8. Februar 2018, 16:15 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
TRAVELBOOK erklärt, wie der Karneval in Rio de Janeiro funktioniert. Und was er alles mit Fußball, der bekanntlich anderen Leidenschaft der Brasilianer, gemein hat.
Viel nackte Haut, viel Glitzer, viel Samba – so sieht der Karneval in Rio de Janeiro aus, wenn man ihn aus der Ferne betrachtet. Doch der Carnaval im Sambódromo der Stadt ist eine Art Champions League der Sambaschulen, ein Wettbewerb, hinter dem viel Geld steckt. Und der nach Regeln funktioniert, die denen im Fußball nicht unähnlich sind.
Die Teams
Beim Karneval in Rio de Janeiro treten die Escolas de Samba, die Sambaschulen der Stadt, gegeneinander an. Doch der Name führt in die Irre. Eine Sambaschule ist kein Ort, wo man hingeht, um Samba zu lernen – das lernen die Brasilianer nämlich so früh wie das Laufen. Vielmehr dienen diese einzig dem Zweck, den jährlichen Karnevalsumzug zu organisieren. Die ersten Sambaschulen wurden übrigens Anfang der 1920er-Jahre gegründet.
Die Fan-Farben
Wie Fußballklubs haben auch die Sambaschulen jeweils ihre eigenen Farben. Und wie auch die Anhänger eines bestimmten Fußballvereins zeigen die Brasilianer in den Karnevalstagen mit der Kleiderwahl auch gern, für welche Sambaschule ihr Herz schlägt – für Beija-Flor zum Beispiel (Blau und Weiß), für Mangueira (Pink und Grün) oder Grande Rio (Rot, Grün und Weiß). Denn beim Karneval in Rio geht es wie beim Futebol nicht allein um die Show. Sondern ebenso um die Liebe der Fans. Um Leidenschaft. Um Lorbeeren.
Die Ligen
Sogar Ligen gibt es, wie beim Fußball. Die Sambaschulen Rio de Janeiros sind in vier Ligen aufgeteilt, die zwölf besten sind in der Grupo Especial. Sie haben ihren großen Auftritt in den beiden Nächten zwischen Karnevalssonntag und -dienstag, jeweils sechs Sambaschulen sind dann mit ihren Paraden zu erleben. Nach der Entscheidung der Jury steigt am Ende eine Sambaschule in die tiefere Liga ab, eine andere steigt aus dieser in die Grupo Especial auf.
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Das Stadion
Die Kampfarena der Karnevalisten ist das Sambódromo. Das ist nicht – wie ein Stadion – rund, sondern längs gebaut, aber mit den obligatorischen Tribünen, von denen unentwegt die Fangesänge schallen. Das Sambódromo von Rio wurde 1984 eingeweiht. Entworfen hat es kein geringerer als Kurvenfan Oscar Niemeyer, der an das Ende der 700 Meter langen Allee, auf der Praça da Apoteose, so was wie ein überdimensioniertes Tor gesetzt hat, auf das sich zielgerichtet alles zubewegt, und das – mit noch nicht einmal allzu viel Fantasie – an einen Stringtanga erinnert.
Das Spiel
Ein „Spiel“ dauert 82 Minuten. So viel Zeit hat jede Sambaschule für ihren Durchmarsch durch das Sambódromo. Jede Minute, die der Zug mehr braucht, kostet Punkte, jede Minute weniger als 65 ebenfalls. Bewertet werden unter anderem auch die Kostüme, im Portugiesischen „fantasias“ genannt, die Harmonie innerhalb des Zuges, die Leistung der Musiker, der Einfallsreichtum bei dem Karnevalswagen, die Textsicherheit der Akteure beim Karnevalssong und vor allem aber: die Show!
Die Aufstellung
Wie auf dem Fußballfeld haben auch bei einem Karnevalsumzug die Akteure ihre Position – nur dass hier niemand stürmen oder verteidigen muss, stattdessen: tanzen, singen, musizieren. Die berühmteste Position ist die der rainha de bateria, der Königin der Rhythmusgruppe, einer leicht bekleideten Tänzerin, die vor der Kapelle tanzt und nicht selten eine Prominente aus Brasiliens Showbiz ist. Obligatorisch auch das Karnevalspaar am Beginn des Zuges.
Der Fan-Gesang
Stellen Sie sich einmal vor, Sie müssten 82 Minuten lang den gleichen Song hören. Und zwar in einer Lautstärke, die in den Ohren schmerzt – und inmitten von Brasilianern, die diesen Song voller Inbrunst mitsingen und Sie solange in die Seite stupsen, bis auch Sie die Lippen bewegen. Willkommen beim Carnaval! Tatsächlich hat hier jede Sambaschule nur einen einzigen Song. Auf der CD, die weit vor den Karnevalstagen im Laden erhältlich ist, dauert der Samba angenehme 3 bis 4 Minuten, im Sambódromo hingegen wird er auf 82 Minuten gedehnt. Und alle singen mit!
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Die Beinarbeit
Wie beim Fußball kommt es auch beim Karneval auf die Beinarbeit an. Denn Füße und Beine sind die ganze Zeit in Bewegung: 1934 wurde unter der Regierung Getúlio Vargas der Samba zum offiziellen Tanz des Karnevals erklärt. Wer an einem Umzug in Rio de Janeiros Sambódromo teilnehmen will, muss also Samba tanzen können, denn die 700 Meter werden nicht gelaufen, sondern getanzt. Und so sieht das aus:
Die Organisatoren
Die „Unabhängige Liga der Sambaschulen“ (Liga Independente das Escolas de Samba do Rio de Janeiro, kurz: LIESA) organisiert das Event nicht nur, sondern vermarktet es auch – ähnlich der FIFA im Weltfußball. Hinter LIESA steckt übrigens das illegale Glücksspiel. In den Sechzigern hatten Kriminelle den Karneval entdeckt: für Geldwäsche, Einflussnahme und Gewinn. Und wie beim Fußball auch haben die Fernsehsender, die das Spektakel live übertragen, auch noch ein Wörtchen mitzureden.
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Die Spielstrategie
Jede Escola de Samba wählt ein bestimmtes Thema für ihren Karnevalsumzug. Das kann eine Figur aus der Geschichte oder Literatur sein, ein anderes Land der Erde oder ein völlig frei gewähltes Motto. Natürlich ist auch der Fußball oft ein Thema. Und natürlich auch die Politik, was in einem von politischen Krisen geprägten Land wie Brasilien ein Dauerthema ist – wie eben auch der Fußball.
Das Finale
Am Aschermittwoch zählt die Jury die vergebenen Punkte aus und verkündet die Sieger – ein Ereignis, das im ganzen Land live im TV übertragen wird. Prämiert werden die ersten, zweiten und dritten Plätze mit Preisgeldern. Die sechs besten Sambaschulen treten dann noch einmal am Samstag im Sambódromo auf. Quasi das Finale – nur, dass es hier nicht mehr um den Wettkampf geht, sondern nur noch um den Spaß und die Show. Und danach geht es gleich weiter: mit den Vorbereitungen für den Karneval im Jahr darauf. Denn nach dem Spiel ist vor dem Spiel, oder: Nach dem Karneval ist vor dem Karneval.
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Mitspieler gesucht
Übrigens können auch Touristen an einem Karnevalsumzug im Sambodrom teilnehmen. Dafür gibt es in jedem Umzug die sogenannte „Touristenklasse“, wenig anspruchsvolle Positionen in der Menge, für die keine Proben nötig sind. Nur etwas Kleingeld, denn das Kostüm, so zwischen 150 und 300 Euro, müssen die Karnevalisten kaufen, bevor sie teilnehmen dürfen.