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Das Erbe des grausamen Kartells

Was aus der Drogenhochburg Cali wurde

Cali Narcos
Cali, Kolumbiens Salsa-Hauptstadt im Valle de Cauca Foto: Getty Images
Robin Hartmann Autorenkopf
Freier Autor

20. September 2017, 16:42 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten

Am 1. September startete die 3. Staffel der Serie „Narcos“, und gedreht wurde natürlich wieder an Originalschauplätzen. Mittelpunkt der Geschichte um die Drogengangster ist dieses Mal Cali im Westen Kolumbiens – Anlass genug für TRAVELBOOK, die Stadt genauer unter die Lupe zu nehmen.

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TRAVELBOOK war vor Ort und stellt Cali vor.

„Zweigstelle des Himmels“ – so wird Cali von seinen Einheimischen liebevoll genannt, und tatsächlich fühlt man sich zwischen den hohen Bergen im Cauca-Tal dem Himmel manchmal sehr nah. Bis Mitte der 90er Jahre war das kaum vorstellbar, denn die Orejuela-Brüder und ihr Cali-Kartell hatten die Stadt fest in ihrem Würgegriff, bestachen, entführten und mordeten. Ihr wohl grausamster Beitrag zum „Wandel“ des Stadtbildes waren berüchtigte „soziale Säuberungsaktionen“, bei denen zum Beispiel Prostituierte, Bettler und Obdachlose ermordet und anschließend in den Cauca-Fluss geworfen wurden. Eine Grausamkeit perversen Ausmaßes. Heute kaum nachzuvollziehen, dass die Köpfe des Kartells aufgrund ihrer gutbürgerlichen Abstammung nicht selten auch als „Gentlemen aus Cali“ betitelt wurden. Doch seit der Zerschlagung der Bande im Jahr 1995 gehören solche Gräueltaten zum Glück der Vergangenheit an. Der Wandel begann – genau wie in Medellín nach dem Tod von Pablo Escobar.

Gut zwei Millionen Einwohner hat die 1536 gegründete Stadt heute, viel weniger als die großen Metropolen Bogotá und Medellín, und entsprechend ruhiger geht es hier tagsüber auch meistens zu. In der Nacht dann allerdings erwacht überall das Leben, denn Cali hat sich einen landesweiten Ruf erworben als Salsa-Hauptstadt der Welt, in den unzähligen kleinen und großen Clubs wird bis in die frühen Morgenstunden leidenschaftlich getanzt. 7000 professionelle Salsa-Tänzer soll es laut „Colombia Travel“ in Cali geben.

Cali Narcos
In Cali wird bei jeder Gelegenheit getanztFoto: Getty Images Foto: Getty Images

In diversen Salsa-Schulen und -Akademien kann man den Tanz erlernen, Einsteigerkurse für Touristen stehen darüber hinaus auch auf dem Programm von fast jedem Hostel. Höhepunkt des Tanzfiebers ist das „World Salsa Festival“, das jedes Jahr im September stattfindet –  eines der wichtigsten Feste des Landes, ja des gesamten Kontinentes. Insgesamt nehmen mehrere tausend Tänzer teil, die Stadt hat mit dem „Caleña“ sogar ihren eigenen Tanzstil geprägt. Eine weitere wichtige Veranstaltung ist die „Feria de Cali“, die immer vom 25. bis 30. Dezember statt findet: Außer zahlreichen Salsa-Tanzwettbewerben werden hier auch Schönheitsköniginnen gekürt, Mode vorgeführt und gastronomische Köstlichkeiten probiert.

Briefe für Analphabeten

Sehen und gesehen werden ist auch das Motto in Calis Einkaufszentren, die ein sozialer Treffpunkt sind, denn natürlich kann man hier auch essen oder ins Kino gehen – an Sonntagen finden für gläubige Shopper teilweise sogar Gottesdienste statt. Wer es authentischer mag, besucht den Straßenmarkt im Stadtzentrum: Hier ist es immer laut und voll, und sämtliche Sinne werden beansprucht – bzw. strapaziert, je nachdem, was für ein Typ man ist. Kaufen kann man eigentlich so gut wie alles, die Preise sind quasi überall verhandelbar.

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Die vielen Gärten und Parks von Cali laden zu einem ruhigen Spaziergang ein, zum Beispiel der Orchideengarten Orquideorama Enrique Pérez Arbeláez im Viertel La Merced – hier gibt es 180 verschiedene Sorten der wunderschönen Pflanze. Beliebt sind auch der zwölf Hektar große Botanische Garten und der „Katzenpark“ am Cali-Fluss: Hier gibt es einige überdimensionale bunte Katzenfiguren zu bestaunen, die Künstler aus aller Welt geschaffen haben. Etwas ganz Besonderes ist der unscheinbare „Parque de los poetas“, auch als „Dichter-Park“ bekannt: Genau wie in Gabriel Garcia Marquez‘ weltberühmtem Roman „Die Liebe in Zeiten der Cholera“ gibt es auf diesem kleinen Platz Herren, die gegen ein kleines Entgelt für Analphabeten auf alten Schreibmaschinen Briefe verfassen. Vor allem bei jüngeren Besuchern beliebt ist der Zoologische Garten, in dem es 170 Arten und etwa 1000 Tiere zu bestaunen gibt.

Fußball und Drogenbosse

Wer sich einen Überblick über Cali verschaffen möchte, sollte auf den Aussichtspunkt Sebastián de Belalcázar steigen, wo sich am Wochenende auch Künstler und Sänger einfinden. Die dort befindliche Staue des gleichnamigen Eroberers wurde in den 30er-Jahren zu Ehren des 400. Geburtstags des Stadt errichtet. Wer sich für Sport begeistert, der findet mit Deportivo und América de Cali gleich zwei große Fußballclubs – die Leidenschaft der Kolumbianer für den Fußball ist legendär, die Stimmung in den Stadien des Landes auch bei unbedeutenden Begegnungen euphorisch. América de Cali machte einst Schlagzeilen, weil sich der Club wie viele andere im Land auch unter der Direktive von Drogengangstern befand. Die Mannschaft erreichte zwischen 1985-87 drei Mal hintereinander das Finale des wichtigsten kontinentalen Wettbewerbs, der Copa Liberatdores, verlor aber alle Partien.

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Weitere Sehenswürdigkeiten in der Stadt sind die zahlreichen Museen und Kirchen, wie die Wallfahrtskirche Iglesia de la Ermita, die mitten im Stadtzentrum steht. Die Graffiti-Szene in Cali ist lebendig und kreativ, weswegen man an vielen Orten auch teilweise sehr beeindruckende bunte Wandbilder findet. Das Essen ist Cali ist ein gastonomisches Erlebnis, da das fruchtbare Cauca-Tal Unmengen an frischem Obst und Gemüse hervorbringt – dennoch ist hier, wie überall in Südamerika, das Fleisch besonders wichtig. Ein typisches Essen ist zum Beispiel das Sancocho, eine Art Eintopf mit Hühnerfleisch, Yucca und anderen Zutaten, günstig und sehr sättigend.
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Unzufrieden mit der Serie

Dass die Dreharbeiten für die neuste Staffel von „Narcos“ auch in Cali stattfanden, dürfte nicht alle in der Stadt gefreut haben: Bereits in der Vergangenheit wurde die Serie in Kolumbien heftig kritisiert, weil sie den Drogenboss Pablo Escobar fast wie einen liebenswürdigen Popstar darstellte – und nicht als den Mann, der Tausende von Menschen auf dem Gewissen hat. Das Grab von Escobar in Medellín besuchten täglich bis zu 200 Menschen, verriet der dortige Gärtner TRAVELBOOK bei einem Besuch auf dem Friedhof Monterosa. Stets liegen dort frische Blumen, denn Escobar spendete auch riesige Summen für die arme Bevölkerung, aus der er selbst einst hervor gegangen war.

In Cali kam es darüber hinaus im November 2016 wegen der Dreharbeiten laut Berichten von „El País“ bereits zu einem schweren, fünfstündigen Verkehrs-Chaos, da während der Rush Hour Teile der Straßen im nördlichen Zentrum der Stadt blockiert wurden. Eine aufgebrachte Nutzerin machte darüber auf Twitter ihrem Ärger Luft: „Müssen wir ernsthaft einen solchen Stau ertragen wegen der Dreharbeiten zur Serie ‚Narcos‘?“. Ein anderer wetterte: „Es ist nicht gerecht, dass wir leiden müssen, weil ein paar Genies die Erlaubnis dafür gegeben haben, während der Roush Hour einen Film zu drehen.“ Übrigens war „Narcos“ nicht die einzige Produktion, die zum Thema Drogenkriminalität in Cali entstand: Auch der Film „El Chapo“, basierend auf dem Leben des gleichnamigen mexikanischen Gangsters, wurde hier zum Teil gedreht.

Themen Kolumbien Südamerika
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