19. Juli 2017, 7:14 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Mit einem alten Mitsubishi Pajero fuhr der Surfer Carlo Drechsel 18 Monate lang durch ganz Afrika, immer auf der Suche nach der perfekten Welle. Er fand aber noch viel mehr: Einen ganzen Kontinent voller wunderbarer Menschen, Abenteuer – und manchmal auch Gefahren. TRAVELBOOK hat ihn interviewt.
18 Monate reiste er in Afrika umher, fuhr mit seinem alten Jeep Baujahr 1991 insgesamt 60.000 Kilometer und besuchte dabei 25 Länder – der Darmstädter Carlo Drechsel hat sich mit seiner irren Reise einen Lebenstraum erfüllt. Er lebte in Burkina Faso mit Rebellen, die er über das Portal Couchsurfing kennengelernt hatte, surfte in Nigeria eine Welle, in der Leichen trieben, und wurde in Mali Namenspate für ein neugeborenes Kind. Was er sonst noch so erlebt hat auf seiner Odyssee durch Afrika, verrät er hier:
TRAVELBOOK: Wie kamst du denn auf die Idee zu deiner außergewöhnlichen Reise, und wie lange hat es gedauert, sie umzusetzen?
Carlo Drechsel: „Als Surfer und Abenteurer habe ich mir einfach die Weltkarte angeschaut und bin dann an Afrika hängengeblieben. Es ist geografisch perfekt gelegen und bietet die letzten Küsten der Welt, die noch nicht vom Surftourismus heimgesucht wurden. Ich fuhr also mit dem Finger die Westküste entlang und träumte davon, alleine und in atemberaubender Natur perfekte Wellen zu surfen. Dafür fing ich dann an zu sparen, arbeitete unter anderem als Messe- und Bühnenbauer, Barmann, Surflehrer und Regenrinnen-Reiniger. Das Geld hat dann gerade so für einen altersschwachen Mitsubishi Pajero gereicht – meine Suche nach einem mutigen Mitreisenden blieb aber leider erfolglos.“
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Gab es bei dir oder in deinem Umfeld keine Bedenken bezüglich deiner Pläne? So eine Reise ist ja doch alles andere als alltäglich…
„Die größte Herausforderung bestand sicher darin, letztlich aufzubrechen und mich loszureißen von all denen, die mich aufhalten wollten, mich entweder belächelten, Angst um mich hatten oder sogar fest davon überzeugt waren, dass ich aus der Nummer niemals lebend rauskommen würde. Zur Zeit meines Aufbruchs herrschte dann ja auch in Sierra Leone, Guinea und Liberia die Ebola, in Burkina Faso gab es eine Revolution, und in Mali verschlimmerte sich der Bürgerkrieg. Auf was ich mich da einlassen wollte, erschien also erstmal wie eine Mission Impossible.“
Eine solche Reise hinterlässt sicher zahlreiche unvergessliche Eindrücke – gibt es welche, die du mit unseren Lesern teilen möchtest?
„Überrascht und begeistert war ich vor allem von Mali, obwohl es hier gar keine Wellen gibt. Das Pays Dogon dort ist für mich der vielleicht magischste Ort der Welt, und hier wurde sogar ein Kind nach mir benannt – mein Guide Issa taufte seinen neugeborenen Sohn Carlo, weil ich an diesem Tag mit ihm gemeinsam auf einer Reise in ein kleines Dorf war, wo die Menschen leben wie vor 2000 Jahren. Beeindruckt war ich auch von der Balais Citoyen, einer Gruppe politischer Aktivisten in Burkina Faso, die maßgeblich für die Revolution in dem Land verantwortlich waren. Ihr Mut und ihre Aufrichtigkeit haben mich sehr inspiriert – ich hatte ein Mitglied übrigens über Couchsurfing kennengelernt und wohnte dann fast zwei Wochen in einem Armenviertel, das fast nur aus illegalen Häusern bestand. Ständig lag Rauch in der Luft, weil direkt neben dem Viertel riesige Müllverbrennungsanlagen waren. Total verrückt waren auch meine Tage in Lagos City, der früheren Hauptstadt von Nigeria. Ein paar der besten Wellen in ganz Afrika gibt es dort im Hafen, nur treiben im Wasser immer wieder Leichen. Meiner Meinung nach ist Laos die wahnsinnigste Stadt der Welt.“
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Gab es denn auch Rückschläge und negative Erlebnisse?
„Wirklich schlimm war der Tod eines Reisenden, der in Nigeria erschossen wurde – nur wenige Wochen zuvor hatte ich ihn kennengelernt, wir hatten sogar eine gemeinsame Weiterreise erwogen. In Uganda musste ich dann nach 18 Monaten und 60.000 zurückgelegten Kilometern meine Reise wegen eines Virus direkt aus der Hölle beenden. Zehn Tage lag ich in einem armen Vorort von Kampala bei einer Couchsurferin in der Ecke und hatte Halluzinationen, Schüttelfrost und extreme Gliederschmerzen. Ich war wirklich froh, am Ende noch am Leben zu sein. Zudem stand meine Reise schon vorher immer wieder kurz vor dem Aus, weil ich benötigte Visa nicht ausgestellt bekam – am Ende half mir dann aber mal ein deutscher Botschafter, mal ein Bekannter, vielleicht hatte ich auch einen Schutzengel.“
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Was hast du auf deiner Reise über Afrika und über dich selbst gelernt?
„Ich habe gelernt, mehr an mich selbst zu glauben, und dass viel mehr möglich ist, als wir denken. Auch wenn es nur eine Reise von A nach B war, hatten ja viele große Zweifel an dem Unterfangen. Mir meinen Traum zu erfüllen, an den viele nicht glaubten, hat mir in vielerlei Hinsicht die Augen geöffnet. Grundlegend hat sich auch keines der Klischees bestätigt, die immer über Afrika verbreitet werden. Doch leider scheint der Mensch immer geil auf Gewalt und Drama zu sein, wenn es um Afrika geht. Ein Artikel über die Schönheit Havannas und die dortige Tanzkultur wird wohl immer mehr Leser finden als ein gleichwertiger Bericht über das pulsierende Nachtleben Kinshasas. Kongo bleibt das Herz der Finsternis, dieses Bild wollen wir doch bitte bestätigt bekommen. Die einzelnen Länder sind aber so vielfältig und unterschiedlich, dass allgemeine Afrika-Klischees sowieso grundlegend falsch sind. Das Wichtigste beim Alleinreisen ist es, positiv zu bleiben und auf seine Intuition zu hören. Der richtigen Person zu vertrauen, kann die Offenbarung deines Lebens sein, der falschen das Ende.“