesch. Erst wohnte „Madame Helga“ mit ihrem mittlerweile erwachsenen Sohn und den Hunden in einem Haus in der Stadt, dann aber ging es raus aufs Land. Sie mietete ein Stück Land bzw.: einen „Acker“, wie sie es selbst beschreibt. Zu dem Zeitpunkt hatte sie schon so viele Hunde, Esel und Katzen von den Straßen der Stadt gerettet, dass sie die Tiere nicht mehr in ihrem Haus halten konnte. Wöchentlich kamen weitere dazu. Als dann sogar die 2,5 Hektar des Ackers zu klein waren, zog sie um auf ein größeres Grundstück.
Die Tierliebe begann schon im Kindesalter
Noch heute lebt Helga Heidrich auf dem großen „Acker“, auf knapp 7,5 Hektar. Sie wohnt alleine dort, ihr Sohn ist mit seiner Familie in eine Wohnung in die Stadt gezogen. Jeden Tag macht er sich auf den Weg und schaut auf dem Acker nach dem Rechten, wo sich „Madame Helga“ um ihre Tiere kümmert. Eine Rückkehr nach Deutschland? Unvorstellbar für sie! Mittlerweile hat sie zwei Vereine gegründet, die Tieren helfen. Einer davon heißt „SOS Animaux“.
Helgas unvergleichliche Tierliebe wurde ihr in die Wiege gelegt. Als sie in Deutschland noch in die Grundschule ging, sollte dort einmal ein Mini-Zoo aufgelöst werden und Platz machen für Fahrradständer. Klarer Fall für Helga, die einfach alle Tiere mit nach Hause nahm, damit denen nichts passiert. „Die Tiere wären sonst weggekommen, deshalb habe ich die mitgebracht.“ Ihre Mutter war damals, Mitte der 1950er-Jahre, nicht wirklich begeistert.
Helga legte sogar einen Zirkus lahm
Außerdem ließ Heidrich sogar mal einen Zirkus hochgehen. Auch das liegt schon Jahre zurück, damals, als sie noch in Deutschland war. Der Zirkus quälte seine Tiere – das konnte Helga nicht mit ansehen. Sie schaltete die Medien und auch die Polizei ein. Mit Erfolg: Der Zirkus wurde aufgelöst, Tiere und auch Helga waren glücklich.
Heute lebt sie weiter ihren Traum, Tieren zu helfen – jeden Tag. Helga zu TRAVELBOOK: „Von sieben bis sieben Uhr arbeite ich, zwölf Stunden am Tag. Das reicht. Mehr geht nicht.“ Dabei hat sie es nicht leicht in dem arabischen Land, als blonde Frau aus dem Ausland. Immer wieder werden ihr Steine in den Weg gelegt, sie muss viel mehr Hürden überwinden als ein Einheimischer oder ein männlicher Auswanderer. Es hilft natürlich sehr, dass sie mittlerweile fließend Französisch und auch Arabisch spricht. Trotzdem: Auf die Baugenehmigung für ihr aktuelles Grundstück beispielsweise hat Helga fast zehn Jahre warten müssen.
Ein weiteres Problem: Die meisten Marokkaner scheinen Tiere nicht zu mögen. Esel sind nicht mehr als Arbeitstiere, Hunde und Katzen werden oft wie Dreck behandelt. „Ich verstehe Menschen nicht, die so mit Tieren umgehen“, sagt Helga.
Irre Szene mitten im Kreisverkehr
Wer Helga durch Marrakesch begleitet, erlebt so manche skurrile Situation. In einem hektischen Kreisverkehr mitten in Marrakesch treibt ein Mann seinen vor den Karren gespannten Esel mit heftigen Peitschenhieben an. Helga sieht die Szene, rastet schon im Auto aus. „Ey, du spinnst wohl. Hör auf, das arme Tier zu schlagen“, flucht sie auf Deutsch. Plötzlich reicht es ihr. Sie bleibt mitten auf der Straße stehen, steigt aus und stürmt auf den Esels-Karren zu. Das ohrenbetäubende Hup-Konzert interessiert sie überhaupt nicht. Mit in der Luft wedelnden Armen schreit sie den Typen an, der überhaupt nicht weiß, wie ihm geschieht. Auf Arabisch beschimpft sie ihn, er solle den Esel gefälligst nicht schlagen. Schließlich schlage sie ihn, den Typen, ja auch nicht. Kleinlaut macht er sich aus dem Staub – zumindest soweit ich das beobachten konnte, hat er den Esel nicht wieder geschlagen.
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Aber nicht allen Tieren in der Gegend ergeht es so. Jeder einzelne Hund, jede Katze und jeder Esel, der auf dem Gnadenhof von „Madame Helga“ landet, hat seine eigene Geschichte. Die sind allerdings kein Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Im Gegenteil. Die meisten Tiere haben sehr gelitten, einige leiden noch immer. Viele sind blind oder taub, einigen fehlt ein Bein, andere wurden so misshandelt, dass sie sich nur langsam an Menschen oder andere Tiere gewöhnen. Aber alle haben eines gemeinsam: ihren Schutzengel Helga Heidrich, der sich rührend um sie kümmert.
Spenden helfen
Geld hat sie – wie damals, zu Beginn ihres Abenteuers – immer noch nicht angehäuft. Hat sie mal etwas über, wird gleich ein neues Gehege gebaut, oder sie kann mal eine Tour machen, um notleidende Tiere von weiter weg einzusammeln. Ihr Gnadenhof finanziert sich ausschließlich über Spenden. 100 Prozent der Zahlungen gehen an die Tiere.
Wer helfen will, kann sich auf der Seite „SOS Animaux“ über die Möglichkeiten informieren.