30. Juli 2022, 7:32 Uhr | Lesezeit: 13 Minuten
TRAVELBOOK-Autorin Nicola Otto ist drei Wochen lang auf dem über 1000 Jahre alten Jakobsweg gepilgert. Bei TRAVELBOOK verrät sie, wie sie das durchgestanden hat – und was sie beim nächsten Mal anders machen würde.
Übersicht
- 1. Die richtige Route auf dem Jakobsweg
- 2. Einen Pilgerpass für den Jakobsweg beantragen
- 3. Der beste Zeitpunkt für die Pilgerung auf dem Jakobsweg
- Das aktuelle Wetter in Santiago de Compostela
- 4. Nicht zu sehr warmlaufen
- 5. Mental auf den Jakobsweg einstellen
- 6. Richtig packen für den Jakobsweg
- 7. Trotz Schmerzen: Weiterwandern!
- 8. Vergessen Sie Landkarten und Navis
- 9. Auch mal am Stock gehen
- 10. Immer an die Motivation denken
- 11. Offen sein und vertrauen
- 12. Selbstverpflegung ist nicht immer notwendig
- 13. Meiden Sie auf dem Jakobsweg Gemeinschaftsherbergen
- 14. Nicht am Wettlauf teilnehmen
- 15. Nicht vom Ende des Jakobsweg enttäuscht sein!
- 16. Und jetzt: Gehen Sie bis ans Ende der Welt!
Spätestens nach Hape Kerkelings Buch „Ich bin dann mal weg. Meine Reise auf dem Jakobsweg“ ist der Run auf den Camino de Santiago bei den Deutschen ungebrochen. Doch durch das Buch weiß man auch, welche Qualen und Entbehrungen dieser Fußmarsch bis Santiago de Compostela bedeutet. Damit sie die Wanderung gut überstehen, hat TRAVELBOOK 16 wertvolle Tipps für eine Wanderung auf dem Jakobsweg.
1. Die richtige Route auf dem Jakobsweg
Viele Wege führen zum Grab des Apostels Jakobus. Nur den einen Weg gibt es gar nicht. Letztendlich ist es schon der Jakobsweg, wenn man aus dem eigenen Haus tritt und das Ziel Santiago de Compostela ist. Wichtige Routen haben sich allerdings im Laufe der letzten Jahrhunderte etabliert: Zum Beispiel der „Camino Primitivo“ an der Nordküste Spaniens und der „Camino de Português“ durch Portugal. Wenn man von dem Jakobsweg spricht, ist aber meistens der „Camino Francés“ gemeint.
Es ist der bekannteste Weg, der von Saint-Jean-Pied-de-Port in den französischen Pyrenäen nach Santiago de Compostela im Westen Spaniens führt. Knapp 800 Kilometer und über etwa 32 Tagesetappen führt er durch die unterschiedlichsten Vegetationslandschaften der spanischen Regionen: Navarra, Rioja, Nord-Kastilien und Galizien. Für diesen langen Wanderweg braucht man natürlich ausreichend Zeit. Die hatte ich nicht, und so entschloss ich mich damals gemeinsam mit zwei Freundinnen zu einer dreiwöchigen Reise: 330 Kilometer wollten wir gehen, von Léon bis Santiago.
Tipp für Jakobsweg-Neulinge: In der Hauptsaison (August, September) kann es auf dem „Camino Francés“ relativ voll werden. Eine Alternative ist der portugiesische Weg für Jakobspilger. Der „Caminho Português“ hat zwei Vorteile: Erstens ist er nicht überlaufen, zweitens gilt er als die leichteste Variante aller Jakobswege. Der ideale Einstieg für weniger erfahrene Pilger! Die Route beginnt eigentlich in Lissabon. Wer nur eine Woche Zeit hat, startet an der portugiesisch-spanischen Grenze im Städtchen Tui. Die 115 Kilometer lange Strecke durch Galicien kann man locker in fünf Tagen schaffen.
2. Einen Pilgerpass für den Jakobsweg beantragen
Bevor es überhaupt losgehen kann, muss man den sogenannten Pilgerpass, oder auch Pilgerbrief bzw. Pilgerausweis, (Credencial) beantragen, in den die Stempel der jeweiligen Herbergen und Etappen gesammelt werden (zum Beispiel bei der Fränkischen St. Jakobus-Gesellschaft Würzburg). So weist man sich letztlich in den Unterkünften als Pilger aus und ist berechtigt, in der jeweiligen Pilgerherberge (Refugio) zu nächtigen. Deren Preise variieren je nach Lage und Ausstattung von 5 bis 15 Euro – in einigen wenigen reicht aber auch schon eine Spende. Am Ende des Jakobswegs dient der Pass außerdem dazu, die Urkunde (Compostela) ausgehändigt zu bekommen. Zur Ausstellung sind neben Name und Adresse auch Pass- oder Personalausweisnummer und genaue Angaben zur Art der Pilgerreise nötig. Der Weg kann nämlich nicht nur zu Fuß, sondern auch zu Pferd oder auf dem Fahrrad bestritten werden.
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3. Der beste Zeitpunkt für die Pilgerung auf dem Jakobsweg
Dieser ist natürlich nicht im heißen Sommer. Am ehesten eignet sich der Frühling oder Herbst, denn im Sommer sind zum einen die Hitze und auch die Touristenströme ein großes Hindernis. Achtung ist an religiösen Feiertagen geboten: Die Osterzeit bietet zwar mildes, angenehmes Klima, aber es werden dann auch immer Tausende religiöse Pilger erwartet. Nicht selten muss man selbst in der Nebensaison in der Dunkelheit loslaufen, um abends noch einen Platz in den Herbergen der nächsten Raststation ergattern zu können.
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Das aktuelle Wetter in Santiago de Compostela
4. Nicht zu sehr warmlaufen
Vorbereitung ist gut, aber auch nicht immer alles. Mit einem etwa sieben Kilogramm schweren Rucksack machte ich mich im September 2011 auf den Weg. Oft habe ich vorher in Ratgebern gelesen, dass die Schuhe am besten eingelaufen sein sollten. Ich habe allerdings schnell bemerkt, dass man es auch nicht übertreiben darf – so kann mal schnell den Mut für sein Vorhaben verlieren. Maß ist geboten: Ich bin damals ein paar Wochen vorher zur Probe etwa 26 Kilometer gewandert und konnte mich danach drei Tage lang nicht mehr bewegen – das macht nicht unbedingt Lust auf mehr.
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5. Mental auf den Jakobsweg einstellen
Man sollte sich vor der Reise unbedingt mental auf einige Dinge vorbereiten: Zum Beispiel verzichtet man größtenteils auf alltäglichen Luxus. Warmes Wasser ist nicht immer garantiert und auch weiche Federkissen gehören selten zur Ausstattung der Herbergen. Morgendliche Körperpflege- und Schmink-Arien sind unnötig, denn man schwitzt den ganzen Tag. Auf die Schmerzen sollte man sich auch seelisch vorbereiten: Müde Beine, Rückenschmerzen und angeschwollene Füße sind alltäglich.
6. Richtig packen für den Jakobsweg
Ratsam ist generell das Tragen von Funktionswäsche. Nehmen Sie außerdem am besten nur eine Hose und zwei T-Shirts mit. Dicke Tennissocken sollte man lieber Zuhause lassen und stattdessen auf spezielle Trekking-Socken setzen. Um Hautentzündungen an den Fußfesseln zu vermeiden, immer darauf achten, dass diese nicht zu fest sitzen. In den Pausen immer mal Luft an die Füße lassen. Ein Satz Freizeit- sowie Schlafkleidung für die Abende reicht vollkommen aus.
Ein Hut gegen die starke Sonne sowie eine Regenjacke für schlechtes Wetter darf man auch nicht Zuhause lassen. Als treue und nützliche Wegbegleiter haben sich ebenso ein Thermobeutel für kühle Wasserflaschen und schnell trocknende und saugstarke Funktions-Handtücher aus Mikrofaser erwiesen. Da die meisten Herbergen Wäscheleinen und Waschplätze anbieten, gehört eine Tube Waschmittel ins Gepäck. Manchmal gibt es auch Waschmaschinen oder sogar einen Wäschetrockner. Hier kann man dann auch mal den Schlafsack vor der Nacht frisch waschen und trocknen – was ein wahrer Segen ist.
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7. Trotz Schmerzen: Weiterwandern!
Erst auf dem Jakobsweg selbst entdeckte ich den Schlüssel gegen die Schmerzen: einfach weiter wandern! Egal, wie sehr die Füße, Gelenke und der Rücken schmerzen, man muss sich am nächsten Morgen wieder bewegen und das tut erstaunlicherweise auch gut. Schon nach der ersten Stunde am Morgen waren die Schmerzen meist vergessen – abgesehen von ein paar unvermeidlichen Blasen an den Füßen. Deshalb muss man unbedingt hochwertige Blasenpflaster einpacken.
8. Vergessen Sie Landkarten und Navis
Genießen Sie ein Stück Abenteuer! Manche Pilger waren mit modernen Navigationssystemen und High-Tech-Ausrüstung unterwegs – das brauchen Sie nicht. Höchstens eine Landkarte, denn so wissen Sie, wie weit der nächste Ort entfernt ist und können einschätzen, wie weit Sie Ihre Füße noch tragen. Ansonsten folgen Sie einfach immer der Jakobsmuschel! Sie kommt in allen Formen und Farben vor und weist den Pilgern allerorts den Weg zum Ziel. Ob an Hauswänden, Formationen aus Steinen mitten auf dem Wanderpfad oder auf Meilensteinen: Sie ist überall und kaum zu übersehen. Abenteuerlustige würden vermutlich sogar ohne Wegweiser nicht vom Pfad abkommen. Taucht sie ohne Pfeil auf, weist sie sogar selbst die richtige Richtung.
9. Auch mal am Stock gehen
Ab einem bestimmten Punkt geht es ohne Wanderstock nicht mehr. Vor allem abwärts entlastet er die Knie ungemein. Auch professionelle Trekkingstöcke können einen in den richtigen Laufrhythmus bringen. In Wäldern bietet es sich an, auf eigene Faust nach Wanderstöcken zu suchen. Diese günstige Alternative birgt allerdings die Gefahr, dass man sich die falsche Größe oder instabile Äste schnappt und dadurch Unfälle oder noch größere Rückenschmerzen vorprogrammiert sind. In manchen Ortschaften bieten Souvenirläden Wanderstöcke und professionelle Trekkingausrüstung an – hier findet man in jeder Größe gute und zuverlässige Materialien.
10. Immer an die Motivation denken
Den Grund niemals vergessen: Warum mache ich das überhaupt? Nur wenige haben mir auf dem „Camino de Santiago“ von kirchenreligiösen Gründen berichtet. Meistens spielten eher persönliche Motive eine Rolle. Viele hatten gerade eine Krankheit bezwungen, wollten sich mit ihr auseinandersetzen, suchten sich selbst oder waren kurz vor einer entscheidenden Wendung in ihrem Leben. Wenn man mal fix und fertig ist, sollte man sich dieser Gründe erneut bewusst werden und voilà – schon ist der Rucksack wieder etwas leichter.
11. Offen sein und vertrauen
Sammeln Sie zwischenmenschliche Erfahrungen, und zwar reichlich! Sie zählen zu den interessantesten Erlebnissen, an die ich mich erinnern kann. Man sitzt mit Menschen aus der ganzen Welt zusammen, erzählt sich seine Beweggründe und teilt das Essen. Und plötzlich ertappt man sich dabei, wie man etwas tut, was man schon sehr lange nicht getan hat: Man vertraut wildfremden Menschen. So lässt man zum Beispiel den Rucksack mit seinem ganzes Hab und Gut unbeaufsichtigt im Schlafraum – und sorgt sich nicht darum.
12. Selbstverpflegung ist nicht immer notwendig
Da die meisten Herbergen Kochmöglichkeiten anbieten, ist es sinnvoll in einem nahegelegenen Supermarkt Lebensmittel einzukaufen. Sollten Sie in einem Refugio ankommen und keine Kraft mehr für einen Gang zum nächsten Supermercado haben, schauen Sie sich erst mal in der Küche um: Mit ein bisschen Glück haben Vorgänger restliche Lebensmittel in der Küche für nachfolgende Pilger gelassen. Oft wird man auch von bereits kochenden Weggefährten auf einen Teller ihres zubereiteten Mahls eingeladen. Ab und zu sollte man sich ein sogenanntes Pilgermenü gönnen, das in vielen Refugios und Gaststätten auf dem Weg angeboten wird. Für durchschnittlich etwa 15 Euro bekommt man ein Drei-Gänge-Menü mit landestypischen Delikatessen und einem verdienten Glas spanischen Rotweins. Die „Tarta de Santiago“ wird meist als Dessert angeboten – ein Muss für jeden Pilger!
13. Meiden Sie auf dem Jakobsweg Gemeinschaftsherbergen
Wenn es sich vermeiden lässt, dann verzichten sie lieber auf Gemeinschaftsherbergen – vor allem am Ende des Weges. Das sind staatliche Einrichtungen, die für wenig Geld viele Schlafplätze in einem Raum anbieten. Hier liegt man manchmal mit 40 Personen in einem Zimmer voller Doppelstockbetten. Oropax sind deshalb selbst für lärmresistente Ohren auf dem Jakobsweg unverzichtbar! Wer darauf keine Lust hat, sollte lieber ein paar Euro mehr in die privaten Herbergen investieren, die meist persönlich und komfortabel eingerichtet sind. Geführt werden sie von lokalen Einwohnern, oder auch von Aussteigern, die ihr Leben lang den Jakobsweg nicht mehr verlassen wollten.
14. Nicht am Wettlauf teilnehmen
Die letzten 100 Kilometer vor der Endstation können einem wahrlich die Lust am Wandern nehmen. Zahlreiche „Möchtegern-Pilger“ laufen in Strömen die jeweiligen Etappen des Jakobswegs. Man kommt sich vor wie in einem Wettlauf um die besten Plätze in der nächsten Herberge. Zudem sind diese oft viel schneller unterwegs, da sie teilweise erst aus dem Bus gestiegen sind und nur wenig Gepäck zu tragen haben. Ziemlich fragwürdig, ob dies dem Sinn des Pilgerns entspricht oder nicht nur dazu dient, die Urkunde in Santiago zu erhalten. Diese wird einem nämlich überreicht, wenn man Stempel der Herbergen auf den letzten 100 Kilometern vorweisen kann. Machen Sie sich also lieber mal eine Stunde früher auf den Weg und genießen Sie die Landschaft, ohne sich hetzen zu lassen.
15. Nicht vom Ende des Jakobsweg enttäuscht sein!
Ein wichtiger Augenblick ist für jeden Pilger das Ankommen an der Kathedrale in Santiago de Compostela und die Pilgermesse. Sie wird drei- bis viermal am Tag „veranstaltet“: Flatscreen-Fernseher, elektrische Kerzen und ein tobender Applaus in der dreischiffigen Kathedrale nach dem Schwingen des Weihrauchkessels lassen den ursprünglichen Wert des religiösen Pilgerns ebenfalls vermissen. Aber auch das ist Geschmackssache.
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16. Und jetzt: Gehen Sie bis ans Ende der Welt!
Mein letzter guter Rat ist kein Scherz: Gehen Sie bis ans Ende der Welt! Der „Camino a Fisterra“, der verlängerte Jakobsweg von Santiago de Compostela nach Finisterre, ist zwar leider kein Geheimtipp mehr, aber trotzdem empfehlenswert. Das Kap Finisterre (übersetzt: Ende der Welt) hält ein idyllisches Plätzchen am beinahe westlichsten Punkt Europas bereit, der vor allem zum Sonnenuntergang die entkräfteten Pilger für ihre Leiden ausreichend belohnt.
Drei Wochen später und viele Erfahrungen und Schmerzen reicher, habe ich mir die Frage gestellt, welche wichtige Erkenntnis ich im Nachhinein aus meiner Reise ziehen kann. Um den altbackenen Satz „Der Weg ist das Ziel“ komme ich dabei leider nicht herum, denn Santiago de Compostela wäre wohl nicht noch mal meine Endstation. Vor allem der Trubel auf den letzten 100 Kilometern hat mich gelehrt, dass man vielleicht nicht das Grab von Jakobus als Ziel haben muss – auch auf anderen Teilstrecken kann man die besondere Atmosphäre des Jakobswegs genießen. Denn der alte Pilgerpfad hält eine Vielzahl unvergesslicher Erlebnisse bereit: traumhafte Natur, endlose Weiten und interessante Menschen – dafür braucht man keine Urkunde und schon gar kein Wettrennen. Der Wunsch, den Jakobsweg noch einmal in anderen Etappen zu laufen, erfasst mich deshalb jedes Jahr aufs Neue.