16. Oktober 2019, 7:11 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
In Pashupatinath liegt der Geruch nach verbranntem Menschenfleisch in der Luft. TRAVELBOOK-Autorin Anna Wengel hat die nepalesische Tempelstätte besucht, in der Hindus ihre Toten verbrennen. Hier beschreibt sie, wie es ist, eine Leiche brennen zu sehen – und zu riechen.
Mein Magen findet das nicht gut. Diesen penetranten Geruch, der in der Luft liegt, sich in jedem einzelnen Haar und auf jedem Kleidungsstück festzusetzen scheint. Es riecht irgendwie nach verbrannten Haaren. Und noch etwas anderem.
Ich laufe durch eine Tempelanlage in der Nähe von Nepals Hauptstadt Kathmandu. Pashupatinath heißt die. Menschen überall. Touristen wie Nepalesen tummeln sich auf dem Weg, der zum Fluss Bagmati führt. Der Fluss teilt die Tempelanlage. Am Wasser stehen zwei Grüppchen entfernt voneinander, jeweils um einen Haufen brennender, orangefarbener Tücher herum. Der Gestank wird stärker. Schaulustige sammeln sich auf dem Balkon hinter den Gruppen und auf der gegenüberliegenden Flussseite. Obwohl hier viele Menschen sitzen, stehen und gucken, ist es merkwürdig still. Als würde gleich etwas passieren. Ich bleibe stehen.
Tote werden in Nepal öffentlich verbrannt
Eine Gruppe Menschen erscheint auf den Stufen, steuert auf die einzige noch freie Steinplattform am Ufer zu. Eine Bahre in ihrer Mitte. Darauf liegt ein Haufen aus orangefarbenen Tüchern, auf den gelbe Tagetes-Ketten drappiert wurden. Der Stoffhaufen wird auf der mit Holz beschichteten Steinplatte abgelegt und mit Stroh bedeckt. Zwei Füße lugen unter den Tüchern hervor. Und ein Kopf. Auf der Plattform liegt ein Toter.
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Wie in anderen mehrheitlich hinduistischen Gebieten wie Indien oder Bali, ist es auch in Nepal Tradition, Verstorbene öffentlich zu verbrennen. Vorher wird der Tote gereinigt, gesalbt und in Tücher gewickelt. Die haben die Angehörigen zuvor in heiliges Wasser getaucht. Der körperlich und seelisch Gereinigte wird mit dem Kopf in Richtung Süden gelegt. Dort wird der Todesgott Yama vermutet. Spätestens nach drei Tagen wird der Tote mit den Füßen zuerst durch eine Hintertür aus dem Haus getragen. Bis zum Verbrennungsplatz. Im Bestfall liegt der nah am Ganges oder einem seiner Ausläufer, da die Asche rituell in den heiligsten Fluss der Hindus, seine Ausläufer oder zur Not auch andere Gewässer gestreut wird. Dann werden die Füße des Toten vor Ort mit dem heiligen Wasser gereinigt. Der Fluss Bagmati mündet in den Ganges und ist den Hindus in Nepal entsprechend heilig. An welcher Stelle des Flusses der Tote verbrannt wird, ist abhängig von seiner Kaste.
Der Tote am Fluss gehört offenbar einer höheren Kaste an. Viele Steinplatten sind flussaufwärts nicht übrig. Flussabwärts gibt es noch Platten. Und Stellen, an denen offenbar Leute verbrannt wurden, deren Kaste nicht für einen der hübschen Stufenplätze reichte.
Ein Mann läuft jetzt im Uhrzeigersinn um den Toten herum. Fünf Mal. Jede Runde symbolisiert ein Element. Nach den Feuer-Wasser-Luft-Erde-Raum-Runden entzündet er den Scheiterhaufen mit einem Stück Stroh. Vermutlich ist es der älteste Sohn des Verstorbenen. Der Tradition nach übernimmt beim Vater der älteste, bei der Mutter der jüngste Sohn den Runden-drehen-und-verbrennen-Part. Früher war es unter Hindus Tradition, dass sich die Ehefrau beim Tod des Angetrauten gleich mitverbrannte. So ohne Mann war ihr Leben anscheinend sinnlos. Heute darf die Frau am Leben bleiben. Muss es sogar. Witwenverbrennung ist in Nepal seit 1920 verboten.
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Totenrituale am Allzweckfluss
Rauch steigt auf. Der Tote brennt. Und es stinkt. Das Tuch, dass ich mir auf Mund und Nase drücke hilft wenig. Der Geruch dringt durch. Genauso wie die Erkenntnis, dass da vorne ein toter Mensch brennt. Und als wäre das nicht schon verstörend genug, wird dem auch noch der Kopf eingeschlagen, damit sein Geist (Atman) entweichen kann. Fest davon überzeugt, dass beerdigt werden eklig ist, weil Würmer, Maden und anderes Getier durch die sterblichen Überreste wandern können, finde ich Verbrennen grundsätzlich eine gute Idee. Aber es zu sehen und zu riechen ist dann doch ziemlich krass. Gegen das Ekelgefühl, mit dem mein Magen reagiert, hilft auch nicht das Wissen um die Schönheit des Sterbens. Im Hinduismus ist Sterben etwas Gutes. Schließlich endet das Leben nicht. Der Geist wird in einem anderen Lebewesen wieder geboren. Wie es weitergeht hängt vom Karma ab. Der beste Fall, den der Hindu erwarten kann, ist den Kreislauf der Wiedergeburten zu durchbrechen und ins Brahman-Nirwana überzugehen.
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Wie der Karmastand des kürzlich Verstorbenen aussieht, kann ich nicht beurteilen. Ob die Seele den Körper verlassen hat, auch nicht. Der Tote ist mittlerweile nur noch Asche. Die wird jetzt mit den Holz-Überresten in den Bagmati geschoben. Flussabwärts treibt sie Richtung Indien. Vorbei an den Frauen, die ein paar hundert Meter weiter ihre Körper und ihre Kleidung in dem heiligen Wasser waschen.