21. Juni 2022, 6:09 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Costa Rica gilt mit seiner üppigen Fauna und Flora als das „grüne Paradies“ Mittelamerikas. Angeblich sollen in der „Bananen-Republik“ die glücklichsten Menschen der Welt wohnen. Vor allem Mal País im Westen gilt als Sehnsuchtsziel für Aussteiger.
Wenn man kurz vor dem Sonnenuntergang im Sand sitzt, der so dunkel ist wie Karamell, und denkt, schöner könnte das Leben nicht sein, erhebt sich am Horizont aus dem Nichts ein Blauwal und klatscht einen Augenblick später auf die Wasseroberfläche. Und noch ein zweites Mal, ein drittes Mal. Es sind nicht nur die Backpacker, die aufspringen, die Augen weit aufreißen und sich einander zuraunen: „Oh, my god!“ Auch die einheimischen Surfer setzen sich auf ihre Bretter, blicken aufs offene Meer und halten einen Moment inne; die perfekte Welle lassen sie passieren. Die nächste kommt sowieso in Mal País, das ironischerweise „schlechtes Land“ heißt, einem 1000-Seelen-Örtchen auf der costaricanischen Halbinsel Nicoya, das direkt neben Santa Teresa, das nicht weniger schön ist, liegt.
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Die „grüne Saison“
Es ist derzeit Winter in Mal País, in diesen Breiten bedeutet das: Es ist trotzdem fast täglich über 30 Grad warm, und die Sonne scheint in der Regel immerhin mindestens den halben Tag. „Grüne Saison“ hat das Tourismusministerium die von Mai bis November andauernde Regenzeit getauft, und das trifft es sehr gut.
Das staubige Land wird in dieser Zeit freigewaschen. Es entsteht eine Farben- und Pflanzenvielfalt, die man sich im Sommer, wenn es nur ganz selten regnet, nicht vorstellen kann. Alles blüht, alles ist grün. Blaue, grüne, gelbe Schmetterlinge, groß und klein, fliegen umher. Echsen überqueren die Straßen und Wege. Am Strand kann es passieren, dass Papageien den Touristen ihre Essensreste auf den Kopf spucken oder ein Waschbär auftaucht, der in den Taschen der Sonnenanbeter nach Essbarem sucht.
Die Ruhe genießen
Die Vorzüge der grünen Saison Costa Ricas haben sich auf diesem Planeten noch nicht wirklich herumgesprochen, und so dienen die Monate, in denen kaum ein Tourist hierherkommt, der Erholung. Niemand klaut den jungen einheimischen Surfern, die auf dem Wasser Haken schlagen und Salti springen, ihre Wellen. Die Einheimischen können es sich erlauben, ihre Surfshops und Quad-Verleihe statt um sechs erst um neun Uhr in der Früh aufzuschließen. Und viele jener Europäer und US-Amerikaner, die sie hier „Gringos“ nennen, verriegeln ihre Restaurants und Hotels mit dem Verweis auf eine Winterpause.
Wer es also nicht auf einen Party-Urlaub mit viel Reggaeton und halbnackt tanzenden „Ticos“ und „Ticas“ abgesehen hat, sondern sich nach tranquillidad, nach Ruhe sehnt, der ist in diesen Wochen und Monaten richtig an diesem Flecken Erde. Es gibt ja auch so genug zu tun: Angeln, Kayak fahren, Bootstouren. Man kann auch mit dem Quad hochfahren in die Berge und sich mit den Brüllaffen austauschen. Es ist tatsächlich so: Wenn man in den Wald hinein brüllt, brüllt es auch wieder heraus. Oder die Affen brüllen ganz alleine, morgens um fünf, wenn die Sonne aufgeht.
Pura Vida
Wer in Mal País lebt oder Urlaub macht, braucht keine Uhr; er lebt nach der Sonne und den Wellen. So auch Lila, die aus ihrer Heimat Belgien hierherkam und nicht mehr wegwollte. Sie hat in den Hügeln des Ortes zwei Häuser mit Meerblick bauen lassen. In einem wohnt sie selbst, eines vermietet sie, es ist eine Luxusimmobilie. Lila steht morgens um halb sechs auf dem Surfbrett, falls die Wellen sehr hoch sind. Sie sagt: „Ich lebe tatsächlich im Paradies.“
Es ist ein locker-leichtes Leben, und die Gefahr ist riesig, hier hängenzubleiben. So viele konnten der Versuchung nicht widerstehen. Es gibt den Schweden Martin, der vor Jahren alle Zelte in der Heimat abgebrochen hat, um in Mal País und Santa Teresa Kayak-Touren anzubieten und Fischen zu gehen. Es gibt Jörg, den Berliner, der für einen reichen US-Amerikaner Häuser vermietet. Sie alle sagen, dass ihnen der Gedanke, in die Heimat zurückzukehren, sehr fremd vorkomme. Dass sie sich das nicht mehr vorstellen können, den ständigen Stress, die ständige Gier nach mehr. Dass Costa Rica jetzt ihr Zuhause sei: die Strände, der Urwald, die freundlichen Menschen, pura vida – volles Leben eben.
Mehr Tipps und Inspirationen rund um Costa Rica geben Andi und Jenny von Travelisto in der folgenden Podcast-Folge von In 5 Minuten um die Welt:
„Früher war hier alles so schön ruhig“
Auch die internationale Prominenz ist angetan von dieser Gegend: Der US-Schauspieler Mel Gibson und das brasilianische Top-Model Gisele Bündchen besitzen Villen mit Meerblick in den Bergen über den Dörfern. Bündchen und der US-Footballer Tom Brady haben sogar in Santa Teresa geheiratet. Gibson, so erzählen es die Bewohner, fliegt meist mit Freunden per Helikopter ein; auf seinem Anwesen hat er eigens einen Hubschrauberlandeplatz errichten lassen. Alex, ein Taxifahrer, erzählt, dass sich der Schauspieler und seine Entourage während ihrer Trips nach Costa Rica fast jeden Abend in den Restaurants und Bars von Mal País und Santa Teresa blicken ließen. Alex‘ Kollege Miguel erzählt, wie er einmal einen Freund von Mel Gibson mit dem Taxi zum Flughafen gefahren hat: „Ein ganz netter Kerl. Und nach seiner Rückkehr hat er mir ein Autogramm von Gibson mitgebracht.“
Miguel freut sich, seine Gleichung lautet: je mehr Besucher, desto mehr Einnahmen. Viele Einheimische aber und sogar jene Ausländer, die vor mehr als 20 Jahren nach Mal País und Santa Teresa kamen, sind genervt davon, dass ihre Gegend in der Liste der weltweiten Hotspots mittlerweile sehr weit oben steht. „Früher war hier alles so schön ruhig“, sagt James, ein Neuseeländer, der im Jahr 1995 mit seiner Ehefrau die Heimat zurück – und sich in Santa Teresa niederließ. Das Ehepaar stand damals kurz vor der Rente, gemeinsam betreibt es heute einen kleinen Surfshop. „Wir sind nicht mehr darauf angewiesen, viel Geld zu verdienen. Wir brauchen all die Menschen nicht. Wir sind damals ja gekommen, weil hier kaum einer war. Aber heute, wo jeder bei Facebook schreiben kann, wie schön es hier ist, kommt natürlich jeder mal vorbei.“ Im Sommer, sagt James, da ist es besonders schlimm.
Kein Ziel für Billig-Touristen
In jenen Monaten platzen Mal País und Santa Teresa aus allen Nähten, zumindest war das vor Corona so und wird es sicher auch wieder sein. Hostels und Strände sind dann voll von Leuten aller Couleur. Von blassen Europäern auf der Jagd nach hervorragenden Wellen zum Surfen über Besucher in Wanderschuhen, die die Berge hinaufsteigen wollen, bis zu Rentnern, die sich ein paar Tage die Sonne auf den Bauch scheinen lassen wollen. Fünfmal so viele Touristen wie Einwohner sind im Sommer da. Eine dicke Staubschicht liegt dann über den Dörfern, was daran liegt, dass es hier kaum asphaltierte Straßen gibt. Da helfen auch die Schilder der Anwohner nicht viel, auf denen geschrieben steht, dass man doch bitte nicht schneller fahren solle als 25 Kilometer pro Stunde: „Genug Staub! Denkt an unsere Kinder!“
Ein Ort zum Altwerden ist dieser Flecken Erde indes nicht, dafür sind die Lebenshaltungskosten schlichtweg zu hoch. Mal País ist teuer, sehr teuer. Die Immobilienpreise sind seit der Jahrtausendwende in die Höhe geschnellt, Pkw sind teurer als in Europa, und fünf Scheiben miserabler Käse kosten im Supermarkt vier Euro. Ohne ein Vermögen auf der Bank oder eine geniale Geschäftsidee sind die Geldreserven hier genauso schnell aufgebraucht wie in Deutschland – es sei denn, man heißt Mel Gibson oder Gisele Bündchen.
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Jedes Jahr kämen Touristen und Einheimische im Meer um. Nur wenige Strände werden von Rettungsschwimmern bewacht. Reisende sollten beim Baden an den Stränden besonders vorsichtig sein.