24. Juli 2020, 14:31 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Belgrad gilt seit einigen Jahren als Trendziel. Aber warum? TRAVELBOOK hat sich vor Ort mal umgesehen – und tatsächlich eine Menge guter Gründe gefunden. Zudem verraten wir einige Tipps für die serbische Hauptstadt
„Ich hatte immer nur Ärger in Serbien“, sagt der Taxifahrer auf dem Weg zum Flughafen. Hundertmal sei er durchgefahren – auf dem Weg in die Türkei, wo er und seine Frau ihre Wurzeln sowie ein Ferienhaus haben. „Belgrad“, sagt er und stößt einen langen Seufzer aus, „Belgrad ist eine alte, heruntergekommene Stadt.“ Mit dieser Ansicht ist er nicht allein. Le Corbusier, Architekt und Ästhet, war Anfang des letzten Jahrhunderts so geschockt über den Zustand Belgrads, dass er sie gar die „hässlichste Stadt der Welt am schönsten Ort der Welt“ nannte. Zumindest die Lage – an der Mündung der Save in die Donau – macht also Hoffnung. Doch wie ist es denn nun wirklich in Belgrad? Ist Serbiens Hauptstadt tatsächlich so, wie viele Kritiker meinen? Ja und nein – und genau in diesem Widerspruch liegt Belgrads Reiz.
In der Stadt gibt es viel zu entdecken: Schönes wie Hässliches, Cooles und Ödes, Überraschendes und Erwartbares, aber vor allem eine Menge guter Gründe für einen Trip nach Belgrad.
6 Gründe für einen Besuch in Belgrad:
1. Die Energie
Wer keine Narben hat, hat nicht gelebt, sagt man über Menschen. Für Städte könnte man das Gleiche behaupten. Belgrad, das in seiner bewegten Geschichte so viele Kriege erlebt hat wie kaum eine andere Stadt, hat viele Narben. Die letzten sind noch recht frisch, wie das ausgebrannte Verteidigungsministerium, an dessen Ruine bis heute nichts getan wurde und das wie ein Mahnmal mitten in der Stadt thront.
Doch wer dem Ende schon mal nah war, weiß seine Zeit zu nutzen – hat Energien in Mengen, über die andere nur staunen. Und so auch Belgrad. Alles scheint im Auf- oder Umbruch. Kein Stillstand, nirgends. Und in den Bars und Clubs gibt es kein Morgen. Diese Energie, sie ist überall, sie steckt an, inspiriert und macht so süchtig, dass man wünschte, sie in Beuteln nach Hause tragen zu können.
2. Die Menschen
Zugegeben, der Ruf, der den Serben vorauseilt, ist nicht unbedingt der beste – und stark vom Krieg geprägt, von einem Slobodan Milošević und einem Ratko Mladić. Und selbst wer sein Serben-Bild aus den lustigen Balkanfilmen eines Emir Kusturica zieht, muss selbst hier bald erkennen: So liebenswert die Figuren auch in der Regel sind, früher oder später werden sie dann doch recht brutal.
Im Land wird man zum Glück schnell eines Besseren belehrt. Die Freundlichkeit und Gastfreundschaft der Serben ist so auffallend wie wohltuend. „Schauen Sie nicht auf die Gebäude, schauen Sie auf die Menschen“, rät denn auch die Modedesignerin Dragana Ognejenovic, „wer sich etwas umtut, wird wunderbare Menschen treffen.“ Man glaubt es sofort – schließlich ist sie selbst schon einer dieser Menschen, für deren Bekanntschaft sich die Reise allein schon gelohnt hat.
Ivan Lalic ist auch so einer dieser besonderen Belgrader. Mit Freunden und Kollegen hat er vor wenigen Jahren erst ein Festival und dann ein ziemlich cooles Kulturzentrum geschaffen – und damit einem heruntergekommenen Stadtviertel nicht nur neues Leben eingehaucht, sondern Belgrad mal eben auf die Landkarte der jungen Kreativen und Nachtschwärmer gesetzt. Das „Berlin des Balkans“ wird Belgrad inzwischen genannt, und jeder Berliner, der sich in das Mikser House begibt, einer spannenden Mischung aus Café, Büro, Theater und Shop, dürfte sich auf Anhieb heimisch fühlen.
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3. Die Preise
Für hiesige Geldbeutel ist Serbien natürlich ein sehr günstiges Reiseziel, was dem traurigen Umstand zu verdanken ist, dass der Durchschnittsverdienst hier bei etwa 500 Euro liegt. Urlauber, vor allem aus Westeuropa, die sonst hohe Preise gewohnt sind, kommen also mit wenig Geld über die Runden – und mehr als das. Vermutlich dürfte sich so mancher verdutzt die Augen reiben, der nach einem üppigen Abendessen die Rechnung serviert bekommt. Aber nein, der Kellner hat sich nicht verrechnet. Es ist tatsächlich so günstig.
4. Die Lage
Auch wenn man Le Corbusier nicht zustimmen mag, was die angebliche Hässlichkeit der Stadt betrifft – es gibt hier nämlich durchaus viel Schönes zu entdecken –, bei der Lage lag er nicht daneben. Die ist wirklich fantastisch. Das Hügelige sorgt für traumhafte Ausblicke – vor allem natürlich vom Kalemegdan Park an der Burg – und für ein bisschen San-Francisco-Feeling in den Straßen. Und dann die Flüsse: Donau und Save scheinen die Stadt zärtlich zu umarmen und stellenweise ist der Strom so weit, dass man das andere Ufer nur erahnen kann. Viele der beliebten Clubs liegen denn auch am Wasser: auf Booten, auf denen man natürlich wunderbar den Sonnenuntergang genießen kann.
5. Die Cafés und Kafanas
Mehr als 3000 Cafés und Restaurants gibt es in der Stadt – viele sind modern und schick, andere traditionell und urig. Kafana (Betonung auf der zweiten Silbe) nennt man die ursprünglichen, etwas altmodischen Lokale, deren Konzept einst die Osmanen mitbrachten und das sich die Einheimischen über die Jahrhunderte immer mehr zu eigen machten. So wird statt Wasserpfeife Rakia, eine Art Obstler, serviert, den jeder unbedingt einmal probieren muss. Vielleicht ja im Sesir Moj, denn an diesem urigen Lokal kommt ohnehin niemand vorbei. Dafür sorgt allein die Wand aus Blumenkästen, die den Eingang säumt, und jeden Passanten zum Verweilen veranlasst.
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6. Alles ist möglich
Irgendwie weiß man nie, was kommt. Alles ist offen, alles scheint möglich. Der neue Stadtteil „Belgrad am Wasser“ zum Beispiel, quasi eine Art Hamburgs Hafencity für die Hauptstadt Serbiens, finanziert von einem Scheich aus den Emiraten – weshalb der für die nahöstliche Architektur obligatorische XXL-Wolkenkratzer, in diesem Fall „Turm von Belgrad“ genannt, natürlich nicht fehlen darf. Vielleicht werden all die Wohnungen, Büros, Hotels und Lokale tatsächlich gebaut. Vielleicht kommt aber auch alles ganz anders.
7. Die Kunst, zu improvisieren
Wer nicht weiß, was kommt, weiß aber, zu improvisieren. Und so wundert man sich wenig, wenn der Mann am Check-in auf die freundliche Frage, ob es irgendwo in der Nähe die obligatorischen Plastiktüten für Flüssiges zu kaufen gibt, beherzt ins Regal greift, den Inhalt einer Tüte auf den Boden schüttelt und sie der Fragenden freundlich entgegenstreckt – nicht ohne noch einen Kabelbinder oben draufzulegen, da der Verschluss, nun ja, nicht mehr funktioniert.
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