7. Juli 2020, 16:22 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Wie ein schroffer Felsenkopf, der dem Besucher eine sandige Landzunge entgegenstreckt, ragt sie aus dem blauen Mittelmeer vor der Küste Sardiniens hervor: die Insel Tavolara, mit rund sechs Quadratkilometern das kleinste bewohnte Königreich der Welt. An seiner Geschichte ist fast alles kurios.
Lediglich elf Menschen leben momentan als Teilzeit-Einwohner auf der nur etwa sechs Kilometer langen und einen Kilometer breiten Mittelmeer-Insel, und sie alle gehören zur Königsfamilie, wie die „BBC“ im Jahr 2016 zum 180. Jubiläum des „Königreichs Tavolara“ berichtet hat.
Die Mini-Monarchie wird international zwar nicht als eigenes Land anerkannt. Dennoch besteht das Königreich Tavalara bis heute fort, denn: Formal sei es nie offiziell dem heutigen Italien einverleibt worden.
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König über 100 Ziegen und zwei Restaurants
Und so regiert der inzwischen fast 90-jährige Antonio Bertoleoni, von seinen Untertanen liebevoll „Tonino“ genannt, als fünfter König jenes Reich, das schon zu Zeiten der englischen Königin Victoria als „Kleinstes Königreich der Welt“ mit einem Bild im Buckingham Palace verewigt war.
Lange Zeit hat der frühere Fischer das einzige Restaurant auf der Insel geleitet, Da Tonino Re di Tavolara, übersetzt: „Bei Tonino, dem König von Tavolara“. Inzwischen hat sein Sohn Giuseppe die Leitung übernommen, wie die Zeitung „La Nuova Sardegna“ berichtet. Inzwischen gibt es nebenan ein weiteres Restaurant namens „La Corona“ (z.Dt.: „Die Krone“), geführt von Maddalena, der Schwester des Königs.
Mit Shuttle-Booten bringen Tonino und seine königliche Familie Urlauber höchstpersönlich in ihr Reich, das neben Fischspezialitäten auch einen schönen Strand, Pools, Bootsausflüge und schöne Tauchreviere bietet – die Insel liegt inmitten eines Naturschutzgebietes. Besonders sind auch die seltenen Falken und die rund 100 wilden Ziegen, die auf der Insel leben.
Ein Bigamist und Ziegen mit goldenen Zähnen
Auf der Website des Restaurants ist auch die skurrile Historie der Königsfamilie verzeichnet, in der die dort ansässigen wilden Ziegen eine große Rolle spielen.
Ein pikantes Detail, das die „BBC“ aus einem Buch zitiert, wird dort allerdings verschwiegen. So soll der Urahn der Königsfamilie, Giuseppe Bertoleoni, sich aus einem heiklen Grund anno 1807 mit seiner Familie auf der damals unbewohnten Insel niedergelassen haben: Angeblich hatte der Mann, beschrieben als „halb Schafhirte, halb Pirat“, zwei Schwestern geheiratet und floh aus seiner Heimat Genua vor einer Verurteilung als Bigamist.
Unumstritten ist, dass die Ziegen der Insel der Grund dafür waren, warum sie ein Königreich wurde. „Etliche der Ziegen gehören einer besonderen Rasse an, deren Kennzeichen die goldene Farbe ihrer Zähne ist“, heißt es auf der Restaurant-Website. Die neuen Siedler hätten den Wert der „Ziegen mit den Goldzähnen“ erkannt und Giuseppes Sohn Paolo habe „etliche Gesuche beim königlichen Hause Savoyen eingereicht, ihm das Eigentum und die Herrschaft über Tavolara zuzuerkennen“.
Mit Witz und Ausdauer auf den Thron
Dies weckte die Neugier des damaligen Königs von Sardinien, Carlo Alberto von Savoyen, heißt es in der Chronik weiter. 1836 sei er mit der königlichen Jacht nach Tavolara gekommen, „um dort zu jagen und den Schreiber so vieler Gesuche persönlich kennenzulernen“. Bei der Begrüßung stellte er sich als „König von Sardinien“ vor – und Paolo Bertoleoni entgegnete, er sei „der König von Tavolara“.
„Seit dieser legendären Begegnung schmückte sich die Familie Bertoleoni mit dem königlichen Wappen und betrachtete sich in jeder Hinsicht als Souverän der Insel, obwohl es noch kein Dokument gab, das ihr Anrecht bestätigte“, so die Chronik. Später habe sich Paolo I., der erste König von Tavolara, um ein solches Dokument gekümmert und wurde auch ganz offiziell zum Herrscher seines eigenen Königreiches.
Das Königreich wird zum NATO-Sperrgebiet
In den folgenden Jahren war das „Kleinste Königreich der Welt“, wie Tavolara auch in der Bildunterschrift zu dem Foto im Buckingham Palace genannt wurde, anerkannt. Politische Bündnisse wurden geschlossen, zum Beispiel 1903 ein Friedensvertrag mit Sardinien.
Im Jahr 1962 verlor das Königreich Tavolara 126 Jahre nach der Gründung insofern seine Unabhängigkeit, als dass die NATO dort ein großes militärisches Sperrgebiet einrichtete, das bis heute den Zugang zu fast der Hälfte der Insel unmöglich macht.
Weitere Gebiete an und vor der Küste der Insel sind Naturschutzgebiete der Klasse A und dürfen zum Schutz der einzigartigen Tierwelt von Urlaubern und Booten nicht gestört oder betreten werden.
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Plastikblumen am Grab der Königin
Der kleine Inselfriedhof mit den Gräbern der Könige und ihrer Familie, der auf der flachen Landzunge liegt, kann bis heute besichtigt werden. „Hinter einer beinahe quadratischen roten Villa liegt die eigenartige Gruft, die entfernt an eine Schließfachanlage in Bahnhöfen erinnert. Jedes Fach ist mit Name und Titel der verstorbenen Könige und ihrer Angehörigen versehen“, heißt es in einem der wenigen Reiseinfos zum Königreich Tavolara.
Dort liegt auch die Ruhestätte der letzten Königin von Tavolara, die Ehefrau von König Tonino. „Ich bringe ihr oft Plastikblumen“, so der König im Porträt der BBC. „Echte Blumen würden sofort von den Ziegen aufgefressen werden.“
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Anreise nach Tavolara
Wer die Insel und seine königlichen Bewohner einmal selbst kennenlernen möchte, gelangt mehrmals täglich von Porto San Paolo auf Sardinien mit der Fähre dorthin. Die Bertoleonis vermieten inzwischen auch Zimmer auf Tavolara an Touristen – am besten einfach direkt im Hafen nachfragen.
Seit 1991 findet übrigens jedes Jahr im Sommer auf Tavolara das Film-Festival „Una Notte in Italia“ statt, das Tausende Besucher anzieht.