Wirklich einladend wirkt die 120 Jahre alte Villa am Stadtrand von Napanoch, einem Ort mit rund 1200 Einwohnern im Bundesstaat New York, nicht: Das Holz ist verwittert, und die Farbe blättert mehr und mehr ab. Dennoch stehen hier fast jedes Wochenende junge und alte Menschen vor der Tür, ausgerüstet mit Mikrofonen, Infrarotkameras und einer anständigen Portion Beruhigungstabletten: Wer hier die Nacht verbringen will, muss mindestens 16 Jahre alt sein – und eine Erklärung unterschreiben, die bestätigt, dass man weiß, worauf man sich einlässt. Denn im Shanley Hotel soll es spuken. Die Villa zählt zu den berühmtesten und angeblich aktivsten Geisterhäusern an der Ostküste der USA.
Ein Sommerhaus für Stars – und dann ein Bordell
In den Zimmern des Hotels kleben goldfarbene Blumentapeten. Zwischen Himmelbetten, Samtvorhängen, eisig lächelnden Porzellanpuppen und anderem schäbig-kitschigem Dekor scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Hier sollen über zwei Dutzend Phantome ihr Unwesen treiben. Entsprechend sind die Gäste: Die Kundschaft besteht vorwiegend aus Paranormalitätsforschern, Geisterjägern und Gruseltouristen. Sie hoffen, die Seelen der Verstorbenen auf Camcordern und iPhones einfangen zu können.
Auf Tripadvisor gibt es einige Berichte und (teilweise doch recht schlecht gefälschte) Beweisfotos von schemenhaften Gestalten und von vermeintlich sich selbst bewegenden Gegenständen. Teils sind die Personenbeschreibungen der Geister sehr genau: Eine Tripadvisor-Userin berichtet von „einer großen, schwebenden Frau in einem blauen, viktorianischen Kleid und mit einer eleganten Hochsteckfrisur“. Doch wer sind diese Geister?
Die Tragödie der Shanleys
Die Geschichte des Hotels beginnt im Jahr 1895. Nachdem es Jahre lang ein Sommerresort für gestresste East-Coast-Magnaten war und sich dann zu einem reinen Herrenhaus inklusive Bar und Bordell entwickelte, kaufte es 1906 der Ire James Louis Shanley und bezog es mit seiner Frau Beatrice, um den guten Ruf des Hotels wiederherzustellen. Das Paar war in der Nachbarschaft sehr beliebt, brachte es doch Glamour und Prominenz in das unscheinbare Dorf: Zu den Stammgästen der Shanleys gehörten so zum Beispiel die damalige First Lady Eleanor Roosevelt und der berühmte US-Erfinder Thomas Edison.
Doch bei all dem Glanz und Erfolg, den die Shanleys auch hatten – bald wurden sie vom Unglück verfolgt. Alle drei Kinder, die Beatrice gebar, starben, bevor sie ein Jahr alt waren. In einem anliegenden Apartment zum Hotel lebte Esther, die Schwester von Shanley, mit ihrem Ehemann. Sie hatten zwei kleine Töchter, doch Esther starb jung an den Folgen einer schweren Grippe. Die Halbwaisen wurden fortan von den Shanleys erzogen und lebten mit ihnen in der Villa.
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Doch es dauerte nicht lang, bis sich die nächste Tragödie ereignete: Rosie, die Tochter des Barbiers, der einen eigenen kleinen Salon für Gäste in dem Shanley Hotel betrieb, war vier Jahre alt, als sie den alten Brunnen auf dem Grundstück des Hotels entdeckte: Sie kletterte hinein und ertrank. 1937 schließlich starb James Shanley selbst an einem Herzinfarkt, kurz nach seinem Bruder Andrew. 1944 verkaufte James‘ Frau Beatrice schließlich das unheilvolle Haus und zog nach New York City.
Weinen, Pfeifen und Wehklagen
Heute sollen all diejenigen, die in Shanley oder auf dem Grundstück starben, das Haus heimsuchen. Zu den am häufigsten beobachteten Phänomenen gehören laut den aktuellen Inhabern des Hotels das ständige Öffnen und Schließen von Schranktüren, Fensterläden und Zimmertüren. Zudem berichten Gäste davon, dass ihnen wie von Geisterhand an den Haaren oder Klamotten gezogen wurde. Auch das Wehklagen einer Frau und plötzliche Anfälle von Übelkeit in bestimmten Bereichen des Hauses gehören zu den vermeintlich übernatürlichen Phänomenen.
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Besucher berichten ferner von Kinderlachen in den langen Fluren und verwinkelten Erkern von Shanley, und der Geist von James Shanley soll gerne pfeifend von einem Zimmer zum nächsten ziehen.
Große paranormale Aktivität
Im Laufe der Jahre sollen sich noch viele andere Gespenster zu denen gesellt haben, die bereits dort ihr Unwesen treiben. Anna, zum Beispiel: eine Prostituierte, die zu der Zeit, in der das Hotel ein Freudenhaus war, dort gelebt haben soll. Oder Oscar, der Pianist der zum Bordell gehörenden Bar. Viele Gäste berichten, ihn immer noch wild spielen hören zu können.
Heute gehört das Haus der Familie Nicosia, die das Shanley Hotel mittlerweile in der dritten Generation als Gruselpension betreibt und deswegen natürlich auch ein gesteigertes Interesse daran hat, dass sich die Gespenstergeschichten weitererzählt werden.
Zumindest bei Geisterjägern und Hobby-Spiritualisten ist die Spuk-PR aber kaum nötig: Glaubt man den selbsternannten Profis, dann zählt das Shanley Hotel zu den Häusern an der US-Ostküste mit der größten paranormalen Aktivität.
Und ob man nun zu denen gehört, die an solche Phänomene glauben oder nicht: Richtig einladend wirkt das Hotel von außen nicht – was zumindest in puncto Grusel durchaus seinen Zweck erfüllt.
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