3. Juli 2024, 17:17 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Seit 1903 wird am Strandbad von Triest nach Geschlechtern getrennt gebadet. Das Bagno marino La Lanterna, kurz: El Pedocin, ist wahrscheinlich das letzte seiner Art in Europa.
Einst war Triest ein Außenposten des Westens am Eisernen Vorhang, das kommunistische Jugoslawien war nicht weit. Mit dem Ende des Kalten Krieges fielen viele Grenzen und Mauern – aber eine gibt es noch in der norditalienischen Hafenstadt: jene im Strandbad Bagno marino La Lanterna bzw. in den Strandbädern, denn es handelt sich streng genommen und zwei.
Eine weiß getünchte Mauer trennt Männer und Frauen in dem bei Ortsansässigen als El Pedocin bekannten Strandbad. Nach Informationen der Triester ist es der letzte Strand in Europa, an dem die Geschlechter sich getrennt sonnen. „Es ist vielleicht paradox, aber diese Mauer macht uns freier“, sagt die Grundschullehrerin Sabrina Pecchiari.
Der getrennte Strand von Triest besteht seit 1903
Die Bagni comunali Lanterna gibt es seit 1903. Damals war Triest unter österreich-ungarischer Herrschaft. Die Institution überdauerte die K.u.k.-Monarchie, zwei Jahrzehnte Faschismus, zwei Weltkriege, Besatzung durch die Alliierten und alle weiteren Umwälzungen der vergangenen Dekaden. Ursprünglich trennte ein Zaun die Geschlechter, der später durch eine Mauer ersetzt wurde. Sie wurde nur einmal niedergerissen und versetzt – und zwar 1959, als der Frauenbereich auf Kosten der Männer vergrößert wurde.
„Frauen lieben diesen Ort, weil er ihnen Privatsphäre bietet“, sagt die Journalistin und Autorin Micol Brusaferro. „Wenn keine Männer da sind, dann sind ein paar Extra-Kilos oder nicht perfekt gewachste Beine kein Problem.“ Italien sei vielerorts noch immer eine Macho-Gesellschaft und Frauen stünden unter Druck, stets toll auszusehen. El Pedocin gibt ihnen die Möglichkeit, Konventionen zu brechen. Am Strand Bagno La Lanterna könnten auch 80-Jährige im Stringtanga oder oben ohne baden, wenn sie dazu Lust hätten, sagt Brusaferro.
Männer schätzen die Ruhe vor nörgelnden Ehefrauen
Männer dagegen schätzen den getrennten Strand von Triest, weil sie hier Ruhe vor ihren nörgelnden Gattinnen haben, sagt auf der anderen Seite der Maurer Gianmarco, der seinen vollen Namen nicht nennen will. Sein Vater steht daneben und nickt zustimmend.
Besucher schätzen die geringe Entfernung zum Stadtzentrum und die günstigen Preise. Der Eintritt kostet nur einen Euro. Seinen Spitznamen hat das Bagno den Einheimischen zufolge entweder von der Triester Dialektbezeichnung für Muscheln (pedoci) oder für Läuse (pedocio). So soll es in der Nähe früher eine Muschelfarm gegeben haben und österreich-ungarische Soldaten nutzten den Strand für ihre Körperpflege.
Rettungsschwimmer von Geschlechtertrennung ausgenommen
Im Sommer kommen etwa 3000 Badegäste am Tag. Rentner machen einen Großteil der Besucher von Bagno La Lanterna aus. Das Strandbad ist aber auch bei Arbeitern in ihrer Mittagspause und bei Kindern beliebt. Bis zum Alter von zwölf Jahren dürfen sie zwischen der Männer- und Frauenzone hin- und herflitzen. Teenager und junge Erwachsene ziehen ohnehin andere Strandclubs vor. Allerdings bräunen so manche junge Triesterinnen vor Beginn der sommerlichen Flirt-Saison im Pedocin vor.
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Neben Kindern sind auch die Rettungsschwimmer von der Geschlechtertrennung ausgenommen. Trenne man Frauen und Männer, bringe das manchmal die schlechtesten Seiten beider Geschlechter zutage, sagt eine der Rettungsschwimmerinnen lachend. „Bei den Männern hört man viele Macho-Witze. Opas etwa, die nach einer Mund-zu-Mund-Beatmung fragen. Auf der anderen Seite gibt es mehr Gezänk. Kürzlich mussten wir eingreifen und einen Streit um einen Schattenplatz schlichten.“
Und niemand in Triest denkt daran, am Konzept der Geschlechtertrennung des Strandes etwas zu ändern. So sagt der für die Bäder in der Stadt zuständige Ratsherr Giorgio Rossi, das Pedocin wäre ohne seine Mauer nicht länger das Pedocin. „Das ist eine Triester Institution, warum sollten wir niederreißen, was das Bad so einzigartig macht?“